
© Jürgen Wolter
Bauen in Haltern: „Auch den Kindern eine Chance geben, sich anzusiedeln“
Interview
Wie exklusiv ist das Wohnen in Haltern? Lassen sich größere Mehrfamilienhäuser auf Grundstücken, auf denen vorher nur ein Einfamilienhaus gestanden hat, verhindern? Wir haben nachgefragt.
Die Baupolitik in Haltern forderte in den letzten Monaten Bürgerinnen und Bürger zu Widersprüchen heraus. Muss die Stadt umdenken, darf sie „Klotzbauten“ genehmigen und wie auserlesen ist Haltern als Wohnort? Auf diese und andere Fragen antwortet Halterns Baudezernent Siegfried Schweigmann.
Die gerade veröffentlichte Studie fordert bezüglich der Siedlungsflächen für Wohnen und Gewerbe in Haltern ein Umdenken. Ist sie als Handlungsfaden geeignet?
Im Kern fordert die Studie ein Umdenken dahingehend, dass ein Flächenverbrauch, wie er in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat, in dieser Breite dauerhaft nicht ermöglicht werden soll. Tatsächlich wird der überplante Flächenverbrauch durch die Landesentwicklungs- und Regionalplanung gesteuert. Der Rat hat erst noch vor wenigen Jahren den neuen Flächennutzungsplan verabschiedet, der Grundlage für die Wohnbau- und Gewerbeflächen der nächsten Jahre ist. Daraus werden die Bebauungspläne entwickelt, wie z.B. „Am Schafstall“ in Lavesum, „Nesberg“ an der Sundernstraße und nicht zuletzt auch für das Gewerbegebiet an der Münsterstraße „Musendille“. Der Flächennutzungsplan dient als Grundlage für die städtebauliche Entwicklung in den nächsten rund 15 Jahren. Wenn die genannten Gebiete abschließend entwickelt sind, wird sich vorerst kaum noch großes Entwicklungspotenzial ergeben, so dass sich dann der Flächenverbrauch in den nächsten Jahren in Grenzen halten wird.
Stimmt es denn, dass zu viele Flächen für exklusives Wohnen und für Gewerbe verbraucht wird?
Durch das geringe Angebot an bebaubaren Flächen in Haltern am See und der riesengroßen Nachfrage sind die Wohngrundstücke mittlerweile so teuer geworden, dass sie für den Otto-Normal-Bürger kaum mehr bezahlbar sind. Auch die hohen Grundstückspreise sind Ursache dafür, dass sich die Flächen von Wohngrundstücken immer mehr verkleinert haben. Klassische Baugrundstücke sind heute nur noch zwischen drei- und vierhundert Quadratmeter groß, während sie noch vor wenigen Jahrzehnten mindestens einhundert bis zweihundert Quadratmeter größer waren. Vor diesem Hintergrund kann man wohl nicht von einem exklusiven Wohnen sprechen, jedenfalls nicht, wenn man die Größe der Baugrundstücke meint.
Wenn man hingegen unterstellt, dass bereits das Wohnen in unserer schönen Stadt Haltern am See mit den Seen und Wäldern und dem entsprechend hohen Freizeitwert als exklusiv angesehen werden kann, kann ich das sehr gut bejahen.

Siegfried Schweigmann: „Mit unseren riesigen Wasserflächen, Wald- und Erholungsgebieten werden wir im Vergleich zu vielen Nachbarstädten und Regionen immer im obersten Zehntel aller lebenswerten Städte bleiben. Das sollten wir uns hier in Haltern am See durchaus viel öfter bewusst machen.“ © Stadt Haltern
Eine Gesellschaft braucht neben Baugebieten, in denen die Bevölkerung wohnen kann auch Arbeitsplätze, damit die Bürger auch ausreichend finanziell gesichert leben können. Arbeitsplätze entstehen nun einmal vor allem auch in Gewerbegebieten, für die eine Stadt in Hinblick auf perspektivische Stadtentwicklung die Grundlagen schaffen muss. In Haltern am See sind Gewerbeflächen bereits knapp geworden. Die Stadt weist nach vielen Jahren erstmals wieder ein Gewerbegebiet an der Münsterstraße aus, weil ganz einfach der Bedarf dafür gegeben ist.
