Auswanderer aus Haltern Nicht immer erfüllten sich ihre Träume

Pure Not zwang Halterner vor rund 100 Jahren zur Auswanderung
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Wer heute mit einem Boarding Pass am Museums-Kai im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven steht, kann die Gefühle der Emigranten nachvollziehen. Ihre Träume und Hoffnungen, aber auch ihre Sorgen und Ängste haben sie mit auf die Reise genommen.

Millionen Deutsche sind von hier aus in eine neue Heimat aufgebrochen. Unter ihnen waren auch Menschen aus Haltern. 25 Auswanderer aus der Zeit zwischen 1923 und 1938 sind namentlich bekannt.

Am 26. Juli 1923 bestieg zum Beispiel der 28-jährige Friedrich Wagner die „President Filmore“, um in die USA aufzubrechen. Das endgültige Ziel des ledigen Schlossers aus Haltern wird mit Cranberry angegeben. Wie die meisten nachfolgenden Passagiere aus Haltern reiste er in der dritten Klasse, die man getrost als „Holzklasse“ bezeichnen kann.

Überwiegend wagten Halterner Einzelreisende den Schritt in die ungewisse Zukunft, darunter ein Tagelöhner und eine Reihe von Handwerkern, aber auch Hausmädchen. Allein vier Mitglieder des Bäckerhandwerks vom Gehilfen bis zum Meister kehrten ihrer Heimatstadt den Rücken. Zu ihnen zählte Franz Balke, ein Onkel des heutigen Seniorchefs der Bäckerei Balke in der Mühlenstraße.

Von Bremen nach New York

„Ich kann mich noch an ihn erinnern“, berichtet Wilhelm Balke (86). Sein Vater, ebenfalls mit Namen Wilhelm war der Bruder von Auswanderer Franz Balke. Dieser stach im Alter von 25 Jahren am 9. Dezember 1927 mit der „Columbus“ von Bremen aus in Richtung New York in See. Auch er war in der einfachen dritten Klasse untergebracht und hoffte, „in Amerika viel Geld zu verdienen“, sagt Wilhelm Balke.

Bäcker Franz Balke vor einem Auslieferungswagen
Franz Balke (vorn) wanderte 1927 in die USA aus, kehrte aber wieder zurück. © privat

Seine Vision vom Tellerwäscher zum Millionär wurde aber keine Wirklichkeit, weiß sein Halterner Familienangehöriger. „Er ist irgendwann zurückgekommen“, so Wilhelm Balke, habe später in Hüls auf der Zeche in einer Schlosserei gearbeitet und sei 1966 gestorben.

Blick in die Kabine eines Auswandererschiffes
Das rekonstruierte Innere des Dampfers „Lahn“ lässt die Reisebedingungen der 3. Klasse um 1888 erfahren. Das Schiff brauchte in der Regel um eine Woche um den Atlantik von Bremerhaven nach New York zu kreuzen. © Deutsches Auswandererhaus

Wie einem Kapitel zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte im Buch „Haltern - Beiträge zur Stadtgeschichte“ von 1988 zu entnehmen ist, war es nicht die Abenteuerlust, die so viele Halterner dazu brachte, einen Neuanfang zu wagen. Auch nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in der Stadt vielfach bittere Not. Zeitzeugen berichteten von Unterernährung und Erschöpfungskrankheiten, ja sogar von Todesfällen infolge Verhungerns, Selbstmorden wegen Hunger und dem Auftreten von Skorbut.

„In Haltern wurden aus 1000 Schulkindern etwa 200 für die sogenannte Volksküchenspeisung ausgesucht und öffentlich versorgt“, heißt es im Buch zur Stadtgeschichte über das Jahr 1923. Im Winter 1925/26 seien mehr als die Hälfte aller Bauarbeiter in Haltern arbeitslos gewesen. Die Weltwirtschaftskrise sorgte ab 1929 dafür, dass es mit der örtlichen Wirtschaft weiter bergab ging.

Namen auf der Bremer Passagierliste aus Haltern
Man kann online nach Haltern in der Bremer Passagierliste suchen und erhält diese Angaben. © Screenshot Silvia Wiethoff

„Eine Statistik des Arbeitsamtes Recklinghausen wies die Stadt Haltern im Jahre 1930 mit dem höchsten Anteil an Unterstützungsempfängern im gesamten Kreis aus; ihre Zahl stieg kurzfristig auf über 1000“, wird die Situation zusammengefasst.

Harte Lebensbedingungen

Diese Lebensbedingungen nährten vor allem bei jüngeren Halternern die Träume von einem besseren Leben, in dem zumindest die Grundbedürfnisse nach Nahrung, Arbeit und Wohnung befriedigt werden. Was sollte der Bäcker machen, wenn die galoppierende Inflation seine eigene Lebensgrundlage und die seiner Kunden zerstörte?

So gingen in den Auswandererhäfen Bremerhaven und Hamburg Menschen aus ganz Deutschland an Bord großer Dampfschiffe, um in den USA, Kanada oder Südamerika ein neues Leben zu beginnen. Aus Haltern waren auch Familien dabei. 1930 gehörte Friedrich Menke (34) mit seiner Frau Berta (29) und der gleichnamigen Tochter (6) dazu.

Schon 1927 gingen Franz (18), Johanna (16), Elisabeth (15) und Heinrich (11) Dreckmann an Bord der „Berlin“, um nach Milwaukee - einer Großstadt im US-Bundesstaat Wisconsin zu reisen. Es liegt nahe, dass es sich bei ihnen um Geschwister handelte. Folgten sie ihren Eltern in die Neue Welt? Die meisten Lebenswege der Auswanderer aus Haltern verlieren sich wohl im Dunkel der Geschichte, denn es war vor rund 100 Jahren schwierig, den Kontakt über die Distanz aufrechtzuerhalten.

Speisekabine auf einem Auswandererschiff
An Bord des Ocean Liners „Columbus“ gab es auch für die günstige „Touristenklasse“ einen Speisesaal – und Annehmlichkeiten wie fließend Wasser in der Vierbettkabine. 1928 fuhr das Schiff in der Regel 4 bis 6 Tage bis nach Nordamerika. © Deutsches Auswandererhaus

Die Namen der Halterner Auswanderer auf den Bremer Passagierlisten (1920-1939) hat der Halterner Thomas Sohn von einem Besuch in dem Erlebnismuseum an der Nordseeküste mitgebracht. Hier erleben die Besucher Migrationsgeschichte hautnah, denn ihr Weg führt vom Kai durch ein typisches Auswandererschiff und endet imaginär im Ankunftszentrum für Einwanderer in den USA, auf der Halbinsel Ellis Island in New York. Inspiriert von der Geschichte hat der Konrektor der Alexander-Lebenstein-Realschule den Namen seiner Heimatstadt in die Suchmaske der Passagierlisten eingegeben und ist fündig geworden.

Wenn einer der aufgeführten Auswanderer aus Haltern zu Ihrer Familie gehört und Sie vielleicht sogar noch Kontakt haben oder Sie sonst zum Thema beitragen können, würden wir uns über eine Rückmeldung in der Redaktion freuen (redaktion@halternerzeitung.de).

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 17. September 2023.

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