Museumsleiter über seine erste Ausgrabung „Statt Tonscherben plötzlich Schädel in der Hand“

Museumsleiter über seine allererste Ausgrabung: „Spannender Moment“
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Vor Kurzem haben Archäologen in Haltern eine aufregende Entdeckung gemacht. Im Römerlager fanden sie Überreste zweier Tempel und eine Opfergrube. Zum ersten Mal überhaupt wurden solche Kultbauten in römischen Militäranlagen entdeckt.

Der Leiter des LWL-Römermuseum in Haltern, Dr. Josef Mühlenbrock, hat in seiner langen Laufbahn als Archäologe schon viele spannende und vor allem überraschende Momente erlebt. Seine allererste Ausgrabung bleibt ihm aber in ganz besonderer Erinnerung.

„Als wir damals statt Tonscherben plötzlich einen menschlichen Schädel in Händen hielten, war das schon ein sehr spannender Moment“, sagt er.

Mühlebrock arbeitete damals als studentischer Volontär beim LWL in Münster unter anderem an der Sortierung von Ausgrabungsfunden. In den Semesterferien bot sich ihm 1992 die Gelegenheit, in seiner Heimatstadt Haltern an einer Ausgrabung teilzunehmen. Gegraben wurde damals auf der Fläche des heutigen Museums und Grabungsleiter Bernhard Rudnick wollte eigentlich nur die Annahme „Da ist nichts“ bestätigen.

Als die Gruppe nach wochenlangem Graben auf der heutigen Parkplatzfläche angelangte, gab es mit Tonscherben einen ersten überraschenden Fund. Für die Studenten entwickelte sich die Grabung fortan zu einem echten Abenteuer und als sie in tieferen Schichten kreisförmig in der Erde angeordnete Steine freilegte, fand sie weitere Scherben und rote, verziegelte Lehmschichten - also das klassische Material eines Brennofens.

Sie nannten ihn „Töpfer Paul“

Als später plötzlich neben den Scherben ein rundes „Fundstück“ in der Erde auftauchte, war besondere Vorsicht geboten. Mühlenbrock erinnert sich noch genau: „Zu unser aller Überraschung handelte es sich dabei nicht, wie erwartet, um ein gebranntes Tongefäß, sondern um einen relativ gut erhaltenen, menschlichen Schädel.“ Die Studenten nannten ihn „Töpfer Paul“.

Doch es blieb nicht bei diesem einen, spektakulären Fund. Spätestens nachdem die Gruppe direkt daneben ein Stück Unterarmknochen fand, fragten sich alle: „Was ist hier passiert?“

Mit größter Vorsicht wurde der gesamte Bereich in einer sogenannten „Blockbergung“ als Ganzes geborgen. Am Ende wurden mehrere Brennöfen und Leichenteile von insgesamt 24 verschiedenen, menschlichen Individuen und einem Hund geborgen. Einer der Öfen war so gut erhalten, dass er später seinen Weg als Ausstellungsstück in das Halterner Museum fand.

Knochenfragmente im Römermuseum Haltern
Die damals gefundenen Knochenfragmente. © Horst Lehr

Nachdem Rudnick 2001 die Forschungsarbeiten unter anderem in einem Bildband veröffentlichte, bestand Klarheit: Bei den Skelettfragmenten handelte es sich um männliche Leichen, die damals im Erdreich verscharrt wurden. „Dieser Fund hat mich nie mehr losgelassen“, sagt Josef Mühlenbrock. „Ich wollte einfach mehr darüber wissen.“

Im Jahr 2009 ergab sich dann die Möglichkeit, mit einer sogenannten „Stronzium-Isotopen-Analyse“ die Gebeine noch genauer zu untersuchen. Aus feinsten Stronziumablagerungen im noch vorhandenem Zahnschmelz konnten gesicherte Rückschlüsse auf die Herkunftsregionen gezogen werden. Aus 14 möglichen Proben konnten sechs Westfalen und vier dem Schwarzwald oder Böhmen zugeordnet werden.

Sehr wahrscheinlich handelte es sich um Germanen, die auch von weiter her kamen, um in der Varusschlacht gegen die Römer zu kämpfen. Doch wie kamen die Gebeine in die Ofenanlage?

Erbitterter Verteidigungskrieg

Die wahrscheinlichste Erklärung hängt mit dem Rückzug der überlebenden Römer aus der Varusschlacht in das Lager Aliso zusammen. Dort wurde in einem brutalen Verteidigungskrieg erbittert gekämpft. Es wird angenommen, dass zur Vermeidung von Seuchen die Leichen der Feinde einfach vergraben wurden. Römer und Germanen hätten ihre jeweils eigenen Leichen in einer Feuerbestattung verbrannt, so Mühlenbrock.

Schädelfragment im Römermuseum Haltern
Das Gebiss ist an diesem Schädelfragment noch deutlich erkennbar. © Horst Lehr

Für den Leiter des Römermuseums hat sich mittlerweile dieser Kreis geschlossen. „Das können die Besucher heute in unserem neu geschaffenen ‚Escape Room‘ nacherleben“, sagt er. „Da spielen wir diese historische Geschichte, in der es mit einer gelungenen Flucht um das nackte Überleben ging, in einem Rollenspiel nach.“

Als erfahrener Archäologe ist Josef Mühlenbrock überzeugt, dass das mit Sicherheit noch nicht das Ende ist: „Weitere Grabungen werden folgen.“