Halterns erstes Kaufhaus Politiker und Bürger zogen aus Protest auf die Straße

Halterns erstes Kaufhaus: Wutausbrüche und Bürgerprotest
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Halterns erstes Kaufhaus eröffnete am 26. April 1989. Das Projekt war heftig umstritten, deshalb wunderte der Seufzer der Erleichterung des damaligen Bürgermeister Hermann Wessel nicht: „Ich brauche meine Freude nicht zu umschreiben!“ Er sei sicher, dass dieses neue Haus ein guter Anziehungspunkt werde. Davon waren allerdings nicht alle Politiker und nicht alle Bürgerinnen und Bürger überzeugt, als das Vorhaben 1981 öffentlich wurde.

Um die Entwicklung der Muttergottesstiege bewarben sich die Immobilien- und Treuhand-Gesellschaft ITG aus Düsseldorf und der Architekt Siegfried Wrocklage aus Buldern. Der eine bezifferte die Kosten auf rund 77 Millionen DM, der andere auf nur 37 Millionen DM. Im Juni 1982 brachte sich zusätzlich ein Ehepaar mit seinen Plänen und Versprechungen überraschend ins Spiel. Letztlich erhielt Siegfried Wrocklage den Zuschlag für das Gesamtprojekt Muttergottesstiege im Bereich Weseler-/Lavesumer-/Rekumerstraße.

So sah das Modell aus, mit dem Architekt Siegfried Wrocklage ins Rennen ging. Alle drei Komplexe der Muttergottesstiege sind realisiert worden, auf dem Weg dorthin gab es eine Menge Ärger.
So sah das Modell aus, mit dem Architekt Siegfried Wrocklage ins Rennen ging. Alle drei Komplexe der Muttergottesstiege sind realisiert worden, auf dem Weg dorthin gab es eine Menge Ärger. © Halterner Zeitung (A)

Geplant war ein zweiteiliger Komplex. Wrocklage machte daraus ein Trio, indem er an der Ecke Lavesumer-/Römerstraße ein Privatgrundstück kaufte und dort Eigentumswohnungen und Geschäftslokalen baute. „Das gibt Theater“, hieß es seitens der Politik. Denn die Geschäftsleute der Innenstadt hatten erhebliche Bedenken gegen eine zu große Ausweitung des Geschäftssektors. Sie hatten lediglich die 1000 Quadratmeter Verkaufsfläche und das 3500 Quadratmeter große Warenhaus Muttergottesstiege akzeptiert.

Spielsalon und Kinosäle

Im April 1983 begann dann der Bau des Wohnkomplexes A entlang der Lavesumer Straße mit 33 Wohnungen, Geschäftslokalen und der Stadtbücherei (1200 Quadratmeter Fläche) sowie einer Eckkneipe mit Kegelbahn.

Große Pläne gab es für das eigentliche Kaufhausgelände mit Kaufring als Leasingnehmer. Entstehen sollten eine ganze Reihe von Einzelhandelsgeschäften, 104 Wohnungen, gastronomischer Betrieb, ein (sehr umstrittener) Spielsalon und drei Studiokinos sowie eine Tiefgarage. Die Spitzenlage sollte mit 5000 DM pro Quadratmeter gut bezahlt werden.

Von dem neuen Kaufhaus solle, so versicherte der damalige Erste Beigeordnete Julius Holzschneider, kein Verdrängungswettbewerb ausgehen. Vielmehr solle es Magnetwirkung ausüben und die Kaufkraft an Haltern binden.

Das glaubten nicht alle. Die Parteien führten hitzige Debatten, weil Siegfried Wrocklage das Projekt nur dann realisieren wollte, wenn die Stadt den Grundstückspreis um 600.000 DM herabsetze und er einen Spielsalon ins Haus holen könne. Andernfalls drohte er mit dem Aus. Hintergrund war, dass das Mammutprojekt nicht wirtschaftlich war, Wrocklage hatte bereits einen Teil seines großen Projektes unter Wert an die Apothekerkammer abgegeben.

Rat brüllte sich an

Alle Fraktionen lehnten die Forderungen des Architekten ab, dafür boten CDU und SPD ihm allerdings an, Bürofläche für die städtische Verwaltung anzumieten. In der Ratssitzung im Juni 1986 sei polemisch und verletzend gebrüllt und nicht mehr sachlich diskutiert worden, sagte später ein Ratsmitglied.

