Die Wölfe aus dem Norden, das Freie Volk jenseits der Lippe oder die Schanzenwache: Die Schützen aus Haltern am See treffen auf „Game of Thrones“. Über Tradition, Gemeinschaft und Identität.

Haltern

, 15.04.2019, 16:55 Uhr / Lesedauer: 4 min

In der Nacht zum Montag begann die letzte Staffel einer der weltweit erfolgreichsten TV-Serien aller Zeiten. „Game of Thrones“ steuert aufs Ende eines jahrelangen Krieges zu. Zahlreiche Völker kämpfen in dem Fantasy-Epos um den Eisernen Thron, die Herrschaft über die Sieben Königslande. Und Haltern am See hat mit der Geschichte mehr zu tun als viele denken. Dieser Text enthält jede Menge Fantasy-Nerd-Talk, wir versprechen aber, dass er ab der Hälfte ernsthafter wird.

Zum einen hätten wir da ganz im Norden das Haus Lavesum von Winterfell. Das Wappentier, der graue Schattenwolf, lebt im Wildpark Granat. Das bekannte mahnende Motto des Hauses lautet „Der Winter naht“ - und in der Hohen Mark ist sogar eine Indoor-Kletterhalle gebaut worden, um die Soldaten unabhängig von der Witterung zu trainieren.

Schanzen als Schutz vor Weißen Wanderern und Tagestouristen

Eine besondere Aufgabe kommt der Nachtwache in Haltern am See zu Teil. Die geschickten Schanzenbauer aus Hullern beschützen die Stadt vor Eindringlingen; vor Weißen Wanderern genau wie vor Tagestouristen aus dem Ruhrgebiet. Das Freie Volk, häufig als Wildlinge missverstanden, lebt jenseits der Lippe, auf der anderen Seite der Brücke in Hamm-Bossendorf. Über die Jahrhunderte hat sich eine große Rivalität aufgebaut, erkennbar durch den heute noch vertretenen Schlachtruf „Kriekedie hacketau“ aus dem Mittelalter: „Krieg ich dich, dann hau ich dich“.

Die aktuell mächtigste Familie der Stadt sind die Lannisters im Stadtkern mit ihrer modernen Gilde-Festung unweit des großen Sees. In einem unvergleichlichen Manöver löschten sie einige ihrer Widersacher aus, als sie den großen Tempel vom Seestern einfach in die Luft gejagt und eine Ruine hinterlassen haben. Die Gilde lebt in direkter Nachbarschaft mit dem Orden der Maester. Das sind Gelehrte und Geistliche, deren Stammsitz das Gewölbe der Silverbergschule ist.

Auf den Flaesheimer Eiseninseln am Kanal lebt ein Volk von Seefahrern, mit eigenem Schiffshebewerk und Yachthafen. Am wüstenähnlichen weiten Sandstrand des Silbersees sonnen sich die Sythener wie im warmen Dorne, stolz über ihre Souveränität und weitgehende Unabhängigkeit von den mächtigen Herrschern der Innenstadt.

Die wahre Unabhängigkeit lebt aber die Bruderschaft ohne Banner in der Freiheit. Eine feste Mitgliedschaft gibt es nicht - alle zwei Jahre regelt sich die Zugehörigkeit neu. Zwar nicht so groß wie die anderen mächtigen Familien, lebt die Bruderschaft nahezu demokratisch: Aktuell wird diskutiert, ob Frauen bald den Vogel von der Schützenstange holen dürfen. Durch Bergschäden entstand nicht weit entfernt das Grüne Tal, in dem seit mehr als 1000 Jahren das Haus Lippramsdorf regiert.

Eine Sklavenarmee und Drachen in Hotalü

Zwischen allen großen Ortsteilen erhebt aber auch eine selbstbewusste kleine Gruppe Ansprüche auf den Eisernen Thron. Holtwick, Tannenberg und Lünzum bilden die eingeschworene Dorfgemeinschaft Hotalü. Bis zum Jahr 2018 hatte mit Anette Riedel eine Frau das Zepter in der Hand, sozusagen die Daenerys „Sturmtochter“ Targaryen der Stadt - wenn sie noch eine Armee befreiter Sklaven und drei riesige Drachen hätte.

