Schleppbootkapitän setzte ein Schiff auf den See und taufte es „Möwe“ Fahrten starteten 1930

Schleppbootkapitän setzte ein Schiff auf den See und taufte es „Möwe“
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Eine Motorbootlinie sollte den „lufthungrigen“ Ausflüglern 1930 ein besonderes Vergnügen auf dem Wasser bereiten.

Mit dem Bau des Stausees wurde Haltern vor allem an den Wochenenden zu einem beliebten Ausflugsziel für Erholungssuchende aus der nahen und weiteren Umgebung. Die Geburtsstunde der „Möwe“ war nicht mehr weit.

Die zur Inspektion trocken gelegte Möwe
Regelmäßig alle fünf Jahre musste die Möwe zur Inspektion und wurde dafür trocken gelegt. © Halterner Zeitung (A)

Die Staurechte verkaufte die Stadt Haltern an Gelsenwasser, aber die sogenannten Bootsgerechtsame - das Vorrecht, in eigener Regie die Verpachtung von Geschäftstätigkeiten auf und um den Halterner Stausee zu regeln oder zu vergeben - sicherte sie sich selbst. So erlaubte sie am 23. April 1932 dem Seemann Hermann Leicht, die Seeufer durch einen Linienverkehr zu verbinden.

Die erste Möwe auf dem Halterner Stausee
Die alte Möwe gehört zum Stausee dazu. Sie konnte 182 Gäste an Bord nehmen. © Benjamin Glöckner (A)

Mit dessen motorbetriebenem Personenboot hatte die technische Neuzeit auf dem Halterner Stausee Einzug gehalten, schrieb Heimatforscher Gerd Twilfer im Halterner Jahrbuch 2010. „Der Kurs über den Halterner See verlangte dem Steuermann einiges ab, da der See noch nicht gleichmäßig ausgebaggert war und einige Untiefen und Inseln besaß, die es zu umschiffen gab“, schreibt Gerd Twilfer.

Jahrelang schipperte das Boot Ausflügler über das schöne Halterner Staubecken, nach dem Krieg aber wurde es nicht wieder seetüchtig gemacht, es verrottete und wurde am Ende verschrottet.

Kapitän Günther Schulz auf der Möwe
Kapitän Günther Schulz findet: „Sehr schön ist es hier auf dem Stausee.“ © Jürgen Wolter (A)

Bis zum Jahr 1950 ruhte der Fahrgastbetrieb auf dem Halterner Stausee. Dann schrieb die Stadt den Fahrgastbetrieb neu aus, August Seif aus Voerde erhielt den Zuschlag. Als alter Schleppbootkapitän brachte er alle Voraussetzungen für diese Aufgabe mit. Er brachte ein 15 Meter langes und 3,50 Meter breites Schiff mit nach Haltern und taufte es auf den Namen „Möwe“!

40 Pfennig für eine Stunde

Ausgestattet war es mit einem 18 PS starken Motor. 75 Gäste konnten an Bord gehen und knapp eine Stunde lang die gut zwölf Kilometer lange Kreuzfahrt genießen. Das kostete nur 40 Pfennig.

Als August Seif bei einem Ladeunfall auf dem Rhein 1956 starb, sprang sein Sohn Edmund ein, später folgte dessen Sohn.

Mitglieder der Gemeinde St. Marien musizieren 2003 bei einer Seewallfahrt auf der Möwe.
2003 brach die Gemeinde St. Marien zu einer Seewallfahrt auf. Unter dem Motto „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ feierten 63 Kinder und Erwachsene Gottesdienst auf der Möwe. © privat

1956 wurde die Möwe umfassend renoviert. Sie erhielt ein Oberdeck und einen 90-PS-Motor. Fortan konnte sie 182 Personen für eine See-Rundfahrt aufnehmen. 2004 verpachtete Familie Seif das Schiff an Günther Schulz und Karl-Heinz Wolff, seit 2007 sind beide als „Wolff & Schulz GbR“ Eigentümer und Betreiber des Ausflugsschiffs.

Von der See auf den Stausee

Günther Schulz, geschäftsführender Gesellschafter der „Zonser Personen-Schifffahrt“, hat mit Kapitän Karl-Heinz Wolff einen erfahrenen Seemann an der Seite. Wolff fuhr 27 Jahre lang zur See und bereiste auf der Marine-Fregatte „Augsburg“ die Gewässer Europas und Afrikas. Schließlich wechselte er zum beschaulichen Halterner Stausee.

Ein Paar heiratet auf der Möwe.
Seit 2006 waren auch Trauungen auf der Möwe möglich. © Halterner Zeitung (A)

Mit zehn Stundenkilometern bahnte sich das 26 Tonnen schwere Schiff seither Jahr für Jahr von März bis Oktober, von montags bis sonntags, den Weg durchs Wasser des Stausees, schob die Bugwellen vor sich her. „Sehr schön ist es hier“, findet Wolff.

Der Motor der Möwe wurde mit Rapsöl betrieben. Die „Möwe“ fuhr von der Stadtmühlenbucht aus an der Insel im Stausee, am Lakeside Inn, am Seehof und am Strandbad vorbei.

Ohne Gastronomie und Toilette

Seit 2006 konnte auf der Möwe auch geheiratet werden. Natürlich mussten sich die Hochzeitsgesellschaften, die aus bis zu 60 Personen bestehen können, nach dem Passagierverkehr richten. Einziges Problem auf der „Möwe“: Es gab keine Gastronomie und auch keine Toiletten. Das ändert sich übrigens mit dem neuen elektronischen Fahrgastschiff.

Die Besitzer der Möwe sitzen auf dem Sonnendeck.
Die Besitzer der Möwe Günther Schulz (l.) und Karl-Heinz Wolff genießen das Frühlingswetter auf dem Sonnendeck. © Halterner Zeitung (A)

Der Ausbruch der Corona-Pandemie ließ das gute Geschäft einbrechen. Das Schiff durfte lange nicht fahren. Auch die Jahre 2018 und 2019 seien schon unbefriedigend gewesen, sagte Günther Schulz im vergangenen Jahr im Gespräch mit der Halterner Zeitung. „Schon da war unser Betrieb nur eingeschränkt möglich, weil zeitweise zu wenig Wasser im Stausee war. Die letzten Jahre waren wirklich ernüchternd.“

Neue Möwe aufs Wasser gesetzt

Zum 31. März 2022 endete das Vertragsverhältnis zwischen Stadt und Betreiber. Die alte Möwe wurde ausgemustert und aus dem Wasser gehoben. Das neue Schiff liegt bereits auf dem Stausee, doch noch fehlen die letzten Arbeiten am Innenausbau und den Stegen.

In unserer Serie „Die Nr. 1“ werfen wir einen Blick auf ganz unterschiedliche Pioniere in der Geschichte von Haltern. Welcher See war der erste? Wann gab es die erste Wallfahrt am Annaberg und wann hat eigentlich der McDonalds eröffnet? Wir schauen uns die Vorreiter und Nova der Seestadt an.

Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag ist ursprünglich am 26. Oktober 2022 erschienen.