Das Blaulicht der zahlreichen Einsatzfahrzeuge von Polizei und Sanitätern war in der kalten Januarnacht Anfang 2023 kilometerweit zu sehen. Ein Großaufgebot an Einsatzkräften war vor Ort. Es war der „Höhepunkt“ einer wilden Verfolgungsjagd, die sich über etliche Kilometer zog und bei der sich zwei Polizisten verletzten. Jetzt ist der mysteriöse Fall gelöst.
Es waren Szenen wie aus einem Actionfilm, die sich in der Bauerschaft abspielten. Eine abrupt aus dem Ruder gelaufene Verkehrskontrolle auf der A 30 war der Auslöser. Monatelang war es ein Fall voller Fragezeichen.
Routinekontrolle
Alle jetzt folgenden Schilderungen der Geschnisse beruhen auf Gesprächen der Redaktion mit Polizei, der Staatsanwaltschaft, dem Landgericht Münster und der dazugehörigen jüngst dort stattgefundenen Verhandlung.
Es ist die Nacht zu Freitag (6. Januar 2023). Irgendwann zwischen 0 und 1 Uhr. Bundespolizisten wollen routinemäßig einen hochmotorisierten Mercedes auf der A 30 kontrollieren, der aus den Niederlanden kommt.
Die Polizisten leiten den Fahrer an der Abfahrt Gildehaus von der Autobahn auf die Baumwollstraße ab. Alles scheint normal. Doch dann tritt der Mann, der in Begleitung einer Frau ist, unvermittelt auf das Gas und flüchtet.
Verfolgung aufgenommen
Die Beamten nehmen sofort die Verfolgung auf, schalten das Blaulicht an, geben mehrfach das Signal anzuhalten. Vergeblich. Der junge Mann tritt das Gaspedal durch, rast durch Ortschaften mit knapp 100 km/h und beschleunigt außerorts den Wagen auf bis zu 160 km/h hoch.
Es entwickelt sich eine waghalsige Flucht über rund 40 Kilometer und durch mehrere Orte, ehe es in der Heeker Bauerschaft Averbeck zum traurigen „Höhepunkt“ kommt. Am Kreisverkehr B70/Legdener Straße drosselt der Flüchtige sein Tempo abrupt, um nicht aus der Bahn geworfen zu werden.
Zu abrupt für die Polizeibeamten, die ihm dicht auf den Fersen sind. Es scheppert das erste Mal. Die Verfolgungsjagd beendet das nicht. Die Flucht geht noch rund 1000 Meter weiter. Auf Höhe des Dillbaches legt der Verfolgte eine zweite scharfe Bremsung hin. Die Reifen quietschen.

Erneut so abrupt, dass die Polizeibeamten nicht rechtzeitig reagieren können und es auf Höhe einer Hofeinfahrt erneut kracht. Durch diese Kollision rauscht der Polizeiwagen vor einen Baum. Ein Totalschaden. Die zwei Beamten verletzen sich leicht, sind mehrere Tage dienstunfähig.
Der Flüchtige schert sich darum kein Stück und entkommt mit dem Mercedes-Leihwagen über verwinkelte Wege des Hofes. Wenig später ist nur noch Blaulicht zu sehen. Ein Großaufgebot der Polizei ist schnell vor Ort. Das belegen Fotos, die der Redaktion seinerzeit zugespielt wurden.
Flucht gelingt
Unverzüglich läuft auch die Fahndung nach den Flüchtigen an. Doch nur das Auto kann wenig später auf einem nahen Acker sichergestellt werden. Der Fahrer und seine Begleitung sind über das Feld geflüchtet. Die Frau wird aber später nach Zeugenhinweisen am Legdener Bahnhof aufgegriffen.
Dem Mann gelingt die Flucht. Wohin, ist bis heute unklar. Wochenlang wurde ermittelt, dann stellte die Staatsanwaltschaft Münster das Verfahren Ende Februar 2023 vorläufig ein. Es blieb vorerst ein mysteriöser Fall. Doch die Ermittler ließen im Hintergrund nie locker. Das zahlte sich aus.
Sie konnten den Mann doch noch überführen. Wie, dazu machen die Ermittlungsbehörden keine Angaben. So oder so hat der Mann jetzt ein „Gesicht“ bekommen. Und es wird klar, warum er eine derart waghalsige Flucht hinlegte und nur durch viel Glück nicht noch Schlimmeres passierte.

Der heute 25-Jährige ist das, was man salopp einen „Straßenkriminellen“ nennt. Er hat mit den „falschen Leuten“ abgehangen, viel Drogen konsumiert, Diebstähle und ‘zig andere Straftaten begangen. Etliche Jahre Jugendknast liegen hinter ihm. Mittlerweile ist er verlobt und hat einen Sohn.
Erste Jugendknast-Erfahrung machte der Mann mit gerade einmal 15 Jahren. Danach folgten „regelmäßige“ – teils lange – Knastaufenthalte.
Vier Straftatbestände
Zurück zur Tatnacht am 6. Januar 2023. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Mann nach seinem Freigang eigentlich zurück in den Maßregelvollzug gemusst. Doch stattdessen konsumierte er Drogen, lieh sich den Mercedes und machte mit einer „Bekannten“ lieber eine nächtliche Spritztour.
Obendrein hatte er keine gültige Fahrerlaubnis. Das alles waren seine Gründe für die Flucht vor der Polizei. In Summe waren das juristisch ein schweres, verbotenes Kraftfahrzeugrennen, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Unfallflucht und fahrlässige Körperverletzung (an den zwei Polizeibeamten).

Dafür bekam der 25-Jährige, der heute in einem kleinen Ort in Bayern wohnt, in erster Instanz eine einjährige Haftstrafe ohne Bewährung aufgebrummt. Gegen dieses Urteil legten Verteidigung und Staatsanwaltschaft Berufung ein, die jetzt am Landgericht Münster verhandelt wurde.
Und dort zeigte sich der junge Mann gar nicht so „gangsterlike“. Der 25-Jährige war elegant-schick gekleidet, allen Prozessbeteiligten gegenüber sehr höflich und kooperationsbereit. Keiner Frage der Richterin wich er aus. Schwierig vorzustellen, wozu er einst kriminell in der Lage gewesen ist.
Gute Sozialprognose
Sein Auftritt und jener seines Verteidigers hinterließen entsprechende Wirkung. Vor allem sein eigenen Angaben nach mittlerweile straf- und drogenfreies Leben, seine kleine Familie (Verlobte, Sohn (2) und Stieftochter (10)) sowie sein Bemühen, einen Job zu finden, überzeugten die 23. Strafkammer.
Selbst die Staatsanwaltschaft, die ursprünglich eine höhere Haftstrafe für den Mann im Sinne hatte, plädierte am Ende darauf, alles in eine Bewährung umzuwandeln. Und so kam es auch. Wegen der laut Strafkammer „jetzt guten Sozialprognose“. Begründet im positiven Lebenswandel. 100 Sozialstunden muss der Verurteilte aber ableisten.