Draußen hört man Kinderlachen. Die Sonne scheint. Vögel zwitschern. Hinter den Backsteinmauern sprechen sie über das Sterben und den Tod.
16 Männer und Frauen haben sich für diesen Tag beim Ambulanten Hospizdienst der Caritas Ostvest angemeldet. Ein Mann sagt in der Vorstellungsrunde: „Der Tod gehört für mich zum Leben dazu. Ich möchte nur vorbereitet sein.“
Sie alle in dem kleinen Gemeindesaal hatten einen Schicksalsschlag zu verkraften, haben Bruder oder Schwester, haben Eltern oder Freunde verloren. Anderen steht das noch bevor.
Kursleiterin Maria Dahms erklärt den demografischen Wandel. Sie sagt: „Die meisten von uns wollen zu Hause sterben. Sie tun es aber nicht.“ Oft schaffe es die Familie nicht, das zu ermöglichen. In Haltern hat der Hospizdienst 30 ehrenamtliche Mitarbeiter, die helfen.
Der Caritas geht es im Letzte-Hilfe-Kurs vor allem darum, das Thema Sterben aus der Tabu-Zone zu holen. Maria Dahms weiß: „Trauer, Schmerz, Angst, Sorgen – der Tod hat immer etwas mit Emotionen zu tun.“
Beim Letzte-Hilfe-Kurs gibt es ein feststehendes Konzept mit vier Modulen: Sterben ist ein Teil des Lebens. Vorsorgen und Entscheiden. Leiden lindern. Abschied nehmen.
Katharina Wieser vom Hospizdienst sagt: „Wir sehen uns als Lebensbegleiter, die Schwerstkranken und ihren Angehörigen in der letzten Lebensphase zur Seite stehen.“ Dahms und Wieser berichten vom Sterben. Dass zum Beispiel der Hörsinn eines Menschen der letzte Sinn ist, der erlischt. Viele Sterbende können noch bis zuletzt hören, was in ihrer Umgebung gesagt wird. „Das ist sehr wichtig zu wissen“, sagt Wieser.
Am Ende viele Sorgen
„Ein Mensch stirbt in vielerlei Hinsicht“, sagt Dahms. Sondern auch auf der psychischen, spirituellen und sozialen Ebene verändere sich etwas. Die Kursleiterinnen beschreiben das Konzept der Ganzheitlichkeit eines Menschen. So kann Schmerz nicht nur körperlich, sondern auch psychische Ursachen haben und/oder durch soziale oder spirituelle Faktoren verstärkt werden.
Dies gelte es bei der Symptombehandlung zu berücksichtigen. Man sterbe so, wie man gelebt hat. Am Ende blieben aber mögliche Sorgen: zum Beispiel Schmerz, Atemnot, Verwirrtheit, Einsamkeit, Sinn- und Hilflosigkeit, finanzielle Probleme. Verstopfung.

„Jeder Mensch hat ein Recht auf palliative Versorgung“, sagt Dahms. Die könne es auf unterschiedliche Arten geben, von der ambulanten Versorgung zu Hause oder im Pflegeheim bis hin zu einer Verlegung in ein stationäres Hospiz.
Das Thema Vorsorge ist Dahms und Wieser wichtig. „Wir schließen im Leben viele Versicherungen ab – aber haben häufig weder Patientenverfügung noch Vorsorgevollmacht für die Zeit am Lebensende.“ Denn: „Der Tod will gut vorbereitet sein.“ Und das könne man bis ins Detail: Eine Teilnehmerin berichtet von einer betagten Dame (92), die sich zu ihrer Trauerfeier ein Lied der Rockgruppe Queen gewünscht hat. Auch dieser Wunsch ging in Erfüllung.
Selbstbestimmtheit sei für viele Menschen auch in der letzten Phase ihres Lebens sehr wichtig, sagen die Kursleiterinnen. Deshalb sei Vorsorge so wichtig, damit die eigenen Wünsche und Bedürfnisse auch dann Berücksichtigung finden, wenn man sich nicht mehr selbst äußern oder kümmern kann.
Fünf W der Vorsorge
Im Kurs geht es auch um rechtliche Angelegenheiten – von der allgemeinen bis hin zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Oder den fünf W der Vorsorge: Was ist mir wichtig am Lebensende? Wer soll für mich entscheiden? Wo würde ich wie gerne sterben? Wann hat das Leben für mich noch einen Sinn?
Eine Palliativstation habe nicht ausschließlich den Sinn, die Menschen in den Tod zu begleiten. Sie solle die Patienten stabilisieren – oder Angehörige entlasten.
Der Kurs vermittelt viel Wissen zum Thema Sterben. Etwa: Man stirbt nicht, weil man aufhört zu essen und zu trinken. Sondern man hört auf zu essen und zu trinken, weil man stirbt. „Der Verzicht auf Nahrung löst im Körper für eine Endorphinausschüttung aus, die für ein Wohlgefühl sorgt“, erklärt Wieser. Die Körperfunktionen würden schwächer, der Körper brauche weniger Energie.

Man würde merken, wenn ein Mensch stirbt. Das Einzige, was Angehörige dann tun könnten, sei: Zeit haben. „Einfach nur da sein für den Menschen. Die Bedürfnisse wahrnehmen, vielleicht die Lippen befeuchten gegen das Durstgefühl, die Hand halten“, sagt Dahms. Wichtig ist ihr: „Es gibt dabei kein richtig oder falsch.“
Im Moment des Todes gebe es nichts mehr zu tun, sagt Dahms. Außer: „Ruhe bewahren, den Moment würdigen, das Geschehene sacken lassen und begreifen.“
Der Kurs vermittelt auch Dinge, die kaum jemand weiß: „Man kann sich zum Beispiel den Leichnam nach Hause bringen lassen, um ihn aufzubahren.“ Bis zu 36 Stunden sei das möglich. Angehörige könnten auch bei der Waschung und dem Ankleiden des Verstorbenen helfen.
Mit Kindern sprechen
Wichtig sei es auch, mit Kindern über das Sterben zu sprechen. Dahms sagt: „Wenn die Fünfjährige mit zu Opas Beerdigung will, nehmen sie sie mit.“ Nicht nur der Tod belaste die Kinder, sondern auch die Trauer der Eltern. „Wichtig ist die Freiwilligkeit“, sagt Wieser: „Jeder trauert auf seine Weise. Es gibt keine richtige oder falsche Art der Trauer.“

Nach vier Stunden ist der Erste-Hilfe-Kurs beendet. Die Bilanz? Ein Mann sagt: „Danke. Ich weiß jetzt, dass ich nicht alleine bin.“
Dann geht er raus. Dorthin, wo die Sonne scheint und die Kinder lachen.
Sterbebegleitung
- Der Letzte-Hilfe-Kurs der Caritas Ostvest ist anerkannt durch den Deutschen Hospiz- und Palliativverband und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. „Last Aid International“ ist die weltweite Dachorganisation.
- Mehr Informationen gibt es im Internet unter den Adressen wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de/ oder letztehilfe.info. Mithilfe einer Web-App kann man als Versuch mal seinen Tag so planen, als sei es der letzte.
- Mehr Informationen beim ambulanten Hospizdienst der Caritas Ostvest.