Hohe Sicherheitsvorkehrungen bei Windrad-Sprengung Halterner Gelände weiträumig abgeriegelt

Hohe Sicherheitsvorkehrungen bei Sprengung
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Jetzt ist es amtlich: In vier bis sechs Wochen, je nach Witterungslage, soll das Nordex-Windrad in Haltern gesprengt und nicht zurückgebaut werden. Fragen und Antworten:

Warum muss das Windrad gesprengt werden?

Am 29. September 2021 war in der Hohen Mark bei Lippramsdorf ein 249 Meter hohes Windrad eingestürzt. Ein Jahr später wurde die Unglücksursache geklärt: Schwachstellen des Spannbetonteils des Beton-Stahl-Hybridturms hatten die Havarie ausgelöst.

Der Hersteller Nordex hatte unmittelbar nach dem Einsturz alle 21 baugleichen Windräder vom Typ N149 in ganz Deutschland stilllegen lassen. Alle Windräder werden zurück gebaut.

Was versteht man unter Rückbau?

An den Turbinen erfolgen die Arbeiten für den Rückbau in Einzelschritten: Rotorblätter, Nabe, Maschinenhaus und der obere Teil des Turms - eine Stahlkonstruktion - werden demontiert. Anschließend werden die verbleibenden Betontürme durch eine gezielte Sprengung kontrolliert zu Boden gebracht. Nordex bezeichnet diese Methode als „weltweit gängige Methode für den sicheren und schnellen Rückbau von Betonbauwerken“.

Es gibt aber Ausnahmen. Wann kann diese Methode nicht angewandt werden?

„In Abhängigkeit vom jeweiligen Schadensbild wurde bisher vereinzelt bei Anlagen auf die vorherige Demontage der Hauptkomponenten vor dem Rückbau in Form einer geordneten Sprengung verzichtet“, erklärte Nordex-Sprecher Felix Losada auf Anfrage.

In Lippramsdorf sowie bei vier weiteren Anlagen in Deutschland ist das der Fall. Der Turm des 1200 Tonen schweren Halterner Windrads darf aus Sicherheitsgründen nicht betreten werden. Nach Angaben von Dr. Bernhard Klocke, Geschäftsführer der Windpark Haltern AV 9 GmbH, bröckeln Steine im oberen Teil und stürzen rund hundert Meter in die Tiefe. „Das ist viel zu gefährlich.“

Für die Demontage zentraler Windrad-Komponenten müsste aber im Turm gearbeitet werden. Sechs der insgesamt 24 Stahlseile im Innern müssten durchtrennt werden, um Spannung aus dem Turm zu nehmen. Danach müssten noch viele Schrauben gelöst werden.

Ist über andere Abbau-Alternativen nachgedacht worden?

Nach Angaben von Dr. Bernhard Klocke hätten Spezialisten auch über den Einsatz von Robotern im Turminnern nachgedacht. „Das geht aber leider auch nicht, weil der Turm dafür ebenfalls betreten werden muss.“

Nun ist eine gesteuerte Sprengung geplant. Was wird dafür vorbereitet?

Rund 3000 Quadratmeter Wald, die das Windrad umgaben, wurden gerodet. Experten bereiten nun ein so genanntes Fallbett vor. Eine Grube wird ausgehoben, ausgekoffert und mit besonders starken Schutzfolien ausgelegt. Hier soll der Schutt sicher aufgefangen und restlos geborgen werden.

Der Wald wurde auch gerodet, damit nach der Sprengung der Abtransport von Anlageteilen, Partikeln und gegebenenfalls Betriebsmitteln problemlos erfolgen kann.

Wem gehört der Wald?

Die Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet mbH, kurz: AGR, ist Eigentümerin dieses Waldgebiets. Eine Genehmigung zur Rodung lag vor. Die AGR wird für den Baumbestand entschädigt. Er besteht größtenteils aus Kiefern und Fichten. Nach Abschluss aller Arbeiten soll an dieser Stelle mit „hochwertigeren Baumarten“ wieder aufgeforstet werden.

Wer trägt die Kosten für die Rodung?

Die Kosten für Rodung und Wiederaufforstung trägt Nordex.

Werden all diese Maßnahmen behördlich begleitet?

„Der gesamte Rückbauprozess inklusive der Entsorgung werden von Experten in enger Abstimmung mit allen zuständigen Behörden und unter Berücksichtigung aller umweltrelevanten Vorgaben umgesetzt“, teilt die Windpark Haltern AV9 GmbH dazu mit.

Wann soll gesprengt werden?

Hierzu geben Nordex sowie die Anlagenbetreiber keine konkrete Auskunft. Der Rückbau sei von Witterungsverhältnissen abhängig, heißt es. Ein Zeitraum von vier bis sechs Wochen werde aber ins Auge gefasst, bis die Sprengung erfolgen könne. Um zu vermeiden, dass Schaulustige angelockt werden, wird der Sprengungstermin nicht öffentlich bekanntgegeben.

Wer führt die Sprengung durch?

Nordex hat die Thüringer Sprenggesellschaft beauftragt. Das Unternehmen hatte im vergangenen März bereits in Beckum ein baugleiches Windrad komplett gesprengt. Es könne auf jahrelange Erfahrung in der fachgerechten und sicheren Sprengung unterschiedlicher Betonbauwerke zurückgreifen, heißt es seitens der Verantwortlichen.

Die Thüringer Sprenggesellschaft führt demnach auch eine Erschütterungsanalyse durch, deckt die Sprengstelle ab und sperrt einen Sicherheitsbereich im Umkreis von 300 Metern ab.

Schon vor der Sprengung wird dieser videoüberwachte Sicherheitsbereich zusätzlich mit einer Drohne kontrolliert.

Was geschieht am Tag der Sprengung?

Das Gelände bleibt weiträumig abgesperrt und wird von einem Sicherheitsdienst mit Drohne und Wärmebildkameras überwacht. Das Betreten der Baustelle und des Sicherheitsbereichs ist für Außenstehende nicht erlaubt.

Das Sprengkommando ist in einem Baucontainer 450 Meter entfernt an der ehemaligen Unglückstelle untergebracht und steuert die Sprengung von dort aus

Dr. Bernhard Klocke am neu gebauten Windrad. Im Hintergrund das Windrad, das gesprengt wird.
Dr. Bernhard Klocke am neu gebauten Windrad. Im Hintergrund das Windrad, das gesprengt wird. © Ingrid Wielens

Wie viele Sprengungen sind nötig?

Es erfolgen zwei Sprengungen. Die erste ist deutlich lauter als die zweite und dient der Vergrämung. Wildtiere sollen so vertrieben und geschützt werden. Etwa zehn Sekunden später erfolgt die zweite Sprengung.

Was ist nach dem Abtransport des gesprengten Windrads geplant?

An derselben Stelle wird eine neue Anlage des gleichen Typs Nordex N149 errichtet. Wenn die Pläne aufgehen, soll diese bereits im Oktober ans Netz gehen.

Muss das Fundament neu errichtet werden?

Das Betonfundament wird für den neuen Turm neu gebaut.

Was ist an der ehemaligen Einsturzstelle geschehen?

Dort ist längst wieder eine neue Anlage in Betrieb genommen worden. Sie produziert sauberen Strom für mehr als 4500 Haushalte.

Wer sind die Projektpartner der Windpark Haltern AV 9 GmbH?

Es handelt sich um eine Beteiligungsgesellschaft. Die RAG Montan Immobilien GmbH hält 80 Prozent der Anteile, die Stadtwerke Haltern am See 20 Prozent.