Auf den ersten Blick las sich der Fall wie einer, der leider viel zu häufig vorkommt. Ein Mann aus Haltern missbraucht ein zwölfjähriges Mädchen. Doch diesmal ging die Initiative laut Urteil tatsächlich von der Schülerin aus. An der Verteilung von „Gut“ und „Böse“ änderte das jedoch nichts.
Das Essener Landgericht hat den 48-Jährigen am Montag zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. „Es ist wichtig zu sagen, dass die Zwölfjährige überhaupt keine Schuld trifft“, sagte Richter Markus Dörlemann bei der Urteilsbegründung. „Die Verantwortung liegt einzig und allein beim Angeklagten.“ Er hätte „Stopp“ sagen müssen. Trotzdem sei der Fall außergewöhnlich.

Es war im Sommer 2023 als auf dem Handy des Angeklagten plötzlich eine Nachricht aufploppte: „Lust auf Kontakt?“ Der Angeklagte konnte die Nummer erst nicht zuordnen, dachte lange, dass es sich um seine heimliche Ex-Geliebte handelte, die ein Jahr zuvor den Kontakt abgebrochen hatte und nun möglicherweise ein Spielchen mit ihm treibe.
Irgendwann war ihm jedoch klar, dass es tatsächlich die Tochter war, die sich bei ihm gemeldet hatte. „Ich habe Gefühle für dich entwickelt“, schrieb das Mädchen ihm. „Du hast mir gefehlt.“ Was folgte, war ein intensiver Chat-Verkehr, der sich immer mehr auf die sexuelle Ebene verlagerte.
„Verstand ausgeschaltet“
Am Anfang hatte der 48-Jährige offenbar noch Bedenken. „Ich könnte dein Opa sein“, schrieb er zurück. „Das geht nicht.“ Dann ließ er alle Hemmungen fallen. „Ich habe meinen Verstand ausgeschaltet“, sagte er den Richtern am Montag. „Ich habe rein egoistisch gehandelt. Ich bereue das zutiefst.“
Für das erste Treffen in einem kleinen Park in Haltern soll die Zwölfjährige ein Kleid angezogen haben – ohne Unterwäsche. „Mir war sofort klar, worauf das hinauslaufen sollte“, so der 48-Jährige, der nach eigenen Angaben seit über 20 Jahren eine feste (erwachsene) Partnerin hat. Was folgte, waren immer wieder heimliche Treffen – 16 Wochen lang. Dann entdeckte die Mutter des Mädchens den Chatverkehr der beiden.
Schülerin in Behandlung
Als der Angeklagte in Untersuchungshaft kam, brach die Schülerin zusammen. Sie kam nicht mehr aus ihrem Zimmer, ging nicht mehr zur Schule, wurde aggressiv, begann sich zu ritzen. „Sie hat sich selbst die Schuld gegeben“, sagte ihre Mutter den Richtern. Drei Monate lang wurde ihre Tochter in einer Tagesklinik behandelt. Die Probleme dauern bis heute an.
Als das Urteil gesprochen wurde, konnte es der Angeklagte zunächst nicht fassen. Er brach in Tränen aus, jammerte, dass er erst als alter Mann wieder aus dem Gefängnis komme. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft sogar über fünf Jahre Haft beantragt. Am Ende hieß es, dass er die Strafe doch akzeptieren will.