Elke Hartmann (Name von der Redaktion geändert) aus Haltern liebt Kinder. Seit 2012 nimmt sie gemeinsam mit ihrem Mann immer wieder Babys, Kleinkinder und Teenager bei sich auf, die aus diversen Gründen nicht bei ihren Eltern bleiben können. Nun hört die 59-Jährige aus Altersgründen als Bereitschaftspflegemutter auf – weiß aber schon jetzt, dass sie diese besondere Art des Familienlebens vermissen wird.
Bereits als ihre beiden leiblichen Kinder klein sind, spürt Hartmann, dass sie ein Pflegekind aufnehmen möchte. Gemeinsam mit ihrem Mann bespricht sie dieses Vorhaben, allerdings kommt immer wieder etwas dazwischen. „Erst der Umzug, dann die Pubertät der eigenen Kinder“ – bis sie Jahre später eine Zeitungsannonce liest, in der Eltern auf Zeit gesucht werden. „Damals wusste ich noch nicht, was Bereitschaftspflege bedeutet“, sagt Hartmann. Heute ist sie Expertin darin.
Vom Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der Stadt Haltern hat die Bereitschaftspflegemutter seit 2012 bis heute 23 Kinder vermittelt bekommen, diese mal für ein paar Tage, mal für mehrere Wochen, zu Coronazeiten sogar für zwei Jahre bei sich aufgenommen. Oft stammen die Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen, haben suchtkranke Eltern oder Missbrauch und Gewalt erlebt.
Nicht immer Kindeswohlgefährdung
Nicht immer liegt jedoch zwingend eine Gefährdung des Kindeswohls vor, wie Franziska Huth vom Fachbereich Familie und Jugend der Stadt Haltern erklärt: „Es kann auch sein, dass eine alleinerziehende Mutter in Kur geht oder operiert werden muss, aber über keinerlei soziales Netzwerk verfügt.“ Auch in solchen Fällen kommen Bereitschaftspflegefamilien zum Einsatz.
In der Zeit, in der die Pflegekinder bei den Hartmanns leben, gehören sie ganz normal zum Alltag dazu: „Wir fahren mit ihnen in den Urlaub, gehen zum Arzt, nehmen sie mit zu Familienfesten – wie mit eigenen Kindern auch.“ Dass das eigene Leben dadurch völlig auf den Kopf gestellt wird, stört das Paar aus Haltern nicht: „Wir waren nie die wilden Partygänger. Für uns sind Kinder das Schönste.“
Dennoch bedeute der Familienzuwachs auf Zeit eine Umstellung: „Man muss schon Herzblut einbringen und seinen Alltag ein Stück weit anpassen. Lange Fernreisen wären zum Beispiel schwierig“, sagt Hartmann.

Umgangskontakte mit Eltern
Neben gemeinsamen Ausflügen und Spieleabenden stehen aber auch solche Termine an, die nicht immer leicht sind. Etwa begleiten die Pflegeeltern ihre Schützlinge auch zu Treffen mit den leiblichen Eltern, den sogenannten Umgangskontakten. „Die Kinder haben ein Recht, ihre Eltern zu sehen und umgekehrt“, weiß Franziska Huth. „Nach solchen Treffen gilt es dann mitunter, die Kinder aufzufangen und zu stabilisieren.“ Je nach Situation und Ausgangslage seien sie dann nämlich traurig oder getriggert.
Dass die Pflegekinder meist aus schwierigen Familienverhältnissen stammen, geht Elke Hartmann jedes Mal aufs Neue nahe. „Sie haben in der Regel alle einen Rucksack auf“, weiß sie. Das äußere sich in Verhaltensauffälligkeiten, wie zum Beispiel einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus. „Teilweise haben die Kinder keine geregelten Zubettgehzeiten und Familienrituale erlebt, haben keine warme Mahlzeit erhalten, wurden morgens nicht geweckt“, sagt sie.

