Obdachloser haust auf Friedhofstoilette in Haltern „Hier habe ich wenigstens meine Ruhe“

Obdachloser haust auf Friedhofstoilette in Haltern
Lesezeit

Das mitgebrachte Mettbrötchen rührt er an diesem Morgen nicht an. Den Kaffee dagegen nimmt er gerne. Die kühle Nacht steckt doch etwas in seinen Knochen, auch wenn sein derzeitiges Nachtlager beheizt ist: Daniel ist 50 Jahre alt und haust in einem Toilettenhäuschen auf dem katholischen Friedhof der St. Sixtus-Kirche an der Hullerner Straße in Haltern.

Er ist geduldet. Friedhofsgärtner Werner Schröder sagt: „Ich kann ihn doch nicht draußen schlafen lassen. Was soll ich denn machen?“

Aber Daniel ist kein Obdachloser, der dieses Klischee auch erfüllt. Seine Hände sind kräftig, gepflegt. Daniel ist frisch rasiert, das Gesicht von der Sonne braun gebrannt.

Dick eingepackt

Drei Steppmäntel trägt er an diesem Morgen. Übereinander. Eine Basecap, darüber eine Wollmütze, aber die Hose reicht nur bis knapp über die Knie. Wie ein Skater sieht er aus. Und tatsächlich: Daniel liebt Skateboardfahren. Drei Stück hat er. Aber keine Wohnung.

Der Übernachtungsplatz des Obdachlosen: Das Toilettenhäuschen auf dem Friedhof in Haltern.
Der Übernachtungsplatz des Obdachlosen: Das Toilettenhäuschen auf dem Friedhof in Haltern. © Christof Perrevoort

Daniels Lebenslauf allerdings erfüllt alle Klischees. Zur Welt gekommen als ungewolltes Kind. „Mein Vater war ein Nazi. Als meine Mutter mit mir schwanger war, hat er sie in den Bauch getreten.“ Daniel glaubt, dass daher seine Lernschwäche kommt. Er ist zu 70 Prozent schwerbehindert.

Als Kind kann er die Uhr nicht lesen, da setzt es Prügel vom Vater. Immer wieder. Mit Zahlen hat er Schwierigkeiten.

Immer wieder herumgereicht

Als die Eltern sterben, kommt er zu Pflegefamilien in Essen. „Ich wurde herumgereicht. Mal hier, mal dort.“ Dann landet er bei Pflegeeltern in Sythen. „Die Gerda und der Hermann waren nett.“

Die Familie fährt mit einem Imbiss durch die Gegend, verkauft Pommes. Dann dieses furchtbare Unglück: Im Pommeswagen gibt es eine Verpuffung. Gerda stirbt. Das gibt Daniel den Rest.

Daniel (50), derzeit obdachlos, bereitet sein Nachtlager im Toilettenhäuschen vor. Als Matratze dient sein Steppmantel.
Daniel (50), derzeit obdachlos, bereitet sein Nachtlager im Toilettenhäuschen vor. Als Matratze dient sein Steppmantel. © Christof Perrevoort

Gelernt hat er Gas- und Wasserinstallateur, doch in seinem Job hat er kaum gearbeitet. Er rutscht in die Obdachlosigkeit. Der Pflegevater kümmert sich kaum um ihn. Daniel wandert zwischen verschiedenen Einrichtungen zwischen Essen und Düsseldorf.

In der Landeshauptstadt ist er gemeldet und lebt von der Grundsicherung. In seiner Geldbörse steckt eine AOK-Karte, er kümmert sich um seinen Körper: „Morgen habe ich einen Zahnarzttermin.“

„Das Leben ist schön“

„Obdachlos zu sein, hat nichts damit zu tun, sich hängen zu lassen. Dass man sich aufgibt“, sagt Daniel. Er lebt gerne. „Ich genieße die Natur, bin viel unterwegs. Das Leben ist doch viel zu schön.“

Daniel mag den Friedhof: „Mit der kleinen Kapelle erinnert er mich an Frankreich.“ Es sei irgendwie gemütlich. „Und so beruhigend“, sagt Daniel. Ein Güterzug rattert vorbei.

Wenn er einen Wunsch frei hätte? „Ich hätte gerne eine eigene Skateboard-Firma. Darauf hätte ich Bock. Freunde von mir haben es sogar geschafft“, sagt Daniel. Tagsüber trifft er sich mit Bekannten, ist in der ganzen Stadt mit seinem Kettler-Alu-Fahrrad unterwegs, auf dem Gepäckträger klemmt eine Wasserflasche.

Auf der Suche nach Liebe

Er bedauert: „Die Menschen reden so wenig miteinander. Das fehlt mir.“ Man merkt, er genießt das Gespräch mit dem Reporter. Früher, da sei er immer mit einem Bus mit der Aufschrift „Ruhrnachrichten“ gefahren. „Das war ein alter MAN-Bus. Die gibts ja heute kaum noch. Immer wenn ich eingestiegen bin, durfte ich die Türen auf und zu machen. Das zischte immer so schön“, grinst Daniel.

Ein Friedhofsbesucher kommt dazu und wundert sich: „Warum sind Sie denn obdachlos. Die Firmen suchen doch händeringend Leute, Sie sind kräftig und gesund.“ Daniel wird schmallippig, dann fast aggressiv: „Wollen Sie mir erklären, wie ich zu leben habe?“ Der Mann hat es offenbar nur gut gemeint.

Aber Daniel will das nicht. „Ich brauche keine Hilfe.“ Wenn ihm Friedhofsbesucher etwas Geld zustecken wollen, lehnt er ab. Sagt er zumindest. „Ich komme schon klar.“ Dann wird ihm alles zuviel. Daniel flüchtet auf seinem Fahrrad.

Das, was ihm ganz bestimmt fehlt, ist Liebe. Liebe, die er in seinem Leben nie erfahren hat.