Die Alternative für Deutschland will an die Macht. Das lässt Parteichefin Alice Weidel nur selten unbetont. Nach der vergangenen Bundestagswahl, bei der die AfD bundesweit 21 Prozent der Stimme holte und damit hinter der CDU die zweitstärkste Kraft wurde, beanspruchte Weidel eine Regierungsbeteiligung. Aussichtslos, solange die CDU sich wie die anderen Parteien einer Zusammenarbeit mit der AfD versperrt.
Doch was, wenn die sogenannte „Brandmauer“ zur AfD bis zur nächsten Bundestagswahl 2029 einreißt? Was, wenn die rechtsextremen Tendenzen innerhalb der AfD noch lauter werden? Könnte sich eine Machtübernahme der radikalen Kräfte wie 1933 durch die damalige NSDAP nochmals wiederholen? Was spricht dafür, was dagegen?
Sind die Wahlergebnisse der AfD vergleichbar mit jenen der NSDAP?
Die NSDAP hatte das Ziel, in der Reichstagswahl 1932 eine absolute Mehrheit, also mehr als 50 Prozent der Stimmen, zu erzielen. Dieses Unterfangen scheiterte jedoch, die rechtsextreme Partei erhielt nur 33,1 Prozent der Stimmen. In Thüringen kam die AfD bei der Landtagswahl 2024 mit 32,8 Prozent bereits auf ein ähnliches Ergebnis.
Die AfD kommuniziert nach außen, nicht eine absolute Mehrheit zum Ziel zu haben, sondern sie strebe eine Regierungsbeteiligung an, in der sie sich mit einer anderen Partei arrangieren müsste. Radikale Entscheidungen wären in einer Koalition mit einer demokratischen Partei nur schwer durchzusetzen. Die politische Isolierung der AfD durch die anderen Parteien dürfte mit weiter steigenden Zustimmungswerten immer schwieriger werden. Eine Regierungsbeteiligung ab 2029 wäre also nicht völlig ausgeschlossen.
Könnte eine Koalition mit der AfD die radikalen Kräfte kleinhalten?
Die NSDAP ging 1933 eine Koalition mit der Deutschnationalen Volkspartei ein, nachdem sie die absolute Mehrheit verfehlt hatte. Die DNVP war eine nationalkonservative Partei, die selber antisemitische und völkische Inhalte vertrat und sich später im Jahr 1933 personell in großen Teilen in die NSDAP auflöste. Geleitet wurde diese Koalition von Adolf Hitler, der zum Reichskanzler ernannt wurde.
Die DNVP hatte gehofft, Hitler durch ihre Regierungsbeteiligung kontrollieren zu können. Diese Strategie scheiterte jedoch, denn die NSDAP setzte Gewalt und Propaganda ein und bekam durch Unterdrückung politischer Gegner, insbesondere der Kommunisten und Sozialdemokraten, bei der Wahl 1933 bereits 43,9 Prozent der Stimmen.
Welche Rolle würde Gewalt spielen, wenn die AfD an die Macht kommen will?
Für die NSDAP war Gewalt zentrales Mittel, um an die Macht zu kommen. Schon in den Jahren 1929 bis 1933, also noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, gab es tägliche Straßenkämpfe zwischen NSDAP, Kommunisten und anderen politischen Gruppen. Die Nationalsozialisten bedienten sich der Sturmabteilung (SA) als Schlägertrupp.
Diese Gewaltbereitschaft ist bei der AfD zumindest offensichtlich bislang nicht zu erkennen. Allerdings gibt es zahlreiche Hinweise auf der Verbindungen der AfD zu gewaltbereiten Gruppen. Laut einer Analyse des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt nehme die Gewaltbereitschaft innerhalb der AfD zu, insbesondere auf kommunalpolitischer Ebene. Selbst der Einsatz von Waffen komme vor.
Zudem soll die AfD Kontakte zu verbotenen Neonazi-Gruppen pflegen, die oftmals gewaltbereit sind. Auch in Dortmund stellte sich der nordrhein-westfälische AfD-Chef Martin Vincentz bei einem neurechten Treffen Anfang Februar auf dieselbe Bühne wie der Kopf des gewaltbereiten Hannibal-Netzwerkes André Schmitt.

