Die Stille im Raum ist bedrückend. Ich bekomme immer wieder Gänsehaut, spüre ein beklemmendes Gefühl in der Brust aufsteigen. Und dann, kurz bevor die Furcht Überhand nimmt, können wir auflachen, uns für einen Moment entspannen. Regina Labahn, Opfer des DDR-Regimes, nimmt uns in ihren Erzählungen mit in ihr Leben, in ihre Haft. Und zeigt dabei, wie Humor heilen kann.
Unter dem Credo „Nie wieder“ steht der Vortrag, den die Zeitzeugin vor den Geschichtskursen des diesjährigen Abiturjahrgangs am Bert-Brecht-Gymnasium in Dortmund hält. „Ich will euch den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie nahe bringen“, leitet die 73-Jährige ein. „Eine eigene Meinung, die eigene Freiheit - für euch selbstverständlich -, das hatte es damals nicht zu geben.“
Eltern wurden enteignet
1951 wurde Regina Labahn in Kremin auf Usedom geboren. Sie wurde auf einem Bauernhof groß, der aber schon bald nicht mehr den Eltern gehörte – in der Enteignungswelle Ende der 1950er-Jahre ging der Hof in staatliches Eigentum über. „Alles gehört dem Staat, hieß es damals“, erzählt Regina Labahn. „Ich habe schon als Kind gedacht: Das kann doch nicht sein!“ Die Eingriffe des Staates bestimmen auch ihr weiteres Leben. Sie hätte nach der Schule gerne Medizin studiert. „Aber meine Eltern hatten kein Parteibuch“, sagt sie. „Deshalb hatte ich keine Chance.“ Stattdessen musste sie Gleisbaufacharbeiterin lernen. „Ihr habt die freie Wahl, nutzt diese Chance“, spricht sie die Schülerinnen und Schüler direkt an.
Sie heiratete, bekam mit ihrem Mann Karl-Heinz drei Kinder. Für die sah sie keine Chance in der DDR: „Ich hatte ja die ganze Prozedur schon am eigenen Leib erfahren, meinen Kindern wollte ich das ersparen.“

1980 stellten sie und ihr Mann deshalb einen Ausreiseantrag - mit fatalen Folgen. „Unsere Kinder wurden aus der Schule geholt und ins Heim gebracht“, erinnert sich Regina Labahn schmerzlich. „Es hieß dann: Nehmen Sie Ihren Antrag zurück, dann bekommen Sie Ihre Kinder wieder.“ Ihre blauen, glänzenden Augen, strahlen bei dieser Erinnerung eine Traurigkeit aus, die auch ihre Zuhörerinnen und Zuhörer ergreift.
Doch erpressen lassen wollte sich das Ehepaar nicht. „Wir mussten stark sein und das durchziehen, um nicht unser Leben lang Lakai zu sein“, sagt sie. Ihre Jobs, die Wohnung auf Usedom – die Labahns verloren alles, weil sie sich nicht fügten. Zuflucht fanden sie in einer evangelischen Kirchengemeinde, erhielten dort eine Unterkunft und Arbeit. Klar war: „Wir wollten weg, das haben wir immer wieder gesagt.“
Im Vertrauen schütteten sie einem Bekannten immer wieder ihr Herz aus. Ein Fehler, wie sie heute weiß. Der Bekannte war - wie viele - ein Spitzel der Stasi. „Für einen Judaslohn haben diese Menschen Freunde und Familie verraten“, sagt sie. In die Traurigkeit mischt sich Wut. Sie ist aufgrund solcher Erfahrungen ein sehr misstrauischer Mensch geworden.
Einsam im Stasi-Gefängnis
Eines Tages im Jahr 1984 wurde Regina Labahn schließlich von der Arbeit abgeholt. Ihr wurde ein Haftbefehl vorgelegt. Sie galt als Vaterlandsverräterin und wurde in das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen gebracht. Rund drei Monate blieb sie dort, einsam in einer Zelle, ohne eigene Kleidung, ohne Namen. „Die Einzigen, die mich mit Namen angesprochen haben, waren meine Vernehmer.“
Immer wieder musste sie zum Verhör. Der lange Flur zum Vernehmungsraum war mit Ampeln ausgestattet: Bei Grün durfte sie gehen, bei Rot musste sie stehenbleiben, sich mit dem Gesicht zur Wand drehen und die Hände auf den Rücken legen. „Bei Rot kam einem einer entgegen, aber außer den Vernehmern durfte man ja niemanden sehen“, erklärt sie.

Es kam zur Gerichtsverhandlung. „Der Richter war sturzbetrunken und musste sich an seinem Stuhl festhalten“, erinnert sie sich. Eineinhalb Jahre Haft lautete die Strafe. Als Regina Labahn von diesem Moment erzählt, ist zunächst die Wut über die Ungerechtigkeit zu spüren, dann lacht sie plötzlich. „Oh, da ist mein Mann mir heute noch böse drüber“, sagt sie kichernd.
Denn angesichts des ungerechten Urteils stand Regina Labahn im Gerichtssaal auf. „Ich habe gesagt, dass ich das Urteil nicht akzeptiere und der Richter besoffen ist. Da habe ich noch ein halbes Jahr mehr bekommen“, sagt sie kaum hörbar, der letzte Satz geht in ihrem Lachen unter.
Im Gefangenentransport, der als Lieferwagen einer Bäckerei getarnt war, wurde Regina Labahn ins Frauengefängnis Hoheneck gebracht. Eine Woche dauerte die Fahrt – für die Strecke von Berlin nach Chemnitz.
Inhaftiert mit Mörderinnen
Stille erfüllt den Raum. Die Schrecken, von denen Regina Labahn aus ihrer Zeit im Gefängnis erzählt, lassen alle Dortmunder Schülerinnen und Schüler im Raum erstarren. 36 Frauen, die meisten davon Mörderinnen, waren in einem Raum eingesperrt. Jeden Tag musste die dreifache Mutter stundenlang am Stück arbeiten, spürte als politisch Inhaftierte den Hass ihrer Mithäftlinge, der Schließerinnen und der Erzieherinnen.
„Was Hoheneck für mich bedeutet, kann ich an einer Hand abzählen: Angst, Denunzierung, Hunger, Kälte und Arbeit bis zur absoluten Erschöpfung“, sagt sie.

