Schulleiter Ulrich Wessel verabschiedet sich Nur für die Tragödie gab es keinen Plan

Ulrich Wessel nimmt Abschied: Nur für die Tragödie gab es keinen Plan
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Im September 2009 ernannte der damalige Dezernent Jürgen Mathey von der Bezirksregierung Münster Oberstudiendirektor Ulrich Wessel nach eindeutigem Votum der Schulkonferenz und der Lokalpolitik offiziell zum Leiter des Joseph-König-Gymnasiums. Lehrerkollege Ulrich Falterbaum sorgte gleich für Rückenwind: „Keine Sorge, Du hast ein gutes Team, auf das Du Dich auch bei schwerem Wetter verlassen kannst.“

In schwere Wetter geriet das Joseph-König-Gymnasium tatsächlich und Ulrich Wessel erfuhr, dass Ulrich Falterbaum kein leeres Versprechen abgegeben hatte. 2015 kamen 16 Schülerinnen und Schüler sowie zwei Lehrerinnen beim Absturz einer Germanwings-Maschine mit weiteren Insassen ums Leben. Eine traurige Zäsur in seiner Schulkarriere, die jetzt für Ulrich Wessel zu Ende geht.

Der 65-Jährige geht in den Ruhestand. Am 2. Juli findet die offizielle Verabschiedung statt. „Ich werde die Schule vermissen“, gesteht der 65-Jährige ganz offen. Schließlich ist er jeden Morgen gern ins Gymnasium gegangen. Und das morgens früh um sechs, um in Ruhe den Tag vorbereiten zu können.

Doch Ulrich Wessel, der im Juli 66 Jahre alt wird, kann mit dem Abschied gut umgehen. „Nein, ich habe erst einmal keinen Plan. Alle glauben, so planlos sei Ruhestand nicht möglich.“ Er aber freue sich zunächst darauf, nicht mehr jeden Tag durch Termine getaktet zu sein. Außerdem darauf, Zeit zu haben für seine Familie: Ehefrau Birgit, drei Kinder mit ihren Partnern und zwei Enkeltöchter.

Ulrich Wessel erhält von Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz
Bundespräsident Joachim Gauck (r.) verlieh Ulrich Wessel am 5. Dezember 2016 im Schloss Bellevue in Berlin das Bundesverdienstkreuz. © dpa / Wolfgang Kumm

Vom Halterner Gymnasium sei er eigentlich nie wirklich los gekommen, schmunzelt Ulrich Wessel. Als Schüler hat er dort sein Abitur abgelegt, während des Studiums war er an der Schule Vertretungslehrer, später Referendar und ab 2005 stellvertretender Schulleiter, vier Jahre später verantwortete er das Gymnasium. „Ich kam in bekannte Strukturen zurück.“ Fünf Minuten Fußweg von seinem Zuhause. Sein Wunsch war, die Schule weiterzuentwickeln zu einem leistungsorientierten Ort und zu einer Schulgemeinde, in der sich jeder wohl- und ernst genommen fühlt.

Verfechter von G9

Es hat sich viel bewegt in den letzten 15 Jahren. Das Joseph-König-Gymnasium ist beispielsweise seit 2010 Europaschule mit Kontakten nach Polen, Spanien, Finnland, Frankreich und in die Niederlande.

Die Verkürzung der Schulzeit von G9 auf G8 und 2012 ein Abijahrgang mit 259 Schülerinnen und Schülern - dem größten aller Zeiten - und schließlich die Rückkehr zu G9 (weshalb es 2026 kein Abitur geben wird) forderten Ulrich Wessel als Verfechter von G9 heraus.

Sehr am Herzen liegt ihm die mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges eingerichtete internationale Klasse mit 26 Schülerinnen und Schülern aus der Ukraine und vier weiteren Nationalitäten. Nach einer zweijährigen Erstförderung wird geprüft, wo die Schullaufbahn am besten fortgesetzt wird.