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Schützenvereine in Haltern am See

Schützenvereine in Haltern am See
15.04.2019

Spaß beiseite: Der Autor dieser verdrehten Zeilen ist zwar nicht weit von Haltern am See entfernt aufgewachsen, aber in einer Großstadt des Ruhrgebiets, in der Schützenvereine eine aussterbende Spezies darstellen. In Haltern am See habe ich mich auf die Suche nach der Faszination Schützenwesen gemacht.

Als unbeteiligter Gast ein Schützenfest zu besuchen, ist die eine Sache. Die Musik ist natürlich Geschmackssache, aber gegen ein Volksfest bei schönem Wetter ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber warum Uniformen, Marsch in Reih und Glied und vor allem: Warum sollte man dieses stundenlange Königsschießen gewinnen wollen? Viele Verpflichtungen, Termine und teure Abende sind die Folge.

Glückliche Momente und viele neue Freunde

„Wenn man lange im Verein aktiv ist, möchte man auch mal derjenige sein, der den Vogel abschießt.“ So hat es mir Herbert II. Thiemann mal gesagt, der ehemalige König von Hamm-Bossendorf. Und seine Königin Margarete Stevermüer-Klein erzählte dazu, wie viele glückliche Momente die Freunde in der Zeit ihrer Regentschaft hatten. Im Schützenverein treffe man so viele neue Freunde, sagte Margarete I., die aus dem Rheinland vor einigen Jahren nach Haltern gezogen ist.

Die Uniformen und die Ausmärsche, die seien halt einfach Tradition, hört man immer wieder. Auf meiner Suche nach den Gründen für die Begeisterung sagen die Halterner das generell häufig: Tradition. Viele Leute sehnen sich danach, dass etwas so bleibt wie früher, dass sich nicht alles ständig verändert.

Frauen spielen häufig nur Nebenrollen

Doch gleichzeitig ärgert es viele andere, dass auch im Jahr 2019 Frauen vielerorts bei Schützenfesten nicht um den Titel mitschießen dürfen, dass die Damen nur schmückendes Beiwerk der Männer sind. Dass es bei den Schützen im Grunde ja um gesellschaftlichen Status gehe, als Herrscher eines Ortsteils.

Die Schützen selbst - und auch viele Frauen, die in den Vereinen aktiv sind - entgegnen, es gehe vielmehr um die Gemeinschaft, um tolle Partys und nette Abende mit Freunden, dem halben Dorf und Gästen aus der Umgebung. Über Facebook und Instagram haben wir die Halterner nach ihrer Meinung zum Schützenwesen befragt. Die deutliche Mehrheit findet Schützenfeste super, nur rund 30 Prozent finden sie altmodisch. Bei den im Schnitt jüngeren Instagram-Nutzern sind sogar mehr als drei Viertel der Nutzer Schützenfest-Fans.

„Traditionen verbinden, ohne jemanden auszugrenzen“

Das Durchschnittsalter der Mitglieder in den Halterner Schützenvereinen liegt nach Angaben der Vereine bei knapp unter 50 Jahren. „Das erscheint zunächst hoch, relativiert sich aber, weil die Schützen meist bis zum Ableben Mitglied bleiben“, sagt der Lippramsdorfer Norbert Vierhaus.

Im Jahr 2016 ist das Schützenwesen als Immaterielles Kulturerbe der Unesco anerkannt worden. „Das Schützenwesen ist vielerorts ein wichtiger, historisch gewachsener und lebendiger Teil der regionalen wie lokalen Identität“, heißt es von der Deutschen Unesco-Kommission. Oder wie der Halterner Matthis Mühlenbrock meint: „Schützenvereine spiegeln lokalen Heimatstolz und Traditionen wider, die uns verbinden, ohne jemanden auszugrenzen oder jemandem zu schaden.“

Kommentar

Mit dem Schützenwesen ist es wie mit dem Karneval oder der Kirche: Vielen Leuten tut die Teilnahme gut, andere können damit einfach nichts anfangen. Jeder so, wie er oder sie mag. Aber genau wie im Karneval oder der Kirche könnte man doch ein paar Dinge modernisieren, ohne die Tradition aus dem Auge zu verlieren. Dass Frauen den Vogel nicht von der Stange schießen dürfen, stehe halt in der Vereinssatzung, heißt es von mehreren Halterner Vereinen. Aber selbst Dinge, die in Stein gemeißelt sind, kann man abschleifen und überschreiben. Im Jahr 2019 sollte zumindest die Diskussion geführt werden - so wie aktuell bei der Schützengemeinschaft Freiheit.
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