Sänger Anthony Kiedis und Gitarrist John Frusciante am 11. Juni 2006 in der Westfalenhalle. Bei einem unfassbaren Konzert der Red Hot Chili Peppers. © Nils Foltynowicz

Unvergessene Dortmunder Konzerte

WM 2006: Als die Red Hot Chili Peppers einfach immer weiterspielten

Legendäres Konzert in einem legendären Sommer: Kurz nach Beginn der WM 2006 spielten die Red Hot Chili Peppers in der Dortmunder Westfalenhalle. Das Allerbeste kam zum Schluss.

Dortmund

, 19.12.2020 / Lesedauer: 4 min

Immer weiter, immer weiter. Sie wollten gar nicht mehr aufhören. Eine Stunde und 47 Minuten hatten sie hinter sich. Eine Zugabe, alle Hits – wenn man das bei dieser Band überhaupt so nennen kann.

„Give it away“ war vorbei. Das Lied der Red Hot Chili Peppers schlechthin. Und dann das: Bassist Flea ließ seine Finger fliegen. Gitarrist John Frusciante rückkoppelte dazu. Drummer Chad Smith setzte einen immer funkigeren Beat darunter.

Sie jammten. Improvisierten. Als wäre das hier ein schummeriger Musikkeller, nicht die Dortmunder Westfalenhalle. Sänger Anthony Kiedis hatte es sich längst auf einem riesigen Gitarrenverstärker bequem gemacht. Um darauf zu warten, ob er vielleicht doch noch gebraucht würde an diesem Abend.

Fußball-WM 2006 hatte gerade begonnen

11. Juni 2006. Das „Sommermärchen“ hatte gerade begonnen. Zwei Abende vorher hatte Philipp Lahm dieses sensationelle 1:0 gegen Costa Rica geschossen. 4:2 am Ende. Der Vinckeplatz bebte.

Einen Tag später dann: die Schweden in der Stadt. 0:0 gegen Trinidad und Tobago im Westfalenstadion. Franz Beckenbauer helikopterte zwar längst anderswo durch Deutschland, aber dieser scheinbar endlose Sommer 2006 blieb hier, in Dortmund. Zumindest in meiner Wahrnehmung.

Der Autor am 9. Juni 2006, kurz vor dem Anpfiff der Fußball-WM, zwei Tage vor dem Konzert der Red Hot Chili Peppers. © Althoff

„Amazing Outro Jam“ heißt es unter dem Video

Im Rückblick verklärt man ja. Deshalb ist es gut, dass es YouTube gibt. Da ist es festgehalten: Dieses Konzert-Ende, das mich damals mundoffen ließ, als ich ziemlich weit hinten im Zuschauerraum stand. „Amazing Outro Jam“, steht unter dem Online-Video. Gut, ich hatte all das also nicht geträumt.

Irgendwann wurde Fleas, Johns und Chads Jammen auf der Bühne weniger wild, dann mäanderte diese ungestüme Musik in zärtliche Klänge, unter denen das rhythmische Gerüst weiter brodelte in der Geschwindigkeit eines Punk-Songs.

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Und dann ging der gelangweilte Sänger einfach

Das Video auf YouTube ist leider nur ein Audio. Deshalb kann man nicht mehr sehen, wann es dem Sänger reichte. Aber irgendwann – nach vier oder fünf Minuten – sah er ein, dass er nicht mehr gebraucht würde: Anthony Kiedis, der 110 Minuten vorne am Mikro herumgesprungen war, hopste von der Box, ging einfach. Die anderen drei jammten weiter.

Was hatten sie vorher schon für eine Show abgeliefert – auch zur Freude der schwedischen Fans im Publikum. Die hatten ungläubig den Bierverkäufer im Publikum umlagert. 4,50 Euro für den Becher? Was dem Deutschen unverschämt vorkam, war für diese WM-Touristen in Trikots ein Schnäppchen sondergleichen.

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Mehr als die Summe der Teile – wie eine Fußball-Mannschaft

Die Red Hot Chili Peppers sind Energie. Pure musikalische Energie. Freude am Vertiefen in die Musik, ohne Rücksicht auf Image, Coolness, die Grenzen der Genres. Welche Band covert Lieder von Simon & Garfunkel, The Clash und Public Enemy an einem Abend? Diese hier. Ganz abgesehen von unglaublichen Intros, vom Auf- und Abbauen von Songs und ihren Strukturen.

Flea am Bass, John an der Gitarre, Chad am Schlagzeug, Anthony vorne am Bühnenrand – jeder allein schon unfassbar gut. Zusammen aber weit mehr als die Summe der Teile. Wie bei Fußballteams: A weißt, wann B losläuft. Der spielt den überraschenden Pass auf C. D taucht aus dem Nichts auf und lässt den Torwart aussteigen.

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Im Pulk war ich vorher schon, aber jetzt...

Es ist wie im Fanblock, vor dem Tor, beim Tor, beim Jubel danach – nur fast zwei Stunden lang durchgehend. Ich erinnere mich an 1995: Köln, gefühlt fünfte Reihe vor der Bühne. Fast abgedrängt werden nach hinten, weil andere nach vorne streben. November war‘s, das T-Shirt klatschnass am Ende, oberkörperfrei zum Auto zurück – ein Freund und ich, Hänflinge, 18 Jahre.

Immer noch in einer Schublade zuhause: die Tickets vom 11. Juni 2006. © Althoff

Oder 1999: Köln, Bizarre-Festival, wieder Chili Peppers, jetzt wieder mit Gitarrist John, nach seiner Drogensucht und Band-Abstinenz. Wieder im Pulk. Wieder fühlen mit jeder Faser meines Körpers, was da vorne geschieht. Und trotzdem hatte ich 1999 noch gemerkt: Irgendwer singt die zweite Stimme schief, irgendwas stimmt nicht.

Nach sechseinhalb Minuten zieht sich der Drummer zurück

An diesem 11. Juni 2006 aber stimmte alles, das spürte ich am hinteren Ende des Innenraums, ohne Pulk, selig lächelnd. Und nur einen kurzen Fußweg von zuhause entfernt, auch das recht praktisch.

Sechseinhalb Minuten hatten Bass, Gitarre, Schlagzeug improvisiert, nach der letzten Zugabe. Dann warf Drummer Chad Smith die Stöcke einfach zur Seite. So als würde er leise rückwärts durch die geöffnete Tür gehen. Die Toms wurden leiser, waren nicht mehr zu hören. Er überließ den Mitspielern das Feld, ganz mannschaftsdienlich.

Sie spielten Gitarre und Bass wie Doppelpässe

Zwei also noch. Gitarre und Bass. Direkt voreinander stehend. Doppelpässe spielend. Auf einmal den Takt verlangsamend. Melodien, die entstehen und sich finden. Die der andere weiterentwickelt. Bis irgendwann – ich weiß nicht mehr, ob es wirklich so war – das Licht in der Halle angeht, um den Musiker das Zeichen zu geben: So, Schluss jetzt, wir wollen nach Hause!

Manchmal stelle ich mir vor, Flea und John stehen heute noch da. In der Westfalenhalle. Und spielen einfach immer weiter.

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