„Oh nein, Sie werden den Baum doch wohl nicht abholzen?“, fragt eine Spaziergängerin im Westteil der Haard besorgt, als sie Frederik Vollmer in seiner Arbeitsmontur bei der Inspektion einer uralten Buche erblickt. Der Revierleiter beim RVR Ruhr Grün gibt sofort Entwarnung. „Auf keinen Fall“, sagt der 30-Jährige. Zwar ist der zwischen 250 und 300 Jahre alte Baum vor einigen Jahren bei einem „lockeren Sturmereignis“ auseinander gebrochen, doch auch im angeschlagenen Zustand stellt er für den Wald und die Menschen einen wahren Schatz dar.
So speichert der betagte Titan in seinem Holz und seinen Wurzeln pro Kubikmeter bis zu 800 Kilogramm Kohlenstoff, erklärt Frederik Vollmer das Wunderwerk der Natur. Da kommt bei einer Gesamtmasse von rund 20 Kubikmetern ganz schön was zusammen. Auch für den Artenschutz ist die Buche von Bedeutung. So finden hier Fledermäuse und Spechte, Pilze, Flechten und Moose ihre Nischen.
Einige Arten profitieren dabei gerade von den Beschädigungen des Baumes. Waldexperte Vollmer spricht hier sogar von einem „Hotspot oder Fest für den Artenschutz“. Ein solcher Habitatbaum ist Teil einer multifunktionalen Forstwirtschaft und entspricht dem Konzept des RVR für die Haard.

Die deutlichen Lebensspuren und Einschränkungen verhindern, dass die Buche an der Stadtgrenze zwischen Haltern und Marl als Naturdenkmal deklariert wird. Das schaffen nur gesunde Bäume. Aufgegeben hat sich der Methusalem am historischen Verbindungsweg „Lange Linie“ aber noch lange nicht. „Der Baum ist total vital und arbeitet daran, die Bruchstellen an seinem Stamm zu überwachsen“, sagt Frederik Vollmer und zeigt auf die entsprechende Stelle, in deren Nähe sich allerdings auch zersetzende Pilze ein Stelldichein geben.

„Die Buche kann ohne Weiteres noch einmal 100 Jahre stehen bleiben“, schätzt der RVR-Revierleiter die Zukunft dieses Relikts aus feudaler Zeit ein. Früher, als die Haard als Waldweide für das Vieh genutzt wurde, dienten Bäume als natürliche Grenzmarkierungen. Einige Generationen des Herzogtums Arenberg, den Begründern der Haard, habe die Buche vermutlich vorbeiziehen sehen, vermutet Frederik Vollmer.
Unter ihrem Blätterdach erholten sich bis in die Neuzeit zahlreiche Wanderer und Besuchergruppen. Eine Bankgruppe in der Nähe des Stamms musste allerdings mittlerweile abgebaut werden. „Aus Gründen der Verkehrssicherheit“, so Frederik Vollmer.

Über gute Standortbedingungen verfügte der Baum nie. Bereits seine Kinderstube war geprägt von einem nährstoffarmen Boden, von trockener Heide, wenig Grün und hoher Verdunstung. Dann kam die industrielle Revolution mit säurehaltigen Abgasen. Das Glück des Laubbaums war damals, dass er mit seinen Blättern auch die Schadstoffe regelmäßig abwerfen konnte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg verbesserte sich die Lage, als man begann, die Abgase zu entschwefeln.

Heute machen der Buche die ausbleibenden Regenfälle zu schaffen. „Die Krallenbildung in der Krone ist ein Indiz für Wassermangel“, berichtet Frederik Vollmer. Allerdings sei der Baum an seinem Standort an trockene Bedingungen angepasst. Er habe hier auch nie von Grundwasser gelebt, sondern seinen Stoffkreislauf heruntergefahren. In punkto Resilienz kann die alte Buche dem Menschen ein gutes Vorbild sein.
Wald darf unaufgeräumt sein
Sollte sie in nächster Zeit doch einmal fallen, würde sie von der Forstwirtschaft nicht entsorgt. Wirtschaftlich könnte man ohnehin nur noch Brennholz aus ihr machen. Das faulende Holz auf dem Waldboden aber könnte bei Trockenheit wie ein Schwamm wirken und als letzter Strohhalm für den Wald dienen. So würde sich der Kreislauf vom Leben und Sterben vollends erfüllen. „Ein unaufgeräumter Wald ist für den Klimaschutz von großer Bedeutung“, sagt Fredrik Vollmer.
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