Sind die Inhalte der AfD mit Propaganda der NSDAP zu vergleichen?
In Bezug auf Emotionalisierung, mediale Inszenierung und Provokation gibt es Ähnlichkeiten in den Strategien von AfD und NSDAP. So stellt die AfD Migration als Bedrohung dar, behauptet, das Ziel dahinter sei ein „Bevölkerungsaustausch“. Die NSDAP behauptete in ähnlicher Manier, der marxistische Kommunismus sei eine jüdische Verschwörung mit dem Zweck der Unterwanderung der deutschen Gesellschaft. Ein Kampfbegriff der Nationalsozialisten war zum Beispiel „asoziales Verbrechertum“.
Ähnlich wie die AfD brach auch die NSDAP bewusst gesellschaftliche Normen, um Aufmerksamkeit zu gewinnen und ihre Ideologie zu verbreiten. Die Nationalsozialisten inszenierten sich durch Massenaufmärsche, Fackelzüge und Rituale wie den Hitlergruß. Insbesondere in Zeiten von wirtschaftlicher Unsicherheit wirkten diese Inszenierungen von Geschlossenheit attraktiv. Die NSDAP überschritt moralische Grenzen, indem sie die Juden durch antisemitische Stereotype und Karikaturen als Feindbild darstellte.
Heute verwendet die AfD bewusst Begriffe aus dieser Zeit und weitet damit die Grenzen des Sagbaren aus, etwa wenn einzelne AfD-Mitglieder den Holocaust relativieren oder die Legitimation von demokratischen Institutionen wie Verfassungsschutz oder Gerichte infrage gestellt wird.
Allerdings war die Ideologie der NSDAP deutlich umfassender. Die Nazis propagierten eine totalitäre Weltanschauung. Die AfD beschränkt sich dagegen zumindest vordergründig auf spezifische Themen wie Migration oder Kritik an der EU.

Kann eine radikale Kraft auch in unserer heutigen Demokratie so einfach an die Macht kommen?
Die Wahrscheinlichkeit für einen ähnlichen Machtaufstieg wie 1933 ist heute deutlich geringer. Die Weimarer Republik war die erste deutsche Demokratie und damals gerade einmal 14 Jahre jung. Unsere heutige demokratische Verfassung besteht nun seit fast 76 Jahren und beinhaltet Selbstschutzmechanismen, die es so damals noch nicht gab. Das sind vor allem die unabhängigen Gerichte und der Verfassungsschutz. Selbst wenn die AfD im Bundestag die absolute Mehrheit hätte, könnte sie noch nicht über die Besetzung des Bundesverfassungsgerichtes entscheiden, denn für deren Wahl braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Entgegen dessen hat das Gericht die Möglichkeit, Parteien zu verbieten, die in aggressiver Weise gegen die Verfassung arbeiten. Allerdings ist seit 1956 kein Parteiverbotsverfahren mehr durchgesetzt worden, auch das gegen die NPD nicht.
Zudem hat die AfD keine Möglichkeit, die Medien zu kontrollieren, auch wenn sie dies beispielsweise über die Abschaffung des Rundfunkbeitrags versucht. Die AfD bedient sich zur Mobilisierung vor allem der sozialen Medien, die sich schwer kontrollieren lassen.
Allerdings ähneln einige heutige Rahmenbedingungen durchaus den letzten Tagen der Weimarer Republik: Ähnlich wie die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren gibt es auch heute durch Inflation und Wirtschaftskrise eine Unsicherheit, die populistische und radikale Kräfte begünstigt. Dazu trägt auch die weltweite politische Polarisierung bei. Die Strategien von populistischen Parteien ähneln in Zügen jenen der NSDAP.

Wie schätzt ein Experte die Wahrscheinlichkeit einer neuen radikalen Regierungsmacht ein?
Udo Di Fabio war zwölf Jahre Richter am Bundesverfassungsgericht und lehrt heute Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Er sagt: Der Teufel komme selten zweimal durch dieselbe Tür. „Die Demokratie könnte zum Beispiel durch dauerhafte Blockaden so viel Vertrauen verspielen, dass anstatt einer Machtergreifung eine Machterosion stattfindet und unser Staat nicht mehr handlungsfähig ist.“ Deshalb sei es wichtig, dass sich bald eine funktionierende Regierung bildet. Auch die Möglichkeit eines militärischen Angriffs von einem aggressiven Staat sei eine Möglichkeit, wie unsere Demokratie enden könne. Deshalb man müsse man nach allen Seiten wachsam sein. Parallelen zwischen der NSDAP und der AfD sieht jedoch auch er in Teilen.