Der Winter hat die Heeker Bauerschaft Ahle fest im Griff. Eine zarte Frostschicht überzieht die Natur. Temperaturen um den Gefrierpunkt lassen jeden Atemzug sichtbar werden. Nebelschwaden erschweren stellenweise die Sicht und lassen eine leicht gespenstische Atmosphäre entstehen.
Umstände, die eine kleine Gruppe unter der Führung des Heeker Naturschutzwartes und Jägers Stefan Amshoff am Sonntagmittag (19. Januar) nicht davon abhalten, zu einer „Wolfstour“ in die umliegenden Waldflächen aufzubrechen. Eine Tour mit einem buntgemischten Teilnehmerfeld.
Drohungen im Vorfeld
Familien mit Kindern, Hunde- und Weidetierhalter. Aus Heek, Ahaus oder auch Stadtlohn. Doch selbst von außerhalb des Kreises fanden einige Teilnehmer den Weg nach Ahle. Eigenen Angaben nach unter anderem Weidetierhalter aus dem Wolfsgebiet Schermbeck (Kreis Wesel).
Im Vorfeld der „Wolfstour“ waren diese Personen mit Naturschutzwart Stefan Amshoff bezüglich seines Vorhabens in den sozialen Medien teils scharf aneinandergeraten. Von anderer Stelle hatte der Naturschutzwart sogar Drohungen erhalten. Mit der Aufforderung, die Tour abzusagen.
Friedlicher Rundgang
Doch von dieser angespannten Situation war während der Führung nichts zu spüren. Im Gegenteil. Auch die Wolfskritiker brachten sich konstruktiv ein. Schilderten ihre Erlebnisse und Sorgen mit Blick auf den Wolf.
Davon ab lag der Fokus der Tour durch die Natur auf dem Auftauchen des Wolfes in und um Heek. Mehrfach gab es in den zurückliegenden Wochen Sichtungen und Begegnungen mit dem Großraubtier, das hier keine natürlichen Feinde hat. Lediglich Krankheiten und den Straßenverkehr.

Denn anders als in Schermbeck, das nachgewiesenes Wolfsgebiet ist, ziehen in Heek ein oder mehrere Wölfe durch, halten sich hier mutmaßlich temporär auf. Es ist also (noch) das Gegenteil von einer Rudelbildung.
Entsprechend bezogen sich alle Verhaltenstipps, die der Heeker Naturschutzwart auf dem Rundgang gab, auf Begegnungen mit einem Einzeltier und nicht mit einem Rudel. Also angepasst auf die aktuelle Situation in Heek.
Entlang des Strothbaches – und in Teilen des Wichumer Trimmpfades – ging es durch die Autobahnunterführung, den Herrenweg und den Nienborger Damm zurück zum Startpunkt am Pollenkamp.
Der Bereich, in dem der Wolf zwei Spaziergängerinnen samt Hund und Kindern kurz vor dem Jahreswechsel ganz nah gekommen war (Langer Weg), wurde vom Naturschutzwart bewusst ausgeklammert.
„Rückzugsort“
Diesen Bereich bezeichnete er als „Rückzugsort“ des Wolfes. Die theoretische Möglichkeit einer Konfrontation mit dem Tier wurde so umgangen. Und auch ohne das Großraubtier zu Gesicht bekommen zu haben, bot die Tour viel wissenswerten Input. Im Dialog mit allen Teilnehmern.
Einen Freifahrtschein, dass jede Begegnung mit einem Wolf ohne Zwischenfälle abläuft, konnte und wollte der Naturschutzwart nicht geben. „Es ist ein Wildtier. Die Angst vor dem Wolf kann ich niemandem nehmen.“
Es war die Antwort auf die Frage eines Familienvaters, der wissen wollte, ob seine Kinder in der Bauerschaft Ahle sicher unterwegs sein könnten - auch, wenn sie mal einem Wolf begegnen würden.
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) stellt am Montagmorgen (20. Januar) auf Anfrage klar, dass es seit der Wiederansiedlung des Wolfes in NRW – erste Sichtungen gab es bereits 2009 – keine dokumentierten Angriffe des Wolfes auf den Menschen gegeben habe.
Anders sehe es bei Nutztieren wie Schafen, Ponys oder Ziegen aus. Und LANUV-Sprecherin Birgit Kaiser de Garcia betont, dass man die Sorgen, Ängste und auch den Frust der Nutztierhalter verstehe und „sehr ernst“ nehme.

Nutztierrisse durch den Wolf in Heek sind bisher nicht bekannt. Und doch ist die Angst vor dem Raubtier da. Das wurde auf dem Rundgang deutlich. Vor allem Hundehalter scheinen in Sorge zu sein. Doch warum ist dem so?
Weil der Wolf den Hund – so erklärte es Stefan Amshoff – als Fressfeind, Revierkontrahent und als potenziellen Paarungspartner sieht. Darum könne man auch mögliche Zwischenfälle nicht gänzlich ausschließen. Doch mit ein paar Verhaltenstipps ließe sich das Risiko reduzieren.
Dazu gehören: Hund an die Leine, Waldwege – nicht nur wegen des Wolfes – grundsätzlich nicht verlassen, das Verhalten des Hundes beobachten (je nach Windrichtung kann dieser den Wolf zuerst wittern) und im Fall der Begegnung den Hund beruhigen.
Denn dass ein Hund die Auseinandersetzung mit einem Wolf überlebe, bezeichnete der Naturschutzwart als „sehr gering“. Doch was, wenn es tatsächlich zur Konfrontation kommt? Diese Frage stellte auch eine Teilnehmerin.
Eine pauschal gültige Antwort wollte der Naturschutzwart darauf nicht geben. Er persönlich würde sich aber in eine Auseinandersetzung von Hund und Wolf nicht einmischen. Aus Eigenschutz. Die Entscheidung müsse aber jede Hundehalter für sich selbst treffen.

Und ein grundsätzlicher Tipp für alle, die im Wald unterwegs sind, lautete: „Halten Sie immer nach Notinseln Ausschau.“ Also Dinge, die einem dabei helfen, Distanz zum Wolf aufzubauen. Ein Hochsitz, ein Baum oder aber Zäune entlang der Autobahn. Deren Tore sind nie verschlossen.
Auch helfe es, wenn der Wolf näher kommen sollte, auf sich aufmerksam zu machen. Etwa durch lautes Rufen – gepaart mit einem nicht hektischen Rückzug, bei dem man das Tier immer im Auge behalte. Wichtig: Auch Kinder sollten beruhigt werden.
Eine hektische Flucht und Gejammer könnten die Neugierde und den Jagdreflex beim Wolf auslösen. Genau das, was nicht passieren sollte. Bezogen auf Spaziergänge im Wald stellte der Naturschutzwart klar: „Jeder muss für sich entscheiden, wie viel Risiko er eingeht.“
Mit der Situation leben
Wie es mit dem Wolf in der hiesigen Gegend weitergeht, ist offen. Eine Entscheidung darüber, ob er willkommen ist oder nicht, fällt auf bundes- und landespolitischer Ebene. Auch über seine Aufnahme ins Jagdrecht.
Aktuell muss man in Heek und der Region lernen, mit der Situation umzugehen. Besonnen und faktenbasiert. Und ob der Wolf in der hiesigen Kulturlandschaft, die von Infrastruktur durchzogen ist, überhaupt dauerhaft sesshaft werden würde, kann derzeit niemand seriös beantworten.
Dieser Artikel erschien zuerst am 20. Januar 2025.