Haltern gedenkt Pogromnacht „7. Oktober war der furchtbarste Tag seit Gründung des Staates Israel“

Hunderte versammeln sich zum Gedenken an Pogromnacht
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Die Reichspogromnacht jährt sich 2023 zum 85. Mal. Auch in diesem Jahr wurden bundesweit wieder Kundgebungen gegen das Vergessen veranstaltet und in eindringlichen Worten aufgezeigt, zu welch unmenschlichen Taten Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gegenüber Minderheiten führen kann. In diesem Jahr sogar besonders eindringlich angesichts des Nahost-Konflikts und der Gräueltaten der Terrorgruppe Hamas an Israelis.

Um 16.30 Uhr fand erstmals der „Spaziergang gegen das Vergessen“ statt. Stadtarchivar Gregor Huesmann erläuterte vielen Interessierten an den Stolpersteinen die bewegenden Schicksale in Haltern lebender, von den Nazis verfolgter jüdischer Familien in der NS-Zeit.

Zeitgleich trafen sich Bürgerinnen und Bürger mit der Halterner SPD auf dem Judenfriedhof. Melanie Kubik und Daniel Wohlsdorf, Vorsitzende der SPD Haltern am See, sowie Volker Klose, stellvertretender Vorsitzender, mahnten in ihren Ansprachen gegen das Vergessen des Holocaust in Zeiten wieder aufflammender judenfeindlicher Übergriffe.

Um 18 Uhr eröffnete die Halterner Band Motel die Kundgebung auf dem Marktplatz - passend zum Anlass mit dem BAP-Song „Kristallnacht“. Danach begrüßten David Schütz im Namen des Forums Demokratie, Respekt und Vielfalt und Karolin Dorn, Schülerin der Alexander-Lebenstein-Realschule, die vielen Anwesenden und luden angesichts der Opfer des unendlichen Leids der jüdischen Bevölkerung damals und heute zu einer Schweigeminute ein.

Bürgermeister Andreas Stegemann verurteilte Hetzte, Ausgrenzung und Entrechtung von Minderheiten und Andersgläubigen und nahm Bezug auf den Terror der Hamas: „Wer foltert, ermordet, entführt und vergewaltigt, der ist kein Gotteskrieger. Der ist nur eines: Ein Massenmörder! Hinter jedem Opfer steht eine Familie, die trauert.“

Stegemann ging auf die internationalen Konflikte ein, die auch in der Nachbarschaft spürbar seien. In Recklinghausen und Castrop-Rauxel sind Moscheen Opfer rechter Hetze geworden. „Mehr denn je hat es an Wichtigkeit gewonnen, dass wir uns als Zivilgesellschaft stark machen. Nicht nur an diesem Tag. An jedem Tag!“

Hauptrednerin Irmtrud Wojak: "Der 7. Oktober war sicherlich der furchtbarste Tag seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948."
Hauptrednerin Irmtrud Wojak: "Der 7. Oktober war sicherlich der furchtbarste Tag seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948." © Antje Bücker

Pfarrer Klemens Emmerich hielt als Vertreter der Kirchen ein Plädoyer für ein friedliches Miteinander der Religionen. Danach betrat Dr. Irmtrud Wojak als Hauptrednerin des Abends das Podium. Die Historikerin und Gründerin des Fritz-Bauer-Forums in Bochum erinnerte an die Judenverfolgung in der Vergangenheit und mahnte, der vergangene Oktober ginge als erneutes antisemitisches Pogrom in die Geschichte ein: „Der 7. Oktober war sicher der furchtbarste Tag seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948.“

Auch sie verurteilte die Hamas aufs Schärfste, die sich nicht einmal gescheut hatte, ihre Horrortaten an Frauen, Männern, Kindern, Alten und sogar Babys zu filmen und im Internet zu veröffentlichen. „Wir sind an der Seite der Opfer der Hamas und fühlen mit ihnen und ihren Familien. Wir fühlen aber auch mit den vielen unschuldigen Menschen im Gazastreifen.“ Wojak machte klar, der neue Antisemitismus dürfe nicht als Problem der Eingewanderten abgetan werden und als Grund für eine Abschiebepolitik herhalten.

Mehr als 1300 Menschen kamen ums Leben und 7500 jüdische Geschäfte, Synagogen und Einrichtungen wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von Nationalsozialisten zerstört. Diese als Pogromnacht bekannt gewordene Gewaltwelle gilt als Auftakt der systematischen Verfolgung und Vernichtung jüdischer Bürger in der NS-Zeit.

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