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Übersicht über die Verwendung der Kirchensteuer in Haltern
Kirchensteuer
Die einen stören sich daran und treten aus, die anderen geben Monat für Monat gerne ihren Obolus. „Ich glaube, für viele ist tatsächlich der neuralgische Punkt, dass die Kirchensteuerzahler nicht wissen, wo das Geld bleibt“, sagt Pfarrer Michael Ostholthoff von der Pfarrei St. Sixtus. Wir erklären, wie die Steuern in Haltern am See eingesetzt werden.
Die Kirchensteuer ist die weitaus wichtigste Finanzierungsquelle der 27 katholischen Bistümer sowie der 20 Landeskirchen der evangelischen Kirche Deutschlands. Auch die Halterner Gemeinden wirtschaften damit.
Zuletzt flossen den beiden großen Kirchen mit ihren 47 Millionen Mitgliedern etwa 11,5 Milliarden Euro zu. Was ist viel, was ist wenig? Jedenfalls zahlen zum Vergleich 17 Millionen Raucher im Land 14 Milliarden Euro Tabaksteuer.
Wie viel Geld kommt in Haltern an und wie wird es eingesetzt? Für Phil Feldmann von der Gemeinde St. Marien findet es gute Verwendung. Er nutzt mit seiner Frau und seinen drei Kindern viele kirchliche Angebote, seit der Einführung der neuen jungen Pfarrer insbesondere. Seine Steuern zahlt er deshalb gerne.
Video-Interview mit dem Halterner Steuerberater Phil Feldmann (Team confides):
Die Sixtus-Pfarrei erhielt für die Arbeit in 2018 gut 1,7 Millionen Euro Kirchensteuern, die evangelische Gemeinde kann mit 321.820 Euro wirtschaften.
Schon seit Jahren gleicht die gute Konjunkturlage sinkende Mitgliederzahlen durch Tod oder Austritt mehr als aus. Paradiesische Zeiten für Kirchengemeinden wie Haltern? Ganz und gar nicht. Die verbliebenen Mitglieder bekommen von der bisher üppigen finanziellen Ausstattung wenig mit. Und noch etwas: Die meisten Christen bezahlen Kirchensteuer für etwas, dessen Leistungen sie gar nicht in Anspruch nehmen. Nur etwa zehn Prozent der 21.828 Katholiken und 7.145 evangelischen Christen Halterns nehmen überhaupt am Gemeindeleben teil.
Missbrauchsskandal und Tebartz van Elst
Deshalb und aus anderen Gründen hat beispielsweise der 27-jährige Chemikant aus Haltern (er möchte nicht mit Namen genannt werden) seinen Austritt aus der Kirche erklärt. Das war 2014. Eine allzu große Bindung zur Kirche hatte der Halterner nie. Der einzige Grund, der ihn lange Zeit noch in der Kirche gehalten habe, sagt er, sei die Tatsache gewesen, dass das Geld auch für gemeinnützige Arbeit ausgegeben werde. „Allerdings störte mich die Höhe der Steuer immer mehr, sodass ich schon eine lange Zeit überlegte, auszutreten“, erklärt er.
Als dann 2014 der Skandal um Tebartz van Elst öffentlich geworden sei und er auch nach dem Missbrauchsskandal nicht das Gefühl hatte, dass die Kirche wirklich durchgegriffen habe, war für ihn der Punkt gekommen, einen Schlussstrich zu ziehen. Im letzten Jahr in der Kirche (2013) hat der 27-Jährige 875,60 Euro Kirchensteuern gezahlt, 2017 hätte er etwa 1100 Euro zahlen müssen.
Die evangelische Kirchengemeinde Haltern hat in diesem Jahr aufgrund des hohen Kirchensteueraufkommens 60.000 Euro mehr als im Vorjahr im Portemonnaie. „Das ist eine gute Entwicklung“, sagt Finanzkirchmeister Hans-Jürgen Kröncke, „aber wir werden wieder an den Punkt kommen, wo uns deutlich weniger zur Verfügung steht.“ Sparsames Haushalten ist angesagt. „In jeder Diskussion geht es um die Frage: Was können wir uns leisten“, sagt Pfarrerin Regine Vogtmann. Wichtig sei den Verantwortlichen trotz allem immer das finanzielle Engagement für Kinder- und Jugendarbeit, um Bindung von klein auf zu ermöglichen. Deshalb habe die Gemeinde sich auch für die Trägerschaft des neuen Martin-Luther-Kindergartens entschieden.