Wo sehen Sie noch Potenzial, um die große Nachfrage nach Bauland bedienen zu können?
Hier und da werden noch in einem recht geringen Maße Wohnbauflächen entstehen können, aber nicht mehr in einer Größenordnung, wie wir sie in den letzten 20 Jahren gesehen haben. Die Nachfrage wird sicherlich mindestens gleichbleiben, das Angebot aber eher rückläufig sein. Leider bedingt das auch, dass auf Dauer die Grundstückspreise noch mehr in die Höhe schnellen werden.
Es wird immer davon gesprochen, dass in Haltern überproportional gern und viel gebaut wird. Warum gehen trotzdem weniger Bauanträge ein?
Es ist nicht richtig, dass in Haltern überproportional gern und viel gebaut wird. Sicherlich würde gern mehr gebaut werden, aber wie bereits zuvor beschrieben, ist das Angebot durch die mangelnde Flächenverfügbarkeit sehr stark begrenzt. In den letzten Jahren konnten durch die großen Baugebiete „Im Grünen Winkel“ und „Elterbreischlag“ noch Wohngrundstücke in größerer Anzahl zur Verfügung gestellt werden. Das hat auch einen entsprechenden Eingang von Bauanträgen zur Folge gehabt. 2020 haben wir nur noch 200 Baugenehmigungen erteilt. Das hing aber eben damit zusammen, dass keine Baugebiete mehr entwickelt wurden.

In Lavesum wird der Dorfkern mit dem Bebauungsplan „Am Schafstall“ abgerundet (grüne Wiese im Hintergrund links). © www.blossey.eu
In wenigen Jahren werden wir aber wieder einen vorübergehenden Anstieg verzeichnen, wenn insbesondere die Baugebiete „Am Schafstall“ und „Nesberg“ zur Bebauung anstehen.
Wäre es eine Alternative, stärker zu verdichten und Ortsteile abzurunden?
Die Frage, ob immer mehr neue Flächen für Wohnungsbau entwickelt werden, stellt sich demnächst einfach nicht mehr, weil der Flächennutzungsplan hierfür kein Potenzial mehr bietet. Selbstverständlich auch aus Gründen des Klimaschutzes besteht das gesetzliche Ziel, den durchschnittlichen Flächenverbrauch, wie er sich in den letzten Jahrzehnten dargestellt hat, drastisch zu reduzieren. Die vermehrte Nachverdichtung in bestehenden Wohngebieten soll natürlich auch den Ausfall weiterer Wohngebietsentwicklungen kompensieren. Dass eine stärkere Verdichtung in der Nachbarschaft zu Spannungen führt, erleben alle Städte im Umkreis. Je hochpreisiger die Grundstücke in einer Stadt sind, desto mehr besteht die Notwendigkeit, ein Grundstück wirtschaftlich entwickeln zu müssen.

Das Baugebiet Nesberg wird von der Flächenentwicklungsgesellschaft der Stadtwerke baureif gemacht. © Benjamin Glöckner
Die Abrundung von Ortsteilen kann ein Instrument sein, um hier und da noch einige Wohngrundstücke zu entwickeln. Ich glaube auch, dass wir solche Abrundungssatzungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch erleben werden. Diese bieten aber nicht das ausreichende Flächenpotential, um die riesige Nachfrage zu befriedigen.
Das Bauamt bietet nach den Diskussionen um den Bereich Dahlienstraße nun Quartiersgespräche an. Kann dieses Angebot auch für andere Siedlungen gelten?
