Sein ganzes Leben lang war Christoph S. Patient bei „seinem“ Zahnarzt im Dortmunder Westen. Seitdem der aber in den Ruhestand ging und seine Praxis schloss, lässt sich der 56-jährige Bürokaufmann im Zahnärzte Zentrum im Krügerhaus am Westenhellweg behandeln. „Der Zahnarztbesuch ist dort für mich einfach und gut zu organisieren. Die Praxis ist bis 20 Uhr und sogar auch samstags geöffnet“, sagt Christoph S. als er die Zahnkontrolle durch einen der 16 Zahnärzte in der großen, überwiegend schneeweißen Praxis hinter sich gebracht hat.
Jawohl, 16 Zahnärztinnen und Zahnärzte kümmern sich hier um die inzwischen rund 2.000 Patienten im Monat. Das zeigt: Wie Christoph S. geht es vielen. Eine gute Erreichbarkeit des Zahnarztes ist für Patienten wichtig. „Sie können einen Einkauf in der City mit einem Zahnarztbesuch verbinden - und das in einer Praxis mit vielen Spezialisten und entsprechender Expertise“, sagt Paul Hendrik Witt, Mitinhaber des Zahnärzte-Zentrums im Krügerhaus. Zudem, so erklärt er, werde auch die zahnärztliche Versorgung in den Stadtteilen immer weniger. „Bei einer Praxisübernahme müssen junge Zahnärzte viel Geld für neues Equipment in die Hand nehmen. Gleichzeitig ist das wirtschaftliche Risiko heute höher als früher und die Personalgewinnung wird auch immer schwieriger. Das schreckt viele ab“, so Paul Hendrik Witt.
Er ist einer von vier Gesellschaftern der überbetrieblichen Praxisgemeinschaft im Krügerhaus. Offiziell handelt es um ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Als solches gilt eine ärztlich/zahnärztlich geleitete Einrichtung, die von einer Trägergesellschaft wie einer GmbH getragen wird. „Wir sind seit 2002 in der City und gesund gewachsen. Unsere Patienten kommen aus dem gesamten Stadtgebiet. Bei uns finden sie das Know-how mehrerer spezialisierter Fachärzte vor. Und wir können durch ein eigenes Labor die Preise niedrig halten. Die zentrale Lage ist zudem zunehmend attraktiv geworden, weil die Versorgung in den Stadtteilen weniger wird“, sagt Paul Hendrik Witt.
Baby Boomer in Rente
Der Hintergrund: Auch bei den Zahnärzten geht die Baby-Boomer-Generation in Rente - und die Einzelpraxis ist für viele Studienabsolventen nicht mehr das Ziel. „Dies ist auch deshalb so“, sagt Dr. Christian Öttl, Vorsitzender des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte am Chiemsee, „weil 70 Prozent der Studierenden in der Zahnmedizin Frauen sind. Und da sehen wir heute schon, dass viele von ihnen lieber im Angestelltenverhältnis arbeiten möchten, als eine eigene Praxis mit all den organisatorischen und kaufmännischen Aufgaben zu führen.“ Die wohnortnahe Versorgung sieht Christian Öttl eventuell schon in einigen Jahren gefährdet.
Wie die Alternative dazu aussieht, ist vielleicht in der Dortmunder City erkennbar. Neben dem Zahnärzte-Zentrum im Krügerhaus, das sich dort noch erweitert und ab Mitte dieses Jahres auch die Räume des ehemaligen Reisecenters Stoffregen an der Kampstraße nutzt, gibt es weitere Groß-Praxen im Stadtzentrum - etwa die DOC Zahnärzte an der Kampstraße oder auch das Zahnzentrum Dortmund an der Viktoriastraße. Und mit AllDent soll es ab Herbst dieses Jahres im Ex-Mayersche-Gebäude an der Hansa-/Ecke Kampstraße das nächste Zahnmedizinische Zentrum geben.

Was der Patient nicht weiß: Bei den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gibt es gravierende Unterschiede. Während es sich bei dem Zahnärzte-Zentrum um einen Zusammenschluss von vier Zahnmedizinern handelt, die als Gesellschafter fungieren, gibt es auch sogenannte investoren-getragene Medizinische Versorgungszentren (iMVZ).
Von Investoren geführt
Nach Darstellung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL) unterscheidet sich ein iMVZ von einer herkömmlichen Zahnarztpraxis vor allem durch seine Struktur und Zielsetzung. „Während niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte langfristig an ihrem Standort tätig sind und eine persönliche Beziehung zu ihren Patientinnen und Patienten aufbauen, werden iMVZ von Finanzinvestoren geführt, die mit häufig wechselnden, angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzten die Praxen meistens nur wenige Jahre betreiben, bis eine optimale Rendite erzielt ist“, heißt es.

