WG mit Handicap Ernst-Lossa-Bewohner in Haltern erzählen vom selbstständigen Leben

Dritte WG im Ernst-Lossa-Haus erzählt vom selbstständigen Leben
Lesezeit

Eine große Tafel hängt an der Wand im Esszimmer. Jede Spalte ist ein Wochentag, jede Zeile ein Mitbewohner. Aufräumen, einkaufen, Wäsche waschen, Müll rausbringen - die Dienste werden jede Woche neu aufgeteilt.

Auf den ersten Blick gleicht die WG an der Drususstraße in Haltern jeder anderen Wohngemeinschaft. Der Mülldienst nervt am meisten, es gibt einen Gemeinschaftsraum, im Kühlschrank hat jeder sein eigenes Fach. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, was diese WG von anderen unterscheidet: Alle vier Mitbewohner leben mit einer Behinderung.

Annegret ist mit 67 Jahren die älteste Bewohnerin der betreuten Wohngemeinschaft des Ernst-Lossa-Hauses. Die Rentnerin hat vorher noch nie in einer WG gewohnt. „Unsere Puzzle-Queen“, sagt ihre Mitbewohnerin Lara (32) über sie. Die zwei gehen auch einmal im Monat zusammen zum Bowling.

Vier unterschiedliche Bewohner

Sonst schreibt Lara in ihrer Freizeit Gedichte und tanzt. „Und ich koche gerne mit meinem Freund“, sagt sie mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Die zwei sind eine Woche nach ihrem Einzug in die WG ein Pärchen geworden. „Bald sind wir drei Jahre zusammen.“

Laras Freund Paul (24) sitzt neben ihr. Er kocht schon, seit er acht Jahre alt ist. Doch weil er Schwierigkeiten mit dem Lesen hat, musste er seine ganz eigenen Strategien entwickeln, Rezepte zu lernen. Bald will Paul sein erstes eigenes Brot backen. Wenn er nicht in der Küche steht oder mit seiner Freundin Zeit verbringt, hat Paul noch ein Hobby: „Ich bin ein Nerd“, sagt er. „Ich zocke gerne und gucke Filme.“

Der jüngste Bewohner in der WG ist Julian (22). Er arbeitet gerade an einem Kochbuch, in dem die Rezepte mit Bildern dargestellt werden sollen, damit er und sein Mitbewohner Paul sie leichter nachkochen können.

Julian ist mit seinen „Bommels“ stadtbekannt geworden. „Das mache ich immer noch“, sagt er stolz. Blau-gelbe-Bommel hat er gebastelt, als in der Ukraine-Krieg losgegangen ist. Für den guten Zweck hat er die Bommel dann verkauft.

Insgesamt drei WGs in Haltern

2021 sind die vier in die WG eingezogen. Es ist eine von drei WGs des Ernst-Lossa-Hauses in Haltern. Der Verein mietet die Häuser von Privatleuten und vermietet die Zimmer dann an die Bewohner weiter. Fast 30 andere Leute werden von den Mitarbeitern in Einzelwohnungen betreut.

Mit den Bewohnern der anderen Wohngemeinschaften machen sie auch Ausflüge am Wochenende. Einmal im Monat wird ein gemeinsames Sonntagsfrühstück organisiert, im Sommer lädt der große Garten zum Grillen ein.

Im Alltag essen die Mitbewohner auch gerne zusammen, aber es soll nichts erzwungen werden. „Wer kaputt ist, geht einfach in sein Zimmer“, sagt Frank Börgers, Leitung Ambulant Unterstützender Dienstes.

Die Bewohner und Mitarbeiter
Die WG mit den Mitarbeitern des Ernst-Lossa-Hauses: Frank Börgers (h.l.) und Thilo Wichmann (h.r.), in zweiter Reihe stehen Julian und Paul, vorne ist Alltagsassistenz Erik Althoff (v.l.), Annegret und Lara. © Anne Schiebener

Sie alle sind zum ersten Mal von zu Hause ausgezogen. Die Selbstständigkeit ist das, was ihnen besonders gut gefällt. „Wir sind nachts alleine hier“, sagt Paul. „Es gibt nur eine Rufbereitschaft.“ Die Nummer der Rufbereitschaft steht an einer anderen Tafel im Esszimmer.

Mehrere Alltagsbetreuer unterstützen die Bewohner, zum Beispiel beim Fenster putzen, beim Wäschewaschen oder begleiten sie zu Terminen. „Aber es gibt auch die Dienste“, sagt Frank Börgers. Er zeigt an die Aufgabentafel. „So wie das in einer WG üblich ist. Jeder wird mit seinen Stärken so integriert, wie er kann.“

„Wir wollen nicht auffallen“

Die Ernst-Lossa-WG soll eben eine WG sein, wie jede andere auch. „Wir wollen gar nicht groß auffallen“, sagt Frank Brögers. Das klappt gut in Haltern. „Die Halterner haben eine hohe Toleranz für Menschen mit Handicap.“

Paul stimmt ihm zu. „Ich komme aus Recklinghausen“, sagt der 24-Jährige. „Ich bin mit fast 1,80 Metern nicht gerade klein und falle auf. In Recklinghausen wurde ich oft schief angeguckt. Hier werde ich bei meinem Stammgriechen mit Handschlag begrüßt.“

Zum Thema

Kontakt und Spenden für das Ernst-Lossa-Haus

  • Frank Börgers steht als Ansprechpartner bei Fragen oder Interesse zu Verfügung. Er kann per Mail (f.boergers@ernstlossahaus.de) oder telefonisch (02364/9300717) kontaktiert werden.
  • Wer das Ernst-Lossa-Haus finanziell unterstützen möchte, kann an das folgende Spendenkonto spenden: Ernst Lossa Haus e.V., Volksbank Südmünsterland-Mitte eG, IBAN: DE15 4016 4528 0203 4001 00

Hinweis: Dieser Text erschien ursprünglich am 18. Februar 2024.