Zeugnisübergabe mit Maske
Corona war für alle Schulen eine schwierige Herausforderung und mit vielen Einschränkungen verbunden. Zeugnisübergabe mit Maske - das hatte es bei Abiturfeiern zuvor nie gegeben. © Jürgen Wolter

Doch ins mediale Interesse rückte die Schule durch ein unendlich trauriges Ereignis. Der Flugzeugabsturz am 24. März 2015 in den französischen Alpen sei die schwerste Erfahrung seines Lebens gewesen, sagt Ulrich Wessel. Damals habe er sich wie der hilfloseste Mensch Deutschlands gefühlt. „Für eine solch immense Erschütterung gibt es keinen Plan.“

Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck verlieh ihm im November 2016 in Berlin den Bundesverdienstorden mit der Begründung, Ulrich Wessel tue alles Erdenkliche, um den Angehörigen der Opfer, den Schülern und dem Kollegium des Halterner Gymnasiums zu helfen, die traumatischen Ereignisse zu verarbeiten und mit dem veränderten Alltag zurechtzukommen. Er gebe der Solidargemeinschaft ein Gesicht, indem er anderen zur Seite stehe.

Bescheidene Persönlichkeit

Ulrich Wessel verstand die Auszeichnung nicht als persönliche Ehrung, er nahm sie stellvertretend an. „Sehr viele Menschen in Haltern haben versucht, hier vor Ort den Eltern, Familien, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie Kolleginnen und Kollegen beizustehen. Ich kann und werde mich in Berlin nur als Stellvertreter für alle in unserem Ort und unserer Schule sehen.“ Es war schon immer Lebensmaxime von Ulrich Wessel, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen.

Ulrich Wessel mit Kanzlerin Angela Merkel
Im Oktober 2015 besuchte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel das Joseph-König-Gymnasium. Sie löste ihr Versprechen, Haltern und die Angehörigen der beim Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Kinder und Lehrerinnen besuchen zu wollen, ein. © Holger Steffe

Rückblickend auf das Schulleben stellt Ulrich Wessel fest, dass der Unterricht sich gewaltig verändert habe hin zu kooperativen Lern- und Arbeitsformen. Auch sei die Digitalisierung des Unterrichts als wichtige Aufgabe hinzugekommen. Das Gymnasium sei bestrebt, jeden Schüler und jede Schülerin nach deren Fähigkeiten zu fördern und sich durch die Bildung kleinerer Klassen unterschiedlichen Lernbedingungen anzupassen.

Dank an Schulgemeinde

Er sagt auch, die Erwartungshaltung von Eltern an Schule sei größer geworden. Man müsse sich die Frage stellen, was Schule an zusätzlichen Erziehungsaufgaben überhaupt noch leisten könne. Die Arbeitsbelastung des Kollegiums sei durch permanente Übernahme weiterer Aufgaben enorm hoch: „Ich sehe häufig in erschöpfte Gesichter!“ Ulrich Wessel vermisst klare Leitlinien der Landespolitik.

Am Ende bleibt der Dank an die ganze Schulgemeinde für ein einvernehmliches Gestalten des Schulalltages. „Konflikte wurden nie persönlich ausgetragen, es gab nie verhärtete Strukturen.“

Den Absolventen des Joseph-König-Gymnasiums gibt er seit der Flugzeugkatastrophe gern mit auf den Weg, sich die Fähigkeit zu bewahren, das Glück des Augenblicks zu genießen. Aber auch, sich bewusst zu sein, dass sie nicht nur in einer Spaßgesellschaft leben. „Als zukünftige Leistungsträger haben sie die Pflicht, die Welt zu gestalten und gerade jetzt bei der Gefährdung der Welt Flagge zu zeigen.“

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Zur Person

  • Ulrich Wessel wurde in Haltern geboren. Sein Vater leitete einst die Realschule. Nach dem Abitur 1977 studierte er Geografie und Theologie, später noch Latein.
  • Von 1983 bis 1985 war er Referendar am Halterner Gymnasium, von 1985 bis 2005 unterrichtete Ulrich Wessel am Willy-Brand-Gymnasium in Oer-Erkenschwick. 2005 kam er als neuer stellvertretender Schulleiter zurück nach Haltern. Wegen der Erkrankung des Schulleiters Johannes Hermsen musste er zwischendurch häufig das Gymnasium hauptverantwortlich leiten. 2009 schließlich übernahm er die Schulleitung.
  • Ulrich Wessel engagierte sich nebenbei immer ehrenamtlich, u.a. in der Kirchengemeinde St. Laurentius und als Mitorganisator für Aktionen zugunsten von Arco Iris und Pater Neuhofer in Bolivien.