Für Patientinnen und Patienten sei es oft nicht ersichtlich, ob sie sich in einer von Investoren geführten Einrichtung befinden, da eine transparente Kennzeichnung fehle. „Es geht nicht, dass Patientinnen und Patienten so im Unklaren gelassen werden“, sagt Dr. Holger Seib, Vorstandsvorsitzender der KZVWL.
Kennzeichnung wird gefordert
Weil es Transparenz nicht gibt, ist es schwierig iMVZ klar als solche zu benennen. In der Branche gelten diese als „nachweislich sehr klagefreudig“. Wie Dr. Öttl vom Freien Verband der Deutschen Zahnärzte erklärt, ist das sich jetzt in Dortmund ankündigende Unternehmen AllDent laut „North Data“, dem Online-Portal für Firmeninformationen, „inzwischen bei einem Investor gelandet“. Er fordert: „Es müsste eine eindeutige öffentliche Kennzeichnung eingeführt werden, die anzeigt, wenn der Eigner einer Praxis ein Investor ist. Es muss dem Patienten klar sein, dass die Zahnärzte in dieser Praxis auch Umsatzzwängen unterliegen können, wie auch das Fernsehmagazin „Panorama“ schon aufdeckte.“

Auf Anfrage unserer Redaktion wurde seitens AllDent erklärt, dass das Zahnzentrum in Dortmund „aus markenrechtlichen Gründen“ AD Zentrum heißen werde. Die Eröffnung sei für November 2025 geplant. „Das AD Zahnzentrum“, so heißt es, „ist eine eigenständige GmbH unter dem Dach der AllDent Holding GmbH mit Sitz in München. Seit der Gründung im Jahr 2011 hat sich AllDent als führender Anbieter klinikähnlicher Zahnarztpraxen in Deutschland etabliert. Für die Weiterentwicklung des Konzepts an neuen Standorten hat man nach sorgfältiger Prüfung einen passenden Finanzpartner an Bord geholt und somit eine individuelle Alternative zur restriktiven Bankenfinanzierung gefunden.“ AllDent betreibt aktuell 18 Standorte in Deutschland.
19 Zahnzentren in Dortmund
Die Zahl der Investoren-MVZ wächst laut der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung ungebremst: Zum Jahresende 2023 seien bereits 30 Prozent aller zahnärztlichen MVZ in Investorenhand gewesen, lautet die Auskunft – ein Wert, der sich innerhalb von wenigen Jahren nahezu verdreifacht habe. Es sei „eine bedenkliche Kommerzialisierung der Versorgung“ zu befürchten.
Die Zahlen würden eindeutig zeigen, erklärt die KZVWL, dass iMVZ sich fast ausschließlich in wirtschaftlich starken Regionen und Großstädten ansiedeln und damit nicht zu einer Verbesserung der flächendeckenden Versorgung in ländlichen Regionen beitragen. „Dortmund reiht sich in den allgemeinen Trend ein, der sich bundesweit erkennen lässt“, sagt der Vorstandsvorsitzende Dr. Holger Seib. In Dortmund sei allerdings die reine Anzahl mit aktuell drei iMVZ bei insgesamt 19 MVZ noch wesentlich geringer als beispielsweise in Düsseldorf oder Köln.

Sorgen vor wachsender Konkurrenz durch von Investoren getragene Praxen macht man sich im Zahnärzte-Zentrum im Krügerhaus nicht. „Wir haben uns in über 20 Jahren das Vertrauen unserer Patienten erarbeitet. Grundsätzlich ist es wichtig, dass angesichts dessen, dass 40 Prozent der Zahnärzte in Deutschland nach und nach in Rente gehen, die Versorgung weiter sichergestellt wird. Investoren in der Zahnmedizin geben die Möglichkeit, neue Geräte anschaffen zu können. Ein Behandlungsstuhl zum Beispiel kostet allein schon rund 60.000 Euro. Ein Investor darf sich aber nicht in die medizinischen Dinge einmischen. Das Wohl der Patienten muss immer an erster Stelle stehen. Dass dies auch so passiert, kann aber niemand garantieren“, sagt der Geschäftsführer des Zahnärzte-Zentrums im Krügerhaus, Oliver Weber.
Aufgabe für neue Regierung
Bei der KZVWL sieht man ebenfalls kritisch auf eine zunehmende Kommerzialisierung der zahnmedizinischen Versorgung durch internationale Investoren und Fonds, die den deutschen Medizinmarkt als Renditeobjekt entdecken. Die Erfahrung zeige, dass wirtschaftliche Interessen oft über medizinische Notwendigkeiten gestellt würden. KZVWL fordert daher:
- Schließen der Gesetzeslücke, dass Investoren mit dem Kauf eines Krankenhauses eine bundesweite Gründungsbefugnis für Zahnarztpraxen bekommen, um eine Überversorgung in Städten und eine Unterversorgung auf dem Land zu vermeiden.
- Eine klare Kennzeichnungspflicht für Investoren-geführte Praxen.
„Das muss, neben anderen wichtigen, die zahnärztliche Patientenversorgung stabilisierenden Maßnahmen, eine der vorrangigen Aufgaben der neuen Bundesregierung sein! Die Ampel-Regierung hat ihre Ankündigungen und Zusagen leider nicht eingehalten“, so der Vorstandschef Dr. Holger Seib.