Der Chemiepark Marl stellt die Weichen für die Zukunft

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Der Chemiepark Marl stellt die Weichen für die Zukunft

rnDas zweite Coronajahr im Chemiepark Marl

Der Wandel im Chemiepark Marl geht voran. Großbaustellen laufen, der Übergang vom Strom aus Kohle hin zu Gas-Dampfkraftwerken ist fast geschafft. Wir sprachen mit Standortleiter Bernhard Vendt.

Marl

, 28.12.2021, 06:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Wie hat Corona den Marler Chemiepark im zweiten Pandemie-Jahr beeinflusst? Wie gewährleisten Sie den Schutz der Beschäftigten?

Wir haben im Chemiepark sehr konsequent reagiert und sicher als einer der ersten Standorte in Deutschland die 3G-Regel konsequent umgesetzt. Wir kontrollieren schon am Tor und setzen dabei auf digitale Erfassung. Und wir sind stolz darauf, dass wir es geschafft habe, unsere Mitarbeiter zu überzeugen, dass Impfen eine gute Maßnahme ist. Der Chemiepark hat eine Impfquote von 95 Prozent bei den Mitarbeitern.

Dazu tragen Sie ja auch mit eigenen Impfangeboten bei. Wie werden die genutzt?

Wir sind in der Lage, in unserem Impfzentrum mit vier Ärzten gleichzeitig zu impfen. Das bieten wir nicht nur für unsere eigenen Betriebe, sondern für Mitarbeiter und Angehörige aller Unternehmen an und des weiteren für Mitarbeiter der Montagefirmen. Das Impfzentrum wird gut genutzt. Es dürften aber durchaus noch mehr Menschen zum Impfen kommen als bisher. Wir sind mit Impfstoff versorgt und wir haben noch freie Termine. Geboostert wird bei uns mehrheitlich mit Moderna.

Bernhard Vendt, Standortleiter Chemiepark Marl.

Bernhard Vendt, Standortleiter Chemiepark Marl. © Jörg Gutzeit

Welche Folgen hat die Corona-Pandemie für die Produktion im Chemiepark Marl?

Wir hatten durch Corona zeitweise massive Probleme in der Versorgungskette. Am Anfang waren es Rohstoff-Probleme, dann kamen Schwierigkeiten in der Logistik auf. Ich hätte bis zum vergangenen Jahr nicht gedacht, dass ein querstehendes Schiff im Suezkanal solche Konsequenzen für uns haben könnte. Aber die hatte es und daran sieht man, wie stark vernetzt die Welt ist. Wir sind von Lieferungen abhängig. Keiner hat mehr große Lagerbestände. Es gab immer wieder Dinge, die temporär knapp wurden – manchmal ganz banale wie einfache Fässer, Kunststoffbehälter oder Säcke, die zeitweise nicht verfügbar waren. Insgesamt sind wir sehr gut durch die Pandemie gekommen, aber es war anstrengend und sehr herausfordernd für alle.

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Niemand weiß, wie lange die Pandemie noch andauern wird. Halten Sie das noch ein Jahr durch?

Natürlich können wir nicht in die Zukunft schauen. Bisher gab es bei uns keine Kurzarbeit und sie ist auch zurzeit kein Thema. Wir hätten sogar mehr verkaufen können, als wir produzieren konnten und waren in den meisten Bereichen gut ausverkauft. Die Anlagen sind gut ausgelastet. Wir produzieren an der Obergrenze, gemessen an dem, was jetzt überhaupt möglich war.

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Es gab Meldungen von Corona-Ausbrüchen bei Mitarbeitern von Fremdfirmen, die auf den großen Baustellen im Chemiepark eingesetzt sind. Haben Sie die im Griff?

Die gab es. Die Baustellen-Mannschaften sind international, die Mitarbeiter wohnen in Hotels aber auch in Gemeinschaftsunterkünften und werden mit Shuttle-Bussen an ihre Einsatzorte gebracht. Wir haben die Ausbrüche immer sehr schnell lokalisiert und die Kontaktverfolgung selbst organisiert. Auf diese Weise konnten wir auch zügig reagieren, damit die Betroffenen keine Kontakte mehr haben. Im Moment nehmen die Infektionen wieder zu, aber wir haben sehr wenige ernsthafte Erkrankungen. Wir haben aber in der gesamten Corona-Zeit keinen einzigen Betrieb abstellen müssen, weil es Corona-Infektionen gab. Durch die Verbundstruktur im Chemiepark wäre das auch ein großes Problem, das darf nicht passieren.

Der Chemiepark Marl hat mit mehr als 10.000 Mitarbeitern die Dimension einer Kleinstadt.

Der Chemiepark Marl hat mit mehr als 10.000 Mitarbeitern die Dimension einer Kleinstadt. © dpa

Im Chemiepark wird die Kohleverstromung gerade zu den Akten gelegt. Neue Gas- und Dampfkraftwerke sind im Bau.

