Corona-Lockdown und Krebs Kult-Wirt Günni will weitermachen, „solange ich lebe“

Trotz Rückschlägen: „Unserer Stammkunden halten die Schänke oben“
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„Dir wird der Boden unter den Füßen weggerissen“, erinnert sich Sylvia Hildebrandt. Im Frühjahr 2020 kam die Meldung: Lockdown. Wegen der hohen Infektionszahlen mit dem damals neuartigen Corona-Virus stand plötzlich das öffentliche Leben still.

Geschäfte mussten schließen. Friseure durften nicht mehr arbeiten. Restaurants blieben dicht - und Kneipen eben auch. Zu hoch war die Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen.

Als die Nachricht kam, dass die Schänke erst einmal schließen muss, war Günther Hildebrandt, von allen nur Günni genannt, gerade in der Reha. Er ist schwer lungenkrank. Krebs im Endstadium. „Sille war ganz aufgelöst“, erinnert sich der Wirt an die Zeit. Die Einnahmen brachen weg, aber der Eigentümer wollte weiter seine Pacht haben.

Seit 20 Jahren in Haltern

Kneipen und Gaststätten waren vom Corona-Lockdown besonders schwer gebeutelt. Das bestätigen auch aktuelle Zahlen von IT.NRW zum Gastrosterben. Den deutlichsten Rückgang gibt es bei den Kneipen in Nordrhein-Westfalen.

„Zwischendurch haben wir darüber nachgedacht, zu schließen“, sagt Günther Hildebrandt. Seine Frau wirft ein: „Aber das ist unser Baby!“ Seit 20 Jahren betreibt das Ehepaar die Kult-Kneipe an der Lippstraße in Haltern. Sylvia Hildebrandt arbeitete damals im Alt-Haltern. Ihr Traum war es immer, eine eigene Kneipe zu betreiben.

Die Schänke lebt von ihrem bunten Inventar. In jeder Ecke gibt es was zu entdecken.
Die Schänke lebt von ihrem bunten Inventar. In jeder Ecke gibt es was zu entdecken. © Anne Schiebener

Günni hat als Garten- und Landschaftsbauer gearbeitet. Für ihn war der Anfang in der Schänke „die Hölle“, sagt er und muss laut lachen. „Ich bin sehr eifersüchtig. Wenn jemand meine Frau umarmt hat, dann hätte ich ihm am liebsten eine reingeschlagen.“

Jetzt vermisst er das Kneipenleben. „Ich habe die Jungs hier aufwachsen sehen“, sagt der 66-Jährige. Wegen seiner Krebserkrankung muss er immer wieder ins Krankenhaus, darauf folgen dann Reha-Aufenthalte. „Ich kämpfe mich wieder hoch“, sagt er wacker.

Besuch von Manuel Neuer

Das Paar schwelgt in Erinnerungen. Ein besonderes Erlebnis wird der Besuch von Manuel Neuer in der Schänke bleiben. Im Mai 2011, kurz bevor der Torwart von Schalke zu Bayern wechselte, verbrachte er einen Abend in der Kult-Kneipe in Haltern.

Schalke 04 richtete einen Spielerempfang aus, bei dem alle Profispieler und der Trainer auf verschiedene Fanclubs in ganz Deutschland aufgeteilt wurden. Manuel Neuer hat den Halterner Schalke-Fanclub „Steht Auf“ besucht, der den Empfang in der Schänke ausgerichtet hat.

Mit Manuel Neuer am Kicker: Der Fußball-Profi war zu Gast in der Schänke.
Mit Manuel Neuer am Kicker: Der Fußball-Profi war zu Gast in der Schänke. © Anne Schiebener

Kurzzeitig stand das Event auf der Kippe. Der Auflauf an Gästen und Pressevertretern großer Zeitungen könnte zu groß werden. Die Sicherheit war laut Stadtverwaltung in Gefahr. Die Lösung: Fenster zu, Jalousien runter. Damit sollte der Auflauf eingedämmt werden.

Das hatte aber auch einen Nachteil: „Es war so heiß hier drin“, sagt Sille und lacht. Eigentlich wollten sie noch Würstchen grillen, wie im Stadion eben, aber bei der Hitze konnte niemand an eine heiße Wurst denken. Trotzdem fühlte sich Manuel Neuer in der Schänke wie zuhause.

„Manche nennen mich Mama“

Noch wichtiger als hoher Promi-Besuch sind den Wirten aber ihre Gäste. „Unserer Stammkunden halten die Schänke oben“, sagt der 66-Jährige. Es sind mehr als „nur“ Kunden. „Es ist hier sehr familiär“, sagt Sylvia. „Manche nennen mich Mama.“ - „Und ich bin Günni vonne Treppe.“

Umso dankbarer beide ihren Kunden und Freunden für all die Unterstützung in den vergangenen 20 Jahren. Angefangen von der Petition für den Erhalt der Schänke, die 2017 ins Leben gerufen wurde. Der neue Eigentümer hat damals eine Kündigung wegen Eigenbedarf ausgesprochen. „Mit dem Gegenwind hat er aber nicht gerechnet“, sagt der 66-Jährige. Tausende Unterschriften sicherten den Erhalt des Standortes.

Jörn Peters (l.) arbeitete gemeinsam mit weiteren Freunden wochenlang an der Bulli-Überraschung für Kneipenwirt Günter Hildebrandt (r.).
Jörn Peters (l.) arbeitete gemeinsam mit weiteren Freunden wochenlang an der Bulli-Überraschung für Kneipenwirt Günter Hildebrandt (r.). © Stefanie Rink

Oder als der Kult-Wirt mit einer Bulli-Parade überrascht wurde. Er war wegen seiner Lungenkrankheit in der Reha. Währenddessen haben seine Freunde seinen „Ollen Johann“ wieder flott gemacht. Ein VW T3, sein Traumauto, das jahrelang ungenutzt in der Garage stand.

Spendenaktion im Lockdown

Und schließlich die Spendenaktion während der Coronazeit. „Patrick Kramer hat die Initiative gegründet - ohne dass wir das wussten“, erinnert sich Günther Hildebrandt. Unter dem Motto „Rettet unser Schänke-Wohnzimmer aus eurem Wohnzimmer heraus“ startete eine berührende Spendenaktion für Halterns Kult-Kneipe.

Nach acht Stunden waren schon mehr als 3500 Euro auf dem Spendenkonto. „Es war nicht so einfach, Hilfe anzunehmen“, erinnert sich Sylvia Hildebrandt. Zwar haben sie auch die Soforthilfe der Bundesregierung bekommen, aber das sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen.

Mit dem Geld aus der Spendenaktion ihrer Stammkunden und Freunde konnten sie sich ein halbes Jahr über Wasser halten. „Das war überwältigend“, sagt Günni.

Aus der Stadt Schänke wurde 2003 die Schänke.
Aus der „Stadt Schänke“ wurde 2003 die Schänke. © Anne Schiebener

Corona-Lockdown und der Krebs - „Die letzten drei Jahre waren heftig“, sagt Sille. Das hält das Ehepaar aber nicht davon ab, trotzdem von Mittwoch bis Samstag jeden Abend ihre Türen zu öffnen. „Die Kneipe unten ist genauso unser Zuhause wie unsere Wohnung oben“, sagt die Gastwirtin.

„Wir machen so lange weiter, wie ich lebe“, sagt Günni. Seine Frau will gar nicht so weit in die Zukunft blicken. Sie schaut von Tag zu Tag. „Ich plane gar nicht mehr.“

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