Man stelle sich vor: Ein Rehkitz wird von seiner Mutter, gut geschützt vor natürlichen Fressfeinden, in einem Feld oder auf einer Wiese abgelegt. Der Instinkt des Jungtieres veranlasst es dazu, vor allem in den ersten Lebenswochen, sich bei Gefahr zu ducken und nicht wegzulaufen. „Unter Umständen kann das aber gefährliche Konsequenzen haben“, weiß Markus Adamus. „Denn die Rehkitze werden so oftmals von den Landwirten übersehen, wenn sie auf ihren Feldern mit landwirtschaftlichen Maschinen unterwegs sind. Die Jungtiere haben keine Chance.“
Als stellvertretender Obmann der Kitzrettungsgruppe des Hegerings Haltern am See setzt sich Markus Adamus dafür ein, dass Rehkitzen ein solch grausames Schicksal erspart bleibt. Insgesamt 20 Mitglieder zählt die Gruppe. „Wir sind jetzt schon im vierten Jahr unterwegs. Das Thema gibt es aber schon länger“, so Markus Adamus.
Adamus ist seit 2015 Jäger und kam so mit der Problematik unter anderem durch die Kreisjägerschaft Recklinghausen in Berührung, wie er weiter erklärt: „Ich hörte immer wieder, dass insbesondere Rehkitze Erntemaschinen zum Opfer fielen. Die Öffentlichkeit wurde für das Thema auch immer mehr durch den Tierschutz und die Gesetzgebung sensibilisiert. Ich habe mich dann mit der Materie beschäftigt. Und als ich in den Hegering eintrat, wurde passenderweise gerade die Initiative ergriffen, um Drohnen für die Kitzrettung anzuschaffen. Ich habe mich dann sehr gerne der Gruppe angeschlossen.“
Für den Hegering war die Anschaffung der zwei Drohnen damals eine große Sache. Denn: „Eine Drohne kostet 6.000 Euro. Für einen Verein, der eigentlich kein Kapital hat, war das enorm“, so Markus Adamus. Gleichzeitig zeigt es aber auch, wie wichtig es war, das Problem anzugehen.
Ein Team pro Drohne
Die Gruppe teilt sich dabei auf in zwei Teams – also ein Team pro Drohne. Gibt es einen Einsatz, rücken in der Regel zwei bis drei Leute aus: Ein Pilot und ein bis zwei Helfer, die die Kitze bergen. Markus Adamus erklärt das genaue Vorgehen: „Wir werden entweder von dem für das Gebiet zuständigen Jagdausübungsberechtigten oder dem Landwirt informiert, dass auf einem bestimmten Feld zu einer bestimmten Uhrzeit gearbeitet wird.“ Wichtig sei in diesem Zusammenhang, „dass wir eine Erlaubnis vom Grundstückseigentümer und dem zuständigen Jäger bekommen“. Sei dies geklärt, fliegen die Gruppe das Feld oder die Wiese mit einer Drohne ab, ehe der Landwirt zur Arbeit schreitet.
Das Besondere: Die Drohne ist ausgestattet mit einer Wärmebildkamera. Bei einer Flughöhe von 60 Metern kann die Drohne Wärmebildsignaturen erkennen. „Haben wir etwas gefunden, gehen wir runter auf ungefähr 10 Meter und schauen ganz genau hin. Denn gelegentlich finden wir auch Gelege von zum Beispiel Fasanen oder Enten“, so Markus Adamus. Diese werden dann gekennzeichnet, sodass die Landwirte drumherum fahren können.
