So sieht es im Operationssaal aus, wenn das roboterassistierte System „da Vinci X“ im Einsatz ist.
Roboter-OP
Wie Roboter-Assistenten die Medizin verändern
Robotertechnik ist die Zukunft der Medizin. Davon sind viele überzeugt. Unser Autor wollte sich davon überzeugen und stand im St. Josefs-Hospital in Hörde mit am Operationstisch.
Dr. Guth, bitte in OP-Saal 2! Das St.-Josefs-Hospital in Hörde hat angefragt, ob ich mir nicht eine Operation mit dem „Da Vinci X“, einem Roboter-Assistenten ansehen möchte. Zum ersten Mal wach in einem OP-Saal sein und dabei die Zukunft der Medizin sehen? Das Angebot nehme ich an.
Kaum zugesagt, kommt die Sorge. Ich bin jetzt nicht der härteste Knochen, weine schnell und mag’s nicht blutig. Kann ich da wirklich zuschauen und auch noch Fotos machen und mir Details merken? Mach‘ mal, sage ich zu mir selbst. Wird nicht blutig, sagt das St.-Josefs-Hospital.
Ich komme in die Klinik mit dem Kopf voller Bilder. Die Alpenklinik mit Erol Sander als Dr. Guth. Grey’s Anatomy, Emergency Room. Echte (unangenehme) Krankenhauserfahrungen in der anderen Gehirnhälfte. Mach‘ mal. Ich will ja den Roboter sehen.
Am Ende macht ein Mensch den Schnitt
„Roboter ist eigentlich nicht ganz richtig.“ Ernüchternde Worte von Dr. Christoph Hemcke, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im St.-Josefs-Hospital zum Empfang in der 1. Etage des Hörder Krankenhauses. „Roboter würde bedeuten, dass eine Maschine komplett eigenständig handelt.“ Den „da Vinci X“ bewegt am Ende immer noch ein Mensch.
Das Operationssystem ermöglicht Eingriffe ohne große Schnitte und präzisere Operationen. Es schone den Patienten, reduziere die Schmerzen nach der OP und verkürze Krankenhausaufenthalte und Heilzeit. „Wo wir früher den ganzen Bauch aufschneiden mussten, reichen heute kleine Schnitte, weil wir das Innere des Bauchraums in Videoaufnahmen mehrfach vergrößert sehen“, sagt Christoph Hemcke.
Das St.-Josefs-Hospital nutzt das System in der Urologie, Gynäkologie und in der Chirurgie. „Wir sind damit das einzige Dortmunder Krankenhaus, dass das Gerät in drei Disziplinen nutzt“, sagt Hemcke.
„da Vinci X“ entfernt eine Gebärmutter
Das Gespräch über den technischen Hintergrund lenkt mich ab. Ich werde gleich sehen, wie „da Vinci X“