Mit 14 Jahren hängt Katharina Friedrich häufig mit einer Freundin ab, wie sie es nennt. „Seid ihr eigentlich zusammen?“, möchte seinerzeit ihre Mutter wissen. „Die Frage hat ganz viel in mir geöffnet.“ Sie lächelt. „In dem Moment war der Drops für mich gelutscht.“ Sie muss sich nicht mehr outen. „Es war einfach eine normale Option, Freundinnen zu haben – und die hatte ich dann auch.“
Heute ist sie 31 Jahre alt – und Pfarrerin der evangelischen Christus-Kirchengemeinde Herten, wo sie für die Jugendarbeit zuständig ist. „Es ist für mich immer ein Wagnis, meine eigene Queerness offen zu machen“, sagt sie. „Ich habe Angst, auf das Thema reduziert zu werden – und meine vielleicht ein bisschen komplizierteren Beziehungsstrukturen zu erklären.“ Doch sie möchte auch Ansprechpartnerin sein. „Damit die Menschen sehen, dass queer zu sein ganz normal ist.“
Katharina Friedrich wird in Dortmund geboren. „Ich bin christlich aufgewachsen“, erzählt sie. „In meiner Familie hat Religion immer eine Rolle gespielt.“ Schon als Kind lernt sie, dass sie sich auf Gott verlassen kann. „Aber ich muss auch selbst aktiv werden.“ Ungerechtigkeit, Kapitalismus, Umweltzerstörung … – sie ist sich sicher, dass Gott eine andere Idee für die Welt hat als es die derzeitige Lage widerspiegelt. „Da sind wir Menschen gefragt zu handeln.“
Langjähriger Freund verstirbt
Die Konstante in ihrem Glauben: der Tod. „Der hat mir nie Angst gemacht.“ In jungen Jahren besucht sie mit ihrer Großmutter gerne den Friedhof, auf dem ihr verstorbener Großvater begraben ist. „Meine Oma war sich sehr sicher, dass er bei uns ist und uns beobachtet“, erinnert sich Katharina Friedrich. „Er war immer sehr präsent für mich, obwohl ich ihn nicht kennengelernt habe.“ In ihr reift die Überzeugung, dass der Tod „nur eine Art Pause ist, bis wir uns wiedersehen“.
Doch im November vergangenen Jahres stellt sie das Ableben ihres langjährigen Freundes Florian auf eine harte Probe. „Flo ist plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben – mit 42 Jahren.“ Sie schluckt. „Ich war sauer, dass er mich alleine gelassen hat.“ In ihre Trauer mischen sich Fragen: Was mache ich mit der Erinnerung? Wie viel Erinnerung tut mir gut? Wie viel erdrückt mich? „Der Alltag ist schwerer geworden“, sagt sie heute. „Ich bin dünnhäutiger – und meine Kräfte sind auf jeden Fall geringer.“ Für sie der entscheidende Grund, im Januar dieses Jahres ihre halbe Stelle in der evangelischen Kirchengemeinde Haltern aufzugeben – und sich fortan nur noch in Herten zu engagieren.

Durch die düstere Zeit geht sie nicht alleine: „Ich komme vorbei, bringe Essen mit und schaue, dass du wenigstens drei Löffel isst“, bieten Freunde und Familie an. Heute besucht sie eine Trauergruppe für junge Erwachsene. „Ich hatte ein bisschen Angst, zu so einer Gruppe zu gehen“, erzählt sie. „Ich dachte, dass ich dort nur unter 60-jährigen Witwen bin – und wir sehr andere Themen haben.“ Doch sie findet sich unter Gleichaltrigen wieder. „In diesem Format ist das gut.“
Bei ihrer Arbeit fällt sie mit ihrer Sexualität nicht ins Haus. Das ist auch nicht nötig: Die Jugendlichen „riechen es zehn Meter gegen den Wind“, dass sie queer ist. In Gesprächen „vertrauen die Menschen mir ihr Outing an oder ihre Transformation, die sie durchleben“. Manchmal sind Änderungen des Namens das Thema, ein anderes Mal geht um Erfahrungen im Freundes- oder Bekanntenkreis. „Für sie ist es wichtig, mir das mitzuteilen – und zu wissen, dass ihnen Verständnis entgegengebracht wird.“
Queerer Jugendtreff in Herten
Ihr derzeitiges Projekt: ein queerer Jugendtreff in Herten. Sie sieht den Bedarf nach einem sicheren Ort für die Jugendlichen. „Es ist einfach cool, sich mit Leuten auszutauschen, die ähnliches erlebt haben.“
Doch da ist noch eine andere Seite: Auf dem jüngsten Christopher-Street-Day (CSD) in Recklinghausen betreibt Katharina Friedrichs Kirchengemeinde gemeinsam mit der evangelischen Jugend einen Stand. „Ich warte noch, bis es dunkel wird, sagte eine Transperson zu mir“, erinnert sie sich. „Die Person wollte sich noch ein bisschen an unserem Stand herumdrücken – am helllichten Tag wollte sie nicht in ihren Wohnort zurückfahren.“
Sorge, „auf die Fresse zu kriegen“
Dieses Beispiel ist für Katharina Friedrich exemplarisch: „Auf dem CSD fürchtest du wenig“, erzählt sie. „Doch sobald du den Platz verlassen hast, steigst du in den Zug und guckst dich wieder um – aus Sorge, in deinem Pride-Outfit auf die Fresse zu kriegen.“
Auch für sie „war es nicht immer einfach“, erzählt Katharina Friedrich. „Aber ich hatte Glück, weil ich nie irgendeinen Scheiß erfahren habe.“ Soziale Gerechtigkeit, auf Demos zu gehen, sich für die queere Gemeinschaft einzusetzen und selbst eine queere Beziehung zu führen … – nach dem plötzlichen Tod von Flo „haben sich die großen Themen meines Lebens nicht verändert“, sagt sie. „Es ist nur alles neu geworden.“
Was ist queer?
Vereinfacht gesagt, ist queer ein Sammelbegriff. Darunter fallen sexuelle Orientierungen, die nicht heterosexuell sind – zum Beispiel schwul, lesbisch und bisexuell. Ferner fallen darunter unter anderem Geschlechtsidentitäten von Menschen, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich (non-binär) identifizieren, sowie Transfrauen und Transmänner.