Ob es etwas gab, was ihr während ihrer Haft Mut gemacht hat, wird Regina Labahn von einer Schülerin gefragt. „Nein“, lautet die schlichte, ehrliche Antwort. „Nein, gar nichts.“ Der reine Überlebenswille verlieh der heute 73-Jährigen die Energie, die Haft durchzustehen. „Ich dachte nur immer: Egal was passiert, diese Menschen werden es nie schaffen, dich zu brechen.“
Eine gebrochene Frau ist Regina Labahn wahrhaftig nicht, aber gelitten hat sie. Ihre mitunter glasigen Augen lassen tief blicken, die Lachfältchen in den Augenwinkeln aber zeugen von einer unbändigen Lebensfreude.
Sofortige Ausreise aus der DDR
Nach zwei schrecklichen Jahren der Haft wurde Regina Labahn 1986 entlassen und zur sofortigen Ausreise aufgefordert. Mitnehmen durften sie und ihr Mann nichts, auf Rat eines Freundes steckten die beiden aber genug Geld für eine Fahrkarte ein.
Mit der S-Bahn ging es nach West-Berlin. „Als wir an der Grenzkontrolle ankamen, dachten wir, wir wären endlich in Sicherheit“, erinnert sie sich. Doch dann: „Plötzlich rief jemand: Halt! Stehenbleiben! Genau in dem Ton, den die Vernehmer immer draufhatten. Aber es war nur ein Fahrkartenkontrolleur“, sagt Regina Labahn und lacht wieder.

15 Mark Begrüßungsgeld erhielt jeder am ersten Tag, damit sollten sie im Supermarkt einkaufen gehen. „Ich habe dort weiches, weißes Toilettenpapier gesehen“, erinnert sich die 73-Jährige lächelnd. „Ich weiß noch genau: 8 Rollen kosteten 99 Pfennig. Da habe ich meinen Einkaufswagen mit vollgepackt.“ Ihr Mann hingegen kaufe sich etwas zu Essen. „Als er mich und den Wagen voller Toilettenpapier sah, hat er mich gefragt, ob ich noch ganz dicht bin.“
Das Ehepaar lebte in West-Berlin, die Kinder waren nach wie vor im Osten. Regina Labahn beißt sich auf die Unterlippe, grinst schelmisch. „Wenn ich so an unsere Frechheiten denke, die wir uns erlaubt haben...“ Um Kontakt mit den Kindern zu halten, gingen die Eltern so manches Wagnis ein. Unerlaubte Telefonate, verbotene Treffen.
Bis die Kinder ihren Eltern aber wieder vollends vertrauen konnten, vergingen Jahre. „Unserm Lütte haben sie ja erzählt, wir wären bei einem Autounfall ums Leben gekommen“, gibt die dreifache Mutter wieder.
Tochter kehrt zu Eltern zurück
1987 darf schließlich die inzwischen volljährige Tochter ausreisen. Die Geschichte hierzu lässt Regina Labahn wieder lächeln: „Ich habe ihr gesagt, sie soll nach dem Oberleutnant fragen, der mein Vernehmer war. Der hat sie tatsächlich empfangen. Sie hat ihn von mir gegrüßt, vier Wochen später durfte sie ausreisen.“ Das Lachen bricht sich seine Bahn. „Ja, heute kann man drüber lachen“, sagt sie schulterzuckend.
Ihre Söhne holen die Eltern direkt nach dem Mauerfall aus dem Heim, gegen den Willen der Heimleitung. Den Beiden merken sie die vergangenen, entbehrlichen Jahre an. „Unser Lütte hat an einem Abend sieben Tafeln Schokolade gegessen, so einen Heißhunger hatte er“, erinnert sich Regina Labahn.

Ob sie jemals eine Entschuldigung erhalten habe, lautet eine Frage. „Eine Entschuldigung?“, fragt Regina Labahn schon fast empört zurück. „Von diesen Menschen?“
An den Ort des Schreckens kehrte Regina Labahn, die heute in Wülfrath lebt, in all den Jahren nicht nur in ihren Vorträgen zurück. Bei der Eröffnung der Gedenkstätte in Hoheneck war sie dabei, gibt selbst auch Führungen.
Die Erinnerung lebendig zu halten, ist für sie persönlich zwar aufwühlend, für die Gesellschaft aber wichtig: „Da ist noch viel aufzuarbeiten“, sagt sie. Erneut spricht sie direkt die Schülerinnen und Schüler an. „Seid kritisch und hinterfragt alles“, sagt sie eindringlich und betont: „So etwas darf nie wieder passieren.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 10. Februar 2025.