Doch mit der Treue halten es Gemeindeglieder nicht so genau: Die Landeskirche verliert jährlich ein Prozent ihrer Glieder.
In Haltern als Zuzugsgemeinde gab es kaum Verluste. „Noch geht es uns gut, aber es werden auch in Haltern weniger“, ist Pfarrer Günter Johnsdorf sicher. Zu den Gründen gibt es nur eine Ahnung. Möglicherweise können und wollen junge Menschen oder Familien die Belastungen durch die Kirchensteuer nicht tragen, aber Pfarrerin Regine Vogtmann glaubt auch, dass eine Entfremdung der Hauptgrund ist. Das Presbyterium schreibt Ausgetretene an und fragt nach. Aber der Rücklauf ist gering.
Um alle Aufgaben stemmen zu können, hat die Kirchengemeinde Fördervereine im Kindergarten, in den Ortsteilen Sythen und Lippramsdorf sowie für die Kirchenmusik gegründet. Pfarrer Johnsdorf hob 1998 die Gemeinschaftsstiftung „ernten und säen“ ins Leben. Bis heute sind 504.795 Euro Spenden eingegangen, die neben der Kirchensteuer in der Gemeinde eingesetzt werden. Diesem Pilotprojekt sind inzwischen 60 Gemeinden der Landeskirche gefolgt. Aber Pfarrer Johnsdorf sagt auch: „Wir brauchen dennoch die Kirchensteuer als verlässliche Einnahmequelle.“
„Das erfordert deutliche Sparmaßnahmen“
Für die Finanzierung der Pfarrei St. Sixtus stehen bis zum Jahr 2035 jährlich nur noch 700.000 Euro zur Verfügung. Pfarrer Michael Ostholthoff sagt ganz deutlich: „Das erfordert trotz einiger weniger Rücklagen deutliche Sparmaßnahmen.“ Wie soll das ein Kirchenmitglied verstehen, wo doch im Bistum beispielsweise pro Kopf rund 254 Euro Kirchensteuer (Stand 2016) eingezogen wird? „Ich glaube, für viele ist tatsächlich bei einem Kirchenaustritt der neuralgische Punkt, dass der Kirchensteuerzahler nicht weiß, wo das Geld bleibt“, vermutet Pfarrer Ostholthoff.
Kontinuierlich verabschieden sich in Haltern pro Jahr 110 Katholiken von der Kirche. Das geschieht förmlich beim Amtsgericht, anschließend bekommt die Pfarrei eine schlichte Mitteilung. „Niemand nennt die Beweggründe. Wir schreiben Briefe, erhalten aber nie Antworten“, bedauert Pfarrer André Pollmann.
Grundsätzliches Problem sind neben den Austritten auch die Überalterung der Gemeindemitglieder. Weil die, die aus dem aktiven Arbeitsleben ausgeschieden sind, keine Kirchensteuer zahlen, wird die Gruppe der Zahlenden weniger. In den nächsten zehn Jahren rechnet das Bistum mit einem Rückgang der Steuern um 30 Prozent. „Wir bereiten uns auf diese anderen Zeiten vor. Die Schlüsselzuweisungen werden innerhalb der nächsten zehn Jahre kontinuierlich um zwei Prozent sinken, das macht insgesamt eine Ersparnis von einer Million Euro aus“, rechnet Pfarrer Ostholthoff vor.
Wie will die Pfarrei St. Sixtus das auffangen? „Es wird schwierig, aber wir müssen kreativ neu schauen“, betont Pfarrer Pollmann. Potenzial sehen die Seelsorger beim Personal und durch Erhöhung von Mieten und Pachtzinsen.
Ein Förderverein zur Rettung der Kirchen?
Vorstellbar ist für sie auch die Gründung eines Fördervereins oder die Suche nach Kooperationspartnern zwecks Erhalt der Pfarrheime. „Nur durch eine vernünftige Haushaltspolitik können wir als Kirche in Haltern unsere Attraktivität behalten und trotz allem neue Akzente setzen“, betont Pfarrer Ostholthoff. Manchmal werden sich die Katholiken auch auf unpopuläre Entscheidungen einlassen müssen. Aber er sieht die Verantwortlichen in der Pflicht, achtsam und bewusst zu handeln, damit Kirche ein verbindlicher Arbeitgeber und Mittler des Glaubens bleibt.
