Traumberuf trotz Widrigkeiten Warum Yara Mattes (33) Hebamme werden will

Traumberuf trotz Widrigkeiten: Warum Yara Mattes Hebamme werden will
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Manchmal möchte Yara Mattes unbedingt Überstunden machen. Das kommt vor, wenn die angehende Hebamme eine werdende Mutter im Kreißsaal betreut, und die Geburt erst nach Schichtende beginnt. „Diesen Moment möchte ich dann nicht verpassen – egal wie lange das dauert“, sagt Mattes.

Die 33-Jährige befindet sich gerade im dritten Jahr ihrer Ausbildung, absolviert den praktischen Teil bei den erfahrenen Kolleginnen Sabina Gajda, Gudula Stenner-Klischies und Manuela Grafe von der Halterner Hebammenpraxis.

Auf den Beruf ist Mattes durch einen Zufall gestoßen, eigentlich hat sie zuvor Geschichte studiert. In ihren wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt sich Mattes mit der Geburtshilfe im Wandel der Zeit – und merkt dabei schnell, dass sie selbst als Geburtshelferin arbeiten möchte. „Das ist einfach der beste Job, den es gibt, mein absoluter Traumberuf“, ist sich Mattes sicher.

Unregelmäßige Arbeitszeiten

Die ehemalige Geschichtsstudentin schätzt die Vielfalt der Hebammentätigkeit – und die Möglichkeiten, die damit einhergehen: Von der Vorsorge über die Geburt bis hin zur Nachsorge biete gerade die Freiberuflichkeit einiges an Abwechslung – auch, wenn das manchmal Stress bedeutet.

„Ich weiß zwar immer, wann ich starte, aber ich weiß nie, wann ich zu Hause bin. Da braucht es schon Verständnis und Rückhalt vom Partner“, sagt sie. Nicht selten kommt es vor, dass die Nachtschicht in der Klinik sich bis in den nächsten Mittag zieht – aber nur, weil Mattes sich dann freiwillig dafür entscheidet, länger zu bleiben.

Ihre erfahrenen Kolleginnen wissen genau, warum: „Wenn man über mehrere Stunden eine Frau in den Wehen betreut hat, dann lässt man sich bei der Geburt nicht die Butter vom Brot nehmen“, sagt Manuela Grafe. Dafür sei dieser Moment viel zu besonders: „Die Hände der Hebamme sind die ersten Hände, die ein Mensch berührt. Besser geht es nicht“, findet sie.

Hebamme tastet Bauch einer Schwangeren ab.
Als freiberufliche Hebamme beginnt die Begleitung der werdenden Mutter nicht erst während der Geburt, sondern schon in der Schwangerschaft. © picture alliance/dpa

Hohe Verantwortung

Trotz aller Leidenschaft für ihren Beruf haben die Hebammen aber auch mit Widrigkeiten zu kämpfen; oft fehlt es ihnen an rechter Anerkennung: „Bei einer Festanstellung in einer Klinik verdienen wir genauso viel wie Krankenpfleger, obwohl wir deutlich mehr Verantwortung übernehmen“, so Mattes.

Schließlich dürfen Hebammen die Gebärenden vollumfänglich alleine betreuen, müssen Abweichungen und Pathologien während der Geburt selbstständig erkennen und entsprechend reagieren. „Das ist körperlich und psychisch extrem anstrengend“, weiß auch Sabina Gajda. „Wir müssen mehreren Menschen gleichzeitig gerecht werden: der Gebärenden, dem Neugeborenen und gegebenenfalls dem Arzt.“

Job mit Risiko

Als freiberufliche Hebamme habe man deutlich mehr Freiheiten – ist aber auch einem höheren finanziellen und beruflichen Risiko ausgesetzt, wie Manuela Grafe erklärt: „Wenn ich für eine Nachsorge zu einer frischgebackenen Mutter fahre, kann ich dafür knapp 38 Euro abrechnen – egal, wie lange der Termin dauert. Ob zwanzig Minuten, eine Stunde oder drei Stunden – wir verdienen den gleichen Betrag.“

Und auch die notwendige Berufshaftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen hat mit über 9000 Euro pro Jahr einen stolzen Preis. „Das kann ich mir schlicht und ergreifend nicht leisten“, sagt Grafe. „Deshalb führe ich keine Hausgeburten mehr durch.“

Wie hoch die Verantwortung der Hebammen tatsächlich ist, zeigt ein Fall aus dem entfernten Bekanntenkreis, an den Manuela Grafe sich erinnert: Nach Komplikationen bei einer Geburt mit anschließender Behinderung des Kindes sei die betreuende Hebamme auf lebenslange Rente für das Kind verklagt worden. „Da kann man dann einpacken“, weiß Grafe. „Danach arbeitet man nie wieder in seinem Beruf.“

Emotionale Geburten

Und dennoch überwiegen für die Hebammen aus Haltern die schönen Momente. So erinnert sich Gudula Stenner-Klischies auch Jahre später noch an eine Geburt, bei der die Mutter unbedingt den Vater des Kindes – einen britischen Soldaten – an ihrer Seite haben wollte, ehe dieser in derselben Nacht in den Irak-Krieg ziehen sollte. Stundenlang habe die Mutter gebangt, ob ihr Wunsch in Erfüllung geht, bis um vier Uhr morgens schließlich das Baby auf die Welt kam. Zwei Stunden später habe der Vater zu seinem Auslandseinsatz aufbrechen müssen. „Da hatten wir alle Tränen in den Augen“, erinnert sich Stenner-Klischies.

Baby wird gewogen
Das Wiegen des Babys gehört im Rahmen der Nachsorge auch zum Job der Hebamme dazu. © picture alliance/dpa

„Kein Beruf, sondern Berufung“

Für eben solche Momente, ist sich auch Yara Mattes sicher, nimmt sie jede Überstunde gerne in Kauf. Nach Abschluss ihrer Ausbildung möchte sie zunächst in der Klinik arbeiten, später kommt für sie auch die Freiberuflichkeit in Frage. Wie sich dieses Zusammenspiel langfristig gestaltet, weiß sie aktuell noch nicht. Aber in einer Sache ist sie sich mehr als sicher: „Für mich ist der Job als Hebamme kein Beruf, sondern eine Berufung.“