Der Kohleausstieg war ja zu dem Zeitpunkt, als wir diese Projekte im Chemiepark aufgelegt haben, noch nicht beschlossen. Uns war aber klar, dass wir mit den Kohlekraftwerken nicht mehr zukunftsfähig sind. Die Frage war von Anfang an, welche Technologie bietet sich an? Wir brauchen eine Brückentechnologie und die heißt für den Kraftwerksbetrieb Erdgas. Wir haben weniger ein Problem, die Stromleistung zu gewährleisten. Die könnten wir auch kaufen. Aber wir brauchen im Chemiepark die Dampfleistung – komplett unterbrechungsfrei und in vielen verschiedenen Druckstufen. Wir versorgen mittlerweile auch das komplette Fernwärmenetz der Stadt Marl. Da muss Versorgungssicherheit immer gewährleistet sein. Alle alten Kraftwerke werden spätestens im Herbst nächsten Jahres abgeschaltet. Dann haben wir vier Kraftwerksblöcke mit aktueller Technik, die den Chemiepark und die Stadt Marl versorgen.

Mit der Umstellung der Kraftwerke kam auch auch das Thema Müllverbrennung im Chemiepark auf die Agenda, die bei Marler Bürgerinnen und Bürgern für Aufregung sorgt.

Wir mussten überlegen, wie wir die Reststoffe fachgerecht entsorgen, die früher in den Steinkohlekraftwerken verbrannt werden konnten. Das war übrigens keine Besonderheit des Chemieparks Marl. Alle Steinkohlekraftwerke verbrennen Abfälle, sowohl feste als auch flüssige und gasförmige. Wir werden auch in den Gaskraftwerken einige gasförmige Rückstände verbrennen können, aber die flüssigen und die festen Rückstände müssen anderweitig entsorgt werden.

Wie wird die Entsorgung künftig aussehen?

Dafür wird es im Chemiepark zwei Anlagen geben, die hier neu gebaut werden. Das eine ist eine Rußverbrennungsanlage des Unternehmens Ineos. Die Ineos verbrennt darin ihre Ruß-Abfälle aus dem Lichtofenprozess. Wir entsorgen dann in einer Sonderabfallverbrennungsanlage die flüssigen Reststoffe, die bisher im Kohlekraftwerk verbrannt werden. Wir haben uns entschlossen, diesen Teil an den französischen Konzern Veolia abzugeben. Der deutsche Ableger ist Sarpi. Das Unternehmen hat unsere alte Verbrennungsanlage übernommen. Dazu wird jetzt eine neue Anlage gebaut, weil die Kapazität nicht ausreicht. Das Tanklager steht schon, insgesamt bekommen wir auch hier eine Investition im dreistelligen Millionenbereich. Wir haben die erste Teilgenehmigung für die Anlage bekommen. Sie wird auch zusätzliche Abfallmengen annehmen, um rentabel arbeiten zu können.

Dass Reststoffe für die Verbrennungsanlagen auch von außerhalb in den Chemiepark transportiert werden, treibt viele Marler um. Einige haben sich auch heftig zur Wehr gesetzt.

Wie gesagt, wir bekommen auch heute schon Abfälle von außerhalb. Das sind nicht nur chemische Reststoffe, sondern zum Beispiel auch Abfälle aus den örtlichen Krankenhäusern. Die müssen auch verbrannt werden und das geht nun mal nicht in der Hausmüll-Anlage. Durch die Stilllegung der Kohlekraftwerke in Deutschland werden wir Entsorgungskapazitäten verlieren. Da hat Sarpi mit sehr viel Weitblick eine Strategie aufgebaut und ist mit den Kapazitäten über den Bedarf des Chemieparks hinausgegangen. Natürlich kann ich verstehen, wenn Anwohner Bedenken äußern, aber für die Region ist das ein absoluter Gewinn. Und wenn ich schon eine Anlage errichte, dann in einem Umfeld wie dem Chemiepark.

Ist der Wechsel der Bundesregierung in Berlin gut oder schlecht für den Industriestandort Chemiepark?

Die Herausforderungen, die gerade auf uns zukommen, hängen nicht davon ab, wer gerade an der Regierung ist. Wir werden um das Thema Nachhaltigkeit nicht herumkommen und in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren an unseren Taten gemessen werden. Für die chemische Industrie, für die Energiewirtschaft und für die Stahlindustrie hier im Ruhrgebiet wird das ein dramatischer Wandel werden, der noch ganz große Kraftanstrengungen erfordern wird. Aber ich glaube, wir haben viele gute Antworten auf die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit. Wir müssen unser Gewicht bei der Politik mit in die Waagschale werfen, um vernünftige Lösungen zu erreichen und die Randbedingungen dafür zu schaffen.

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Wie sieht die Perspektive für das nächste Jahr im Chemiepark aus?

Wir schauen hoffnungsvoll ins nächste Jahr und freuen uns, dass wir die großen Projekte wie die Polyamid-12-Anlage (PISA), die neue Cumolanlage und die Kraftwerke jetzt fertigstellen können. Es ist noch ein Stück Arbeit, auch die Inbetriebnahme der neuen Einheiten professionell zu managen. Was die Konjunktur angeht, schauen auch wir mit Spannung darauf: Was macht Corona? Der Chemiepark ist gut aufgestellt. Der Standort ist für Investoren interessant. Wir haben im Oktober neue Verträge mit einem Unternehmen abgeschlossen, das medizinische Vorprodukte und Nahrungsergänzungsmittel herstellt, ein Unternehmen, das nicht aus dem klassischen Chemiebereich kommt. Wir werden weiter daran arbeiten, dass der Chemiepark zukunftsträchtig aufgestellt wird und Ansiedlungen so steuern, dass es strategisch Sinn macht.