Nazis verbrannten auch in Haltern Bücherberge Scheiterhaufen vor der Sixtus-Kirche

Nazis verbrannten Bücherberge: Scheiterhaufen vor der Sixtus-Kirche
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Es war der 10. Mai 1933, als die Nationalsozialisten im gesamten deutschen Reich Bücher verbrennen ließen. Meist waren studentische Verbindungen an Universitätsstandorten oder Orten mit großen öffentlichen Bibliotheken beteiligt. Eine Universität oder große Bibliothek gab es in Haltern nicht.

Dennoch loderten auch in der Seestadt Scheiterhaufen, als unter anderem die Werke von Heinrich und Thomas Mann, Bertolt Brecht, Alfred Kerr, Sigmund Freud, Albert Einstein, Erich Maria Remarque und Erich Kästner angezündet wurden.

Der Vorsitzende des Dülmener DGB, Ortwin Bickhove-Swiderski, hat sich umfassend mit den dramatischen Ereignissen befasst. In seinem Buch „Die Anfänge der NS-Zeit in Haltern am See - und der Fall Bernard Gerwert aus Sythen“ (Laumann-Verlag) berichtet er von der Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 und den Bücherverbrennungen nur wenige Tage später.

Ortwin Bickhove-Swiderski steht vor dem alten Rathaus in Haltern.
Ortwin Bickhove-Swiderski ist Heimatforscher und Buchautor. Er widmet sich unter anderem dem Thema Haltern in der NS-Zeit. © Antje Bücker

„In Haltern wurden aus dem Gewerkschaftsbüro des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) die Bücher geholt und öffentlich vor der St.-Sixtus-Kirche verbrannt“, hat Bickhove-Swiderski recherchiert.

Die Bücher der Christlichen Gewerkschaften wurden demnach an der Bahnhofstraße in einem aufgestellten Pavillon gesammelt und dort verbrannt.

Der Verantwortliche

Verantwortlich für die Bücherverbrennungen war der gebürtig aus Herne stammende Schuhmacher Hans Larisch. Er war Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP. 1927 nahm er hier „den Kampf gegen die Verblendung der Menschen auf, die, vom marxistischen Regime verleitet, gegen ihren eigenen Bruder kämpften.“

Am 12. März 1933 wurde Larisch in Haltern Kreistagsabgeordneter und Fraktionsgeschäftsführer der örtlichen NSDAP.

Ab April 1938 war Larisch, dessen vollständiger Geburtsname Johannes Eduard Larisch lautete, kurz in der Stadtverwaltung Lüdinghausen tätig, bevor er im November 1938 ohne Qualifikation unter 35 Bewerbern durch die NSDAP zum Bürgermeister in Vreden bestimmt und gewählt wurde.

„Schund- und Schmutzliteratur“

Larisch hatte sich 1952 noch öffentlich gerühmt, dass er aus der Gewerkschaftsbücherei Haltern „Schund- und Schmutzliteratur“ hatte entfernen lassen. Halterner Bürger und der DGB-Kreisausschuss in Recklinghausen hatten dagegen protestiert.

Als Larisch sich aber bei einer Versammlung der Heimkehrer in Recklinghausen als Mann mit „weißer Weste“ bezeichnete, wurde in der Westfälischen Rundschau ein Leserbrief von dem Halterner Hermann Kübber veröffentlicht.

Bücher werden in einem Auto von Nationalsozialisten gesammelt.
Die undatierte Archivaufnahme zeigt den Transport von Büchern zur Verbrennung an einem ungenannten Ort. "Deutsche Studenten marschieren wider den undeutschen Geist" - lautete die Aufschrift auf den Autos, die die Bücher zum Scheiterhaufen transportieren. Etwa 20 000 Bücher verbrannten in der Nacht am 10. Mai 1933 in Berlin. © picture-alliance / dpa/dpaweb

Kübber war viele Jahre (laut Magistratsbüchern von 1920 bis 1927) als Stadtverordneter der Zentrumspartei im Magistrat der Stadt Haltern. Er hatte aktiv an der Gründung mehrerer Vereine, darunter der Vogelschutzverein und der Theaterverein Haltern, mitgewirkt. Aus seiner Feder gibt es auch Lieder, Gedichte und Erzählungen.

„Larisch sollte sich ja nicht öffentlich in Haltern oder Vreden sehen lassen, sonst würde er mit dem Knüppel aus der Stadt getrieben“, schrieb er.

Wertvolles deutsches Gedankengut sei am 10. Mai 1933 in Haltern verloren gegangen und dem Vandalismus zum Opfer gefallen. „Gewerkschaftskassen, Arbeiterpfennige, wurden rücksichtslos ausgeraubt.“ Hermann Kübber stellt vielsagend fest: „So sieht ihre saubere Weste aus.“

Die Bücherverbrennungen vor 90 Jahren waren der Höhepunkt der „Aktion wider den undeutschen Geist“, mit der kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, ab März 1933, die systematische Verfolgung jüdischer, marxistischer, pazifistischer, queerer und anderer oppositioneller oder politisch unliebsamer Schriftsteller begann.

Studenten verbrennen Bücher.
Nach der Machtübernahme lassen Nationalsozialisten in Universitätsstädten die Bücher verfemter Autoren verbrennen (Archivfoto vom 10.05.1933). Am 10. Mai 1933 hatten nationalsozialistische Studentinnen und Studenten auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, Bücher zahlreicher Autorinnen und Schriftsteller als „undeutsches Schrifttum“ verbrannt. © picture alliance / dpa

Der Index „undeutscher Literatur“ verzeichnete mehr als 4000 Titel. Eine von der NSDAP herausgegebene Liste umfasste mindestens 131 Autoren.

In Recklinghausen-Süd wurden auf dem „Leo-Schlageter-Platz“ ein „meterhoher Scheiterhaufen“ mit „Zentnern“ von Büchern und Schriften „undeutschen, marxistisch-kommunistisch unsittlichen“ Inhalts verbrannt, berichtet Bickhove-Swiderski weiter. „Allein in Recklinghausen haben einige tausend Menschen zugesehen.“

In Berlin bezeichnete NSDAP-Reichspropagandaleiter Goebbels die Bücher als „Unrat und Schmutz jüdischer Asphaltliteraten“. Dabei wurden markige „Feuersprüche“ gerufen. Dann die Bücher dem Feuer übergeben. Der erste der insgesamt neun Feuersprüche lautete: „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky.“

Ob am 10. Mai 1933 auch in Haltern Parolen gerufen wurden, ist nicht bekannt.

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