Der Bürgerantrag aus dem Bereich Dahlienstraße war Anlass, über nachbarschaftsverträgliche Bebauungswünsche nachzudenken. In der Verwaltung sind hierzu bereits konkrete Vorstellungen entwickelt worden, die der Politik in der nächsten Sitzungsrunde zur Beschlussfassung vorgelegt werden sollen. Ich möchte diesen Überlegungen noch nicht zu sehr vorgreifen, aber wir werden vorschlagen, ein solches Quartiersmanagement zunächst räumlich zu begrenzen und nach einer gewissen Zeit zu evaluieren.
Erst dann wird man aufgrund der gemachten Erfahrungen eine Aussage darüber treffen können, ob und wie sich diese Überlegungen auch auf andere Siedlungen übertragen lassen.
Lassen sich überhaupt „Klotzbauten“ verhindern?
Im Sprachgebrauch verstehen wir unter „Klotzbauten“ größere Mehrfamilienhäuser auf Grundstücken, auf denen vorher in der Regel nur Einfamilienhäuser gestanden haben. Die Verwaltung versucht in oftmals Monate andauernden Beratungsgesprächen mit Bauherren das Bauvorhaben auf ein Maß zu bringen, das genehmigungsfähig ist und wenn dieses dann auch noch die Akzeptanz in der Nachbarschaft findet, werten wir das natürlich auch als Erfolg. Das gelingt aber leider nicht immer.
Die Studie des IWiPo-Instituts wirft der Stadt vor, die Planungshoheit an Investoren abgegeben zu haben. Was halten Sie dieser Meinung entgegen?
Der Flächennutzungsplan ist Grundlage für die verfassungsrechtlich garantierte Planungshoheit einer Stadt. In diesem Aufstellungsverfahren finden Investorenwünsche keinen Einzug. Im Übrigen sind Gespräche zwischen der Stadtverwaltung und Bauunternehmen bzw. Investoren mitunter von hitzigen Diskussionen geprägt.
Wie muss ein nachhaltiges Haltern der Zukunft aussehen?
Ein klimaschonendes und damit nachhaltiges Haltern wird einen Flächenverbrauch, wie er in der letzten Generation vorgekommen ist, in der nächsten Generation nicht mehr erleben. Klimaschutz ist mittlerweile in das Bewusstsein eines jeden Bürgers eingerückt. Wir werden erleben, dass die CO2-Emissionen durch den motorisierten Individualverkehr – auch durch die Förderung der Elektromobilität – zurückgehen werden und die Radmobilität erheblich zunehmen wird. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag für ein klimafreundliches und nachhaltiges Haltern.

Neben klimaschonendem Flächenverbrauch ist die Radmobilität ein ganz wichtiger Beitrag für ein klimafreundliches und nachhaltiges Haltern. © Foto: Elke Rüdiger
Dass heißt nicht, dass nicht immer noch mehr Potenzial für Klimaschutz und Nachhaltigkeit besteht. Dieses Potential vielmehr sukzessive auszubauen, wird eine der Aufgaben der nächsten Jahre sein. Daran arbeitet die Verwaltung in allen Fachbereichen, auch wenn das nach außen hin nicht immer sichtbar ist. Allerdings muss man sich auch dessen bewusst sein, dass Klimaschutz viel Geld kostet und der abnehmende Flächenverbrauch auch die Hauptursache für die steigenden Grundstückspreise ist. Auch diesen Spagat zu schaffen, dass unsere Kindergeneration noch eine Chance hat, sich in Haltern am See anzusiedeln, ist eine der Herausforderungen, der wir uns als Gesellschaft in der Stadt Haltern am See stellen müssen.
Haltern am See ist für mich Heimat. Hier lebe ich gern und hier arbeite ich gern: Als Redakteurin interessieren mich die Menschen mit ihren spannenden Lebensgeschichten sowie ebenso das gesellschaftliche und politische Geschehen, das nicht nur um Haltern kreist, sondern vielfach auch weltwärts gerichtet ist.
