Ein kleines Zeltlager ist für neun Tage an der Kampstraße zwischen Petrikirche und Sparkasse entstanden – mit Platz für Aktionen und Schlaflager. Das Schlafen dürfte bei den aktuellen Temperaturen kein Vergnügen sein. Soll es auch nicht. Denn die Bürgerinitiative „Schlafen statt Strafen“ will mit dem Protestcamp auf die Lage vieler Obdachloser in der Stadt hinweisen, die bei Wind, Wetter und Kälte ohne festes Dach über dem Kopf übernachten.
Heiko Krenz ist einer dieser Obdachlosen. Auch wenn er zurzeit in einer sogenannten „Trainingswohnung“ von Stadt und Diakonie lebt, kennt er das Leben und Überleben auf der Straße nur zu gut. Seit vier Jahren ist der 50-Jährige wohnungslos, hatte seine letzte Wohnung für einen Job im Ausland aufgegeben, der dann aber coronabedingt nicht zustande kam.
Jetzt steht Heiko Krenz inmitten des Zeltcamps – und berichtet aus seinem Leben, erzählt, dass er mit einigen Mitstreitern in dieser Woche einen neuen Verein gegründet hat, der jetzt offiziell eingetragen werden soll. „Anders sozial Dortmund“ ist der Name des Vereins. „Wir brauchen Wohnungen“, sagt Heiko Krenz. „Deshalb wollen wir Wohnungen kaufen – und zeigen, dass Obdachlose nicht asozial sind.“

Als asozial empfindet er eher den aktuellen Umgang mit Obdachlosen. „Jeden Tag erlebt man Diskriminierung, ob beim Jobcenter oder in den Notschlafstellen“, berichtet Heiko Krenz. Dass die Notschlafstellen von vielen Betroffenen gemieden werden, liege auch an Schikanen und Diskriminierung. „Man hat da null Privatssphäre“, stellt er fest.
Dass Betroffene wie Heiko Krenz aus ihrem Leben berichten, gehört beim Protestcamp an der Kampstraße zum festen Programm. „Es ist uns ein großes Anliegen, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen, statt nur über sie zu reden, wie es sonst im politischen Diskurs so häufig passiert“, sagt Anna Flaake, die Pressesprecherin der Initiative. „Nur wenn wir den Menschen zuhören und ihre Wünsche und Bedürfnisse ernst nehmen, können wir das soziale Problem Wohnungslosigkeit wirksam lösen“.
Liste an Forderungen
Die Kritik richtet sich gegen allzu eingefahrene Strukturen in der Obdachlosen-Hilfe. „Die verwalten uns und geben Unsummen dafür aus“, sagt Heiko Krenz. Die Initiative „Schlafen statt Strafen“, die im Herbst 2022 gegründet wurde, hat deshalb eine ganze Reihe von Forderungen, die während des Protestcamps diskutiert werden.

Die Initiative fordert eine kostenfreie, akzeptable Unterbringung für alle obdachlosen Menschen, die diese in Anspruch nehmen wollen, Programme wie „Housing first“ mit Wohnungen für obdachlose Menschen ohne daran geknüpfte Bedingungen, Bereitstellung kostenloser öffentlicher Toiletten und den „Stopp der Vertreibung obdachloser Menschen aus der Innenstadt“. „Es muss politisch was passieren“, sagt Initiator Tobi.
Unterstützung dazu hat bereits die Ratsfraktion der Grünen signalisiert. Auch dort sieht man die Möglichkeiten zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und zur Versorgung von Wohnungslosen noch nicht ausgeschöpft. „Das betrifft zum Beispiel die Übernachtungsmöglichkeiten in der Männer- und Frauenübernachtungsstelle. Es gibt eine Diskrepanz zwischen freien Plätzen in den Einrichtungen einerseits und sichtbaren Übernachtungen im Freien andererseits. Das muss sich ändern“, erklärt Grünen-Ratsvertreterin Jenny Brunner.
Wer keinen sogenannten Übernachtungsschein mit einer Zusage der Kostenübernahme durch das Jobcenter oder das städtische Sozialamt vorweisen könne, müsse bis auf die erste Nacht für weitere Übernachtungen in den Einrichtungen zahlen, erklärt die Ratsvertreterin. Das betreffe Obdachlose aus anderen Städten und vor allem aus dem EU-Ausland. „Für viele Menschen stellt das eine finanziell nicht zu leistende Belastung dar“, so Jenny Brunner.
Die Grünen haben dazu eine im Sozialausschuss des Rates gestellt. Und auch mit der Umsetzung des Konzeptes „Housing First“ müsse endlich begonnen werden. „Seit fast zwei Jahren warten wir auf ein Konzept der Verwaltung, um wohnungslose Menschen direkt in Wohnungen mit eigenem Mietvertrag unterzubringen – ohne die Bedingung, dass sie vorher eine ‚Wohnfähigkeit‘ nachweisen müssen.“
Enttäuscht von Stadtverwaltung
Enttäuscht zeigt sich die Initiative „Schlafen statt Strafen“, dass bislang alle Einladungen an Entscheidungsträger der Stadtverwaltung zum Dialog ausgeschlagen worden seien. Es sei darauf verwiesen worden, dass man ein funktionierendes Konzept gegen Wohnungslosigkeit habe und die Diskussion in bestehenden Netzwerken zielführender sei. „Wenn die Stadtvertreterinnen und -vertreter so überzeugt von ihrem Konzept sind, sollte es doch ein Leichtes sein, dieses in der Öffentlichkeit zu diskutieren, auch mit Betroffenen von Wohnungslosigkeit, über die in Gesellschaft und Politik zu oft geredet und ohne ihre Beteiligung hinweg entschieden wird“, sagt Anna Flaake.

Gelegenheit dazu wäre während des Protestcamps, das am Samstagmittag (28.1.) mit einer Kundgebung begann und bis zum 5. Februar stattfindet. Im weiteren Verlauf gibt es ein vielfältiges Programm aus kulturellen und politischen Veranstaltungen – etwa einem Konzert am Freitag (3.2.), Vorträgen, Workshops, historischen Stadtführungen und einem Literaturabend. Am Montag und Dienstag (30./31.1.) wird per Video zur „Mahnwache gegen Obdachlosigkeit“ in Berlin geschaltet. Und jeden Abend gibt es ein kostenfreies veganes Essensangebot unter dem Motto „Küche für Alle“.