Verhaltensauffällige Kinder
Hartmann erinnert sich an eines ihrer Pflegekinder – einen achtjährigen Jungen – der beim Verlassen des Hauses seine Pantoffeln „in Reih und Glied aufgestellt“ und seine Pflegemutter im Auto gefragt hat, ob diese auch die Kaffeemaschine ausgestellt habe. „Dieser Junge war mit seinen acht Jahren Zuhause wohl dafür verantwortlich, dass der Laden läuft“, so Hartmann.
Umso wichtiger sei es der Bereitschaftspflegemutter, ihre Schützlinge Kind sein zu lassen, ihnen einen geregelten Tagesablauf, Fürsorge und Geborgenheit zu spenden. „Bei uns kommen die Kinder zur Ruhe“, sagt sie. Neben Struktur und Zuwendung gehören, wenn gewünscht, auch Streicheleinheiten dazu.
„Man merkt schnell, was ein Kind braucht und was es möchte“, sagt Hartmann. „Anfangs sind die Kinder oft schüchtern, aber mit der Zeit kommen sie näher und kuscheln sich beim gemeinsamen Fernsehgucken an – in jeder Altersspanne.“
Dass einige Kinder sich ohne Berührungsängste auf die neuen Eltern einlassen und ihre Nähe suchen, sei mitunter aber auch ein Zeichen für eine gestörte Bindungsentwicklung, weiß Franziska Huth vom Kinderpflegedienst der Stadt Haltern: „Wir vermitteln Kinder, die würden sofort mit jedem mitgehen“, sagt sie. Auch wenn dies die Unterbringung in den Pflegefamilien leichter mache, stecke nicht selten ein ungesundes Verhaltensmuster dahinter.
Nicht zuletzt deshalb gelte es für Bereitschaftspflegeeltern auch, Schulungen zu den Themen „Bindungs- und Entwicklungsstörung“, „Traumata“ und „Elternrechte“ zu absolvieren. Darüber hinaus sei es wichtig, dass die Pflegeeltern verantwortungsvoll und empathisch, humorvoll und belastbar sind.

Erstausstattung vom Jugendamt
Auch Flexibilität ist von Vorteil, wie Elke Hartmann aus eigener Erfahrung weiß: „Manchmal kommen die Kinder von jetzt auf gleich und haben nur das dabei, was sie am Körper tragen.“ Mit den Jahren haben sich die Pflegeeltern deshalb gut ausgerüstet, eine Erstausstattung wird dabei vom Jugendamt gestellt.
Nicht alles werde jedoch mit den Jahren leichter: „Je älter ich werde, desto schwieriger kann ich die Kinder wieder abgeben“, sagt Hartmann. Einmal überlegen sie und ihr Mann, einen Jungen in die Dauerpflege zu übernehmen, entscheiden sich letztendlich jedoch dagegen: „Wir haben uns für ihn jüngere Eltern mit Geschwisterkindern gewünscht. Die wurden zum Glück auch gefunden“, weiß Hartmann.
Bis heute halten sie und ihr Mann noch zu einigen „ihrer“ Kinder Kontakt: „Wenn sie uns nach Jahren besuchen kommen und sagen ‚Damals bei euch, das war die schönste Zeit!‘, dann geht mir das Herz auf“, so Hartmann.
Bereitschaftspflegeeltern gesucht
Die Stadt Haltern am See sucht Menschen, die Kindern ein liebevolles, sicheres Zuhause auf Zeit schenken können. Es kommen Familien, eheähnliche Gemeinschaften, gleichgeschlechtliche Paare oder geeignete Einzelpersonen infrage. Voraussetzung ist auch, dass die Hauptpflegeperson nicht berufstätig ist.
Die Sicherstellung des finanziellen Unterhalts für das Kind und die Aufwandsentschädigung für die Pflegepersonen wird durch das Jugendamt gewährleistet.
Interessierte können sich melden bei Franziska Huth unter franziska.huth@haltern.de oder Tel.: 02364 933-341