Romantischer Ort in Marl birgt ein Geheimnis Das Rätsel um die Straßenlaterne in der Lippe

Rätsel um Laterne in der Lippe - romantischer Ort birgt ein Geheimnis
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Cennet Uger und Aladin Siyala haben in Marl ihren Lieblingsplatz gefunden. Am Landschaftskunstwerk Wasserstände im äußersten Norden Sickingmühles genießt das frisch verlobte Paar aus Brassert den romantischen Blick über das Lippetal mit viel Natur, Industriekulisse und einem prachtvollen Sonnenuntergang. „Das ist so schön hier, einfach ein Stück Heimat“, sagt die 22-jährige Cennet Uger. Doch dieser Ort birgt ein Geheimnis.

Tatsächlich steht scheinbar mitten im Fluss eine Straßenlaterne - ein surreales Bild, ein echtes Rätsel, das in diesen Tagen auch in Marler Facebook-Gruppen diskutiert wird. „Wir sind meist einmal pro Woche hier und haben uns schon oft gefragt, wie das sein kann“, sagt der 22-jährige Aladin Sialya - und hat gleich eine Theorie parat: „Ich vermute, dass hier früher, bevor es den Kanal gab, mal ein Hafenkai für den Chemiepark war, hier wurden bestimmt Container abgeladen.“ Die junge Frau an seiner Seite ist skeptisch: „Ein Hafen an diesem kleinen Fluss, nein, ich glaube hier war früher mal eine Straße und man hat später einfach vergessen, die Straßenlaterne abzubauen.“

Dominik Pruß kennt die Geschichte des ehemaligen Wasserwerks Sickingmühle. Der 40-jährige Lippramsdorfer weiß, warum hier eine Straßenlaterne (r.) im Wasser steht.
Dominik Pruß kennt die Geschichte des ehemaligen Wasserwerks Sickingmühle. Der 40-jährige Lippramsdorfer weiß, warum hier eine Straßenlaterne (r.) im Wasser steht. © Thomas Brysch

Die Facebook-Diskussion hat auch unsere Redaktion neugierig gemacht. Obwohl wir eigentlich schon glauben, uns in Marl gut auszukennen - den genauen Standort der Laterne im Wasser kennt anfangs niemand. Also haben wir uns am Abend auf Spurensuche begeben - zunächst mit wenig Erfolg.

Mit dem Fahrrad geht es auf der Wulfener Straße über Kanal und Lippe, dann rechts ab Richtung Lippeauen. Am Flussufer treffen wir einen Angler, der uns einen ersten Hinweis gibt. Doch der führt nur zu einem Wassergraben, aus dem ein alter Pegel herausragt. Das kann es nicht sein. Weiter Richtung Osten am Nordufer der Lippe: Linker Hand tauchen plötzlich große Brunnenanlagen mit einem seltsamen Metallhut auf. Hier sprudelt in mächtigem Strom Grundwasser aus der Erde - doch von einer Laterne im Wasser keine Spur.

Romantisch-geheimnisvolle Stimmung: Bei Sonnenuntergang ragt die alte Laterne aus der Lippe hervor.
Romantisch-geheimnisvolle Stimmung: Bei Sonnenuntergang ragt die alte Laterne aus der Lippe hervor. © Thomas Brysch

Dann der Glücksfall: Auf seinem Mountainbike kommt uns Dominik Pruß entgegen. Der 40-jährige Lippramsdorfer kennt das Lippetal von Kindesbeinen an - und natürlich auch die Geschichte von der Straßenlaterne im Wasser. Er nimmt sich Zeit. Gemeinsam radeln wir weiter über den Lippedeich bis das Landschaftskunstwerk Wasserstände auf der gegenüberliegenden Flussseite liegt. Und da ist sie, die legendäre Laterne im Fluss.

Das Land sackt durch den Bergbau ab

„Dort drüben, die alten Gemäuer, das war früher das Wasserwerk Sickingmühle“, weiß Dominik Pruß: „Hier wurde Brauch- und Kühlwasser für den Chemiepark aus der Lippe gepumpt.“ Und die Laterne? „Früher war dort eine große Plattform, an der Flussseite mit Gitterstäben. Dort wurde das Wasser angesaugt, die Laterne hat die Plattform ausgeleuchtet.“ Doch das ist lange her. „Solange ich denken kann ist, die Anlage nicht mehr in Betrieb“, sagt Pruß. Und warum steht heute alles unter Wasser? „Durch den Bergbau ist das Land abgesackt, also stieg der Flusspegel immer höher bis die Plattform im Wasser verschwand“, sagt der Lippramsdorfer.

Eine erste Spur, aber noch nicht das Ziel: Dieser Pegel ragt aus einem breiten Wassergraben im Lippetal hervor.
Eine erste Spur, aber noch nicht das Ziel: Dieser Pegel ragt aus einem breiten Wassergraben im Lippetal hervor. © Thomas Brysch

Ein Blick in die Geschichte: Mit Gründung des Chemiestandorts 1938 entstand auch das alte Wasserwerk in Marl-Sickingmühle. Dort wurde das Wasser der Lippe entnommen und aufbereitet. Bis 1985 erfolgte so die Wasserversorgung der Chemieanlagen. In der Zeit von 1965 bis 1985 wurden über 30.000 Kubikmeter Wasser pro Stunde aus der Lippe gefördert. Dann kam die Stilllegung, später die Umwidmung der Anlage in ein Kunstwerk, das zeigen soll, wie die Natur sich ihren Raum zurückholt.

Aus diesen Brunnenanlagen im Lippetal strömt Grundwasser. Von einer Laterne ist hier keine Spur.
Aus diesen Brunnenanlagen im Lippetal strömt Grundwasser. Von einer Laterne ist hier keine Spur. © Thomas Brysch

Die Familien von Cennet Ugar und Aladin Siyala haben türkische Wurzeln. Das junge Paar selbst wuchs schon in Marl auf. Die beiden interessieren sich sehr für die Geschichte ihrer Stadt. „Jetzt verstehen wir auch, warum hier eine Laterne im Wasser steht“, sagen sie - und träumen an ihrem Lieblingsplatz an den Ufern der Lippe von einer gemeinsamen Zukunft.

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