Als im März 2012 die Nachricht vom Abriss des Old Daddy in Haltern die Runde machte, war klar, dass eine Institution des Nachtlebens im Revier für immer von der Bildfläche verschwinden würde.
Das waren noch Zeiten: Die Kult-Diskothek Halterns war seit 1967 wöchentlicher Pilgerort der lebenshungrigen Jugend Halterns. Die Anfänge – sie waren eher brav bürgerlich. Dieter Böhmer, dessen Familie die Immobilie gehörte, erzählt: „Hier gingen Halterner Junggesellen am Wochenende auf Brautschau. So manche Ehe bahnte sich in der Lokalität im Schatten des Rathauses an.“ Seine eigene auch.
Subkultur der Stadt
Im Schuppen in der Goldstraße hinter dem Alten Rathaus rebellierte später unter dem zweiten Pächter Werner Ortmann die Jugend der 60-er und 70-er Jahre gegen biedere Konventionen, hier traf sich besonders unter dem dritten Pächter Edgar Engel die Subkultur der Stadt.
Edgar Engel (2015 verstorben) übernahm 1977 als Pächter das „Old Daddy“. Doch in den 80-er Jahren gab es viel Ärger mit den Nachbarn, mit der Stadt und (nach der Auflösung der Diskothek Metropol in Marl) wegen Drogenhandels mit der Polizei. Edgar Engel zog fort, eröffnete drei Diskotheken in Oberhausen und Duisburg. 1987 aber kam er zurück zur Recklinghäuser Straße (heute Edeka Bleise) und belebte das Daddy neu.
Konzert mit den Toten Hosen
Namhafte Bands und Musiker tourten nach Haltern: Die Toten Hosen oder Zeltinger beispielsweise. 1996 zählte die Disco an der Recklinghäuser Straße mit 2500 Quadratmetern und vier Tanzflächen zu den größten Diskotheken im Revier.
Freitags und samstags gehörten die Tanzflächen den 16- bis 26-Jährigen, mittwochs war Oldie-Abend, donnerstags legte der Halterner Klaus Hensler mit Rock und Pop die typische Daddy-Mucke auf. „Es war eine tolle Zeit“, schwärmt er, der heute in Griechenland lebt.

Klaus Hensler aus Haltern legte bis 2002 im Daddy auf. © : privat
Klaus Hensler arbeitete bis 2002 im Daddy. Mit ihm endeten die goldenen Zeiten. Das war aber zufällig
Das Wirtschaften am Finanzamt vorbei machte das Unternehmen groß, umso tiefer war dann 2001 mit der Entdeckung von 2,5 Millionen Euro Steuerschulden der unaufhaltsame Fall.
Die Partys gingen weiter
Edgar Engel bekam Stress mit der Steuerfahndung. Die Partys gingen weiter, aber zur Wahrheit gehört auch, dass am Daddy mit Drogen gehandelt wurde, die Polizei regelmäßig zu Schlägereien gerufen wurde, die Disco ein dubioser Szenetreff war und Partygänger die Nachbarschaft mit Lärm und Zerstörungsgelüsten auf die Palme trieben.
Schon seit Anfang 2002 war klar, dass Roman irgendwann die Geschäfte seines Vaters Edgar übernehmen würde, doch als sich die Ereignisse im Frühjahr überschlugen - Steuerfahndung im Haus, Vater in Untersuchungshaft, schließlich der Prozess -, war es für Roman doch ein Sprung ins kalte Wasser. „Das betriebliche Chaos hatte sich mit dem Jahresabschluss 2002 erledigt“, so Engel. Von den Herren der Steuerfahndung sei er mit Lob überschüttet worden, da alles gerade gestellt worden sei, betonte Roman Engel damals gegenüber der Halterner Zeitung. Unterstützt wurde er von seiner Stiefmutter Maria Engel. Eine unschätzbare Hilfe für den jungen Geschäftsführer - schließlich hat die Ehefrau von Edgar Engel fast 30 Jahre lang Erfahrungen im Betrieb gesammelt.
Doch Roman Engel schrieb rote Zahlen und musste aufgeben. Als Betreiber stiegen im Dezember 2005 Tomasz Jacowicz, Friedrich Morisak und Klaus Engberding voller Energie in das Disco-Projekt ein.
Viel Optimismus
Das Geschäft im Halterner Tanztempel mit vier Musikareas aber lief schlecht, deshalb zogen sie nach noch nicht einmal einem Jahr schweren Herzens die Konsequenz und stellten im Oktober 2006 den Betrieb ein. „Die Stimmung unter den Gästen war immer gut, aber es kamen einfach zu wenig Leute“, resümierte Marketing-Chef Gregor Pichotka.
„Old Daddy GmbH in Gründung“ hieß dann die neue Betreiberfirma. Ejea Blessing aus Bottrop ging voller Optimismus an die Arbeit: „Das Old Daddy war immer Kult. Ich führe diesen Kult weiter“, sagte sie. Das neue alte „Old Daddy“ sollte keine Eintagsfliege sein. War sie dann aber irgendwie doch. Im Mai 2009 war wieder Schluss.

2012 rotierte der Abrissbagger am Old Daddy. Die Diskothek war endgültig Geschichte. © Holger Steffe
Zuletzt war das Daddy abgewirtschaftet, auch wenn Jugendliche dort noch immer gerne Party machten.Im Juni 2010 begannen die Herner Investoren und neuen Besitzer, Hermann und Michael Hiesgen, die das 14.500 Quadratmeter große Gelände im Mai ersteigert hatten, mit den Aufräumarbeiten.
Eine Müllhalde
Über die Jahre wurde das Areal von einer Vielzahl unterschiedlicher Nutzer nahezu in eine Müllhalde verwandelt. Sowohl im Außenbereich als auch in nicht genutzten Hallenflächen stapelten sich Berge von Müll. 17 Container mit einem Volumen von jeweils 40 Kubikmetern wurden in einer groß angelegten Aktion vor und hinter der Disco aufgestellt, um unter anderem 20 Tonnen Holz, 15 Tonnen Papier, drei Tonnen Grünabfälle und 30 Tonnen Restmüll fachgerecht zu sortieren und zu entsorgen. Nur mit Hilfe eines Baggers und zwei Radladern konnten die 16 Mitarbeiter des Entsorgungsunternehmens diese stattliche Aufgabe bewältigen. 2012, mit dem Abriss, war das Daddy Geschichte. Später eröffneten auf dem Areal ein Edeka-Markt und eine Waschanlage, eine Getränkehalle soll bald ergänzt werden.
Facebook-Community
Noch heute gibt es eine Facebook-Community mit über 3000 Abonnenten. „Das Daddy war echt die geilste Disse in meinem Umkreis. Freitags und samstags immer da gewesen. Ich vermisse das Daddy echt“, heißt es in einem Eintrag. Oder: „Immer wenn ich das Edeka-Center sehe, wird mein Herz ganz schwer.“ Oder: „Es war eine grandiose Zeit mit grandiosen Menschen!“
Der Schuppen schrieb trotz aller negativen Schlagzeilen die berührendsten Geschichten (mögen manche auch verklärt sein): von Liebesglück und echten Freundschaften, tollen Partys und aufregenden Abenden.
Haltern am See ist für mich Heimat. Hier lebe ich gern und hier arbeite ich gern: Als Redakteurin interessieren mich die Menschen mit ihren spannenden Lebensgeschichten sowie ebenso das gesellschaftliche und politische Geschehen, das nicht nur um Haltern kreist, sondern vielfach auch weltwärts gerichtet ist.