WGH und Grüne, die bei Vorbesprechungen ausgeschlossen worden waren, fühlten sich durch das Angebot der Stadtspitze ausgetrickst. Im Übrigen lehnten sie sowie das unabhängige Ratsmitglied Jürgen Huth das Projekt im Planbereich B grundsätzlich ab. Von Kungelei war die Rede.

Grundsteinlegung des Kaufhaus-Komplexes am 24. Juni 1983. Auf dem Foto Erster Beigeordneter Julius Holzschneider (M.) und Bürgermeister Hermann Wessel (r.).
Grundsteinlegung für den Komplex mit der Stadtbücherei am 24. Juni 1983. Auf dem Foto Erster Beigeordneter Julius Holzschneider (M.) und Bürgermeister Hermann Wessel (r.). © Archiv Backmann

Ein „verlockendes Mietangebot“ des Architekten führte dann dazu, dass die Stadt für die Dauer von 30 Jahren gut 4000 Quadratmeter anmietete für Baudezernat, Rechnungsprüfungsamt, Schul- und Kulturamt, Stadtkämmerei, Steueramt, Personalrat und Volkshochschule.

Im März 1987 schlugen die Beteiligten den Knoten für die Realisierung des in Haltern oft totgesagten Kernbereichs der Muttergottesstiege mit Tiefgarage, Kaufhaus, Verwaltungsfläche, sechs Ladenlokalen und wenigen Wohnungen durch. Neben der Stadt waren die Lebensmittelkette Co-op und das Kaufring-Kaufhaus Burgholz Hauptmieter. Die Apothekerkammer Westfalen-Lippe übernahm den Kernbereich als Investor.

Demo gegen „Fehlplanung“

Damit war aber der Protest nicht zu Ende. Es gründete sich eine Bürgerinitiative „Muttergottesstiege“, die auf die Straße ging („Raus aus der Fehlplanung Muttergottesstiege“), Zeitungsanzeigen schaltete, Postkarten drucken ließ. Es werde gegen den Willen der Bürger und über Köpfe hinweg entschieden und dabei ein irreführendes Zahlenwerk vorgelegt. Mittlerweile ärgerten sich allerdings auch die Befürworter CDU und SPD kritisch über einen schleppenden Fortgang bei den Planungsarbeiten. „Wir schwimmen im Ungewissen“, hieß es öffentlich.

Der zweite Bauabschnitt der Muttergottesstiege entlang der Lavesumer Straße: Hier entstanden Wohnungen, Geschäftslokale und Stadtbücherei.
Der zweite Bauabschnitt der Muttergottesstiege entlang der Lavesumer Straße: Hier entstanden Wohnungen, Geschäftslokale und Stadtbücherei. © Archiv Backmann

Im Abstimmungsverhalten während der Ratssitzung am 10. September 1987, wo die Weichen für das 30 Millionen DM teure Unterfangen endgültig gestellt wurden, zeigte sich die Unzufriedenheit. 42 von 45 Ratsmitglieder waren anwesend, 29 CDU- und SPD-Mitglieder votierten für den Bau der Muttergottesstiege, zwölf Mitglieder von WGH, Grünen, CDU und SPD sowie Jürgen Huth stimmten dagegen. Grünes Licht für ein Projekt, das im Dunkeln hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde, schrieb die Halterner Zeitung.

60.000 Kaufhaus-Artikel

Am 26. April 1989 öffnete Halterns erstes Kaufhaus seine Pforten. Den Lebensmittelmarkt Co-op rundeten Drogerie, Foto-Shop, Zeitschriften-Stand und Bäckerei ab. Im Burgholz-Kaufhaus hatten die Kunden die Wahl zwischen 60.000 Artikeln. Es gab dazu ein Änderungsatelier, Schlüsseldienst, Lottoannahmestelle, eine Schuhreparatur-Werkstatt und einen Friseur.

Heute ist das Kaufhaus ein vitaler Ort, aber im Laufe der Geschichte war es durch Leerstände manches Mal ein Sorgenkind. Dass die Architektur des Gesamtkomplexes so gar nicht zum Stadtbild Halterns passt, ist eine andere Geschichte.

Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag ist ursprünglich am 31. Oktober 2022 erschienen.

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