Wird allerdings ein Rehkitz gefunden, geht das Team anders vor. „Dieses betten wir behutsam in eine Kiste mit Gras. Diese wird an den Rand des Feldes gestellt“ so Adamus. „Wir sagen dann dem Landwirt und dem Jäger Bescheid, wo die Kiste steht. Einer der beiden lässt das Jungtier dann nach Beendigung der Arbeiten wieder raus.“
„Die kleinen Rehkitze schreien manchmal wie verrückt“
Und bekommt auch die Ricke, also die Mutter des Jungtieres, das Treiben mit? „Oh ja. Die kleinen Rehkitze schreien manchmal wie verrückt. Die Ricke hört das natürlich und passt auf. Teilweise stellen sich die Mütter sogar neben die Kisten und warten, bis alles vorbei ist“, weiß der stellvertretende Obmann.
Deshalb sei es auch ganz wichtig, dass Handschuhe getragen werden, damit das Rehkitz keinen fremden Geruch annimmt. Und noch etwas betont Markus Adamus: „Sollten zum Beispiel Spaziergänger eine derartige Kiste mit Rehkitz finden: Bitte die Tiere in Ruhe lassen und die Kiste nicht öffnen. Man tut ihnen keinen Gefallen, wenn man sie zum Beispiel streichelt.“
Das Rehkitz kann dann bis zu vier Stunden in der Kiste ausharren, bis es wieder gesäugt werden muss, was es umso wichtiger macht, den Drohneneinsatz optimal zu timen und auch schnell zu arbeiten. Nicht zuletzt auch deshalb, da die Akkulaufzeit der Drohnen nun mal begrenzt ist.
Meistens reißt es die Mitglieder der Kitzrettungsgruppe dabei schon früh aus den Federn, denn geflogen wird größtenteils in den Morgenstunden gegen 5 oder 6 Uhr. „Das hat natürlich damit zu tun, wann die Landwirte ihre Arbeit erledigen wollen. Aber der große Vorteil vom Morgengrauen ist, dass bei kühleren Temperaturen die Tiere aufgrund ihrer Körperwärme von unserer Kamera gut erkannt werden. Hinzu kommt, dass wir natürlich auch alle berufstätig sind und ehrenamtlich die Tiere retten. Dementsprechend passt das auch gut zusammen“, erläutert Markus Adamus.
Rehretter haben Erfahrungen gesammelt
Und zum Glück ist es ja auch nicht der Fall, dass das Team täglich zum Einsatz ausrücken muss. Die meisten Flüge finden im Mai und Juni statt – also zur Brut- und Setzzeit. „Wenn die Ricken ihren Nachwuchs bekommen, aufziehen und pflegen, ist besonders viel los. Das werden intensive Wochen. Anfang Mai geht es los“, berichtet Markus Adamus.
Was auch hilft: Dass man mittlerweile ein eingespieltes Team ist. „Am Anfang haben wir viel Erfahrung gesammelt. Wir wissen jetzt zum Beispiel, in welchen Bereichen man eher mit Rehkitzen zu rechnen hat, und in welchen nicht. Befindet sich zum Beispiel ein Feld direkt an einer lauten Autobahn, so ist es eher unwahrscheinlich, dass eine Ricke dort ihr Jungtier ablegt“, weiß der stellvertretende Obmann. Expertise, die viel weiterhilft.
Froh ist er außerdem, dass mittlerweile viele Landwirte das ehrenamtliche Angebot der Kitzrettungsgruppe annehmen und auch zu schätzen wissen: „Wir bekommen viel positives Feedback.“ Aus diesem Grund hat der Hegering Haltern jetzt sogar eine dritte Drohne angeschafft – sodass auch zukünftig weiterhin viele Jungtiere gerettet werden können.
Ehrenamtliche Retter
Die Mitglieder der Kitzrettungsgruppe des Hegerings Halten engagieren sich alle ehrenamtlich. Das Abfliegen der Felder ist kostenlos. Dennoch freut sich die Gruppe über Spenden (Spendenkonto DE81 4016 4528 0100 7183 01, Paypal Kitzrettung@Hegering-Haltern.de). Die Kitzrettungsgruppe kann unter folgenden Telefonnummern kontaktiert werden: (01523) 8 12 92 10 (Team 1) und (01523) 8 12 92 11 (Team 2).