Diesen Rückgang hat der Kassenwart der Pfarrei St. Sixtus im Blick. Karl-Heinz Gerritsen, Leiter der Zentralrendantur, führt Buch, wie die Schlüsselzuweisungen vom Bistum in Haltern verteilt werden. Er ist der Wächter des Geldes, das der Kirchenvorstand ausgibt: für Kirchen, Kapellen, Dienstwohnungen, Pfarrheime, Pastoral- und Kontaktbüros. „Bei den Schlüsselzuweisungen vom Bistum werden eigene Einnahmen, die durch Vermietungen und Verpachtungen eingehen, angerechnet“, erklärt Karl-Heinz Gerritsen. Der größte Batzen auf der Ausgabenseite sind die Personalkosten.
Die Pfarrei St. Sixtus mit neun Gemeinden zählt mit über 200 Mitarbeitern – Altenheime und Caritas nicht eingerechnet – zu den größten Arbeitgebern Halterns. Die zehn katholischen Kindergärten mit über 700 Plätzen werden über einen Sonderhaushalt abgerechnet. Sechs Prozent der Kosten in Höhe von 7.322.183 Euro trägt die Kirchengemeinde. „Staatliche Stellen arbeiten gern mit der Kirche zusammen. Sei es im Gesundheitswesen oder in der Kinderbetreuung, weil sie mit ihren eigenen Ressourcen diese Bereiche gar nicht abdecken können“, sagt Gerritsen.
„Träger von Kitas müssen grundsätzlich einen Trägeranteil leisten“
Bürgermeister Bodo Klimpel bestätigt das: „Träger von Kitas müssen grundsätzlich einen Trägeranteil leisten, der je nach Rechtsform des Trägers unterschiedlich hoch ist. Das entlastet den städtischen Haushalt.“
Im Kreisdekanat Recklinghausen sind von 498.703 Einwohnern 204.347 katholisch, es gibt 78 Kirchen, 6102 Kinder werden in 91 Tageseinrichtungen betreut. Sitzplätze in den Kirchen: 38.648.
Matthias Heeks (54) aus Lippramsdorf ist jemand, der regelmäßig in die Kirche geht und für den niemals ein Kirchenaustritt in Frage käme. Um Steuern zu sparen, schon gar nicht. Ihm sind im Elternhaus christliche Werte vermittelt worden, er war nach der Erstkommunion Messdiener auf dem Annaberg und wirkt heute als Kommunionhelfer und Sprecher des Gemeindeausschusses Lippramsdorf aktiv mit. „Durch den Zuspruch im Ehrenamt und durch die Unterstützung innerhalb der Gemeinde fühle ich mich eher gefestigt in meiner positiven Haltung der Kirche gegenüber und ebenso in meinem christlichen Glauben.“
Weil die Höhe der Kirchensteuer vom Einkommen abhängt, profitierten die Kirchen von steigenden Löhnen und geringer Arbeitslosigkeit – und zwar so stark, dass das sogar Kirchenaustritte überkompensierte. Finanziert werden aus diesen Einnahmen die Gehälter der Pfarrer und die Gemeindearbeit. Für andere soziale Aufgaben wie das Betreiben von Kindergärten, Krankenhäusern oder Schulen bekommen die Kirchen staatliche Zuschüsse. Doch das sind bei Weitem nicht die einzigen Leistungen des Staates an die Kirchen.
Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche erhalten zusätzlich immer noch eine jährliche Entschädigung für Enteignungen im 18. und 19. Jahrhundert.
Knapp 23,6 Millionen Deutsche bekennen sich zur katholischen Kirche
Damals gingen im Zuge der Säkularisierung kirchliche Grundstücke an den Staat. Im Gegenzug sagten die Fürsten zu, für die Kirchen zu sorgen. 1919 wurden diese Staatsleistungen in der Weimarer Reichsverfassung verankert, später fanden sie ihren Weg ins Grundgesetz. Allein in diesem Jahr fließen als Entschädigungszahlung 524 Millionen Euro vom Staat an die Kirchen. Aufkommen müssen dafür alle Steuerzahler – also nicht nur Kirchenmitglieder. Und das heißt auch: Wer keiner Kirche angehört oder Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft ist, zahlt den Bischöfen die Gehälter.
Zur katholischen Kirche bekennen sich deutschlandweit noch knapp 23,6 Millionen Menschen, das sind 28,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die evangelischen Kirchen kommen auf gut 21,9 Millionen, was einem Bevölkerungsanteil von 26,5 Prozent entspricht. Somit gehören derzeit nur noch gut 55 Prozent der Deutschen einer der beiden großen Kirchen an.
Innerhalb der evangelischen und der katholischen Kirche war und ist die Kirchensteuer unumstritten, da das System eine verlässliche Finanzierung der kirchlichen Arbeit ermöglicht. Doch die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ plädiert für eine Abschaffung des derzeitigen Kirchensteuersystems. Annegret Laakmann aus Flaesheim, Mitbegründerin der Bewegung, erklärt warum: „Unser Hauptkritikpunkt ist die Koppelung der Kirchenmitgliedschaft mit der Kirchensteuer. Es heißt: Wer keine Steuern zahlt, gehört nicht mehr dazu. Dabei ist eigentlich die Taufe das unauslöschliche Zeichen der Zugehörigkeit zur Kirche.“
Die Bewegung „Wir sind Kirche“ kann sich Alternativen vorstellen: Zahlung an die Gemeinde mit möglicher Verweigerung der Weiterleitung an den Diözesanbischof, frei wählbare Kultursteuer, Wahl der Zahlung in die Haushalte der Pfarrgemeinden, Dekanate oder des Bistums.
„Automatische Exkommunikation ist nicht haltbar“
Die Kirchensteuer wird zum weitaus größten Teil für rein innerkirchliche, strukturelle Kosten benutzt. Der frühere Papst Benedikt äußerte daher Bedenken gegen das System in Deutschland: „Ich meine damit nicht, dass es überhaupt eine Kirchensteuer gibt, aber die automatische Exkommunikation derer, die sie nicht zahlen, ist meiner Meinung nach nicht haltbar.“
Warum soll ein Christ überhaupt in der Kirche bleiben, wenn er auch ohne Kirchensteuer alle konfessionellen Einrichtungen nutzen kann, unter bestimmten Bedingungen dennoch kirchlich heiraten und seine Kinder taufen lassen kann, selbst am Ende aus Barmherzigkeit auch von einem Priester beerdigt wird?
„Wer keine Steuern mehr zahlt“, sagt Pfarrer Michael Ostholthoff, „verlässt die Solidargemeinschaft. Er partizipiert an vielen Vorteilen und andere zahlen.“ Wer austrete wegen der Steuern, der verzichte auf alle kirchlichen Traditionen. „Das Miteinander in den Gemeinden hält uns in Haltern zusammen“, ist er überzeugt. Würde die Pfarrei über Spenden finanziert, gäbe es vielleicht noch einen Pfarrer, eine Kirche, eine Kita und der Rest wäre Freilichtmuseum. „Gerade Kirche als Gemeinschaft kann tragend für den Lebensweg sein. Ich bin nicht allein unterwegs, sondern mit vielen, die Anteil nehmen“, ergänzt André Pollmann.
Eine Studie des Bistums Essen, die auch Thema des Katholikentags in Münster war, hat dargelegt, dass die Kirchensteuer ein Auslöser für Kirchenaustritte ist, die Gründe liegen danach aber eher in Entfremdung und fehlender Bindung.
- Das Bistum Münster erhielt im Jahr 2017 412,2 Millionen Euro Kirchensteuern, für 2018 kalkuliert es 444,4 Millionen Euro. Größter Ausgabeposten sind mit 247,3 Millionen Euro die Zuwendungen an die Pfarreien.
- Die Evangelische Landeskirche in Westfalen nahm im vergangenen Jahr 554 Millionen Euro an Kirchensteuern ein.
- Die Kirchensteuer wird vom Finanzamt zusammen mit der Einkommensteuer festgesetzt und eingezogen. Die Landesfinanzverwaltung behält hierfür zwischen zwei und vier Prozent der Kirchensteuer als Verwaltungskostenentschädigung ein.
Haltern am See ist für mich Heimat. Hier lebe ich gern und hier arbeite ich gern: Als Redakteurin interessieren mich die Menschen mit ihren spannenden Lebensgeschichten sowie ebenso das gesellschaftliche und politische Geschehen, das nicht nur um Haltern kreist, sondern vielfach auch weltwärts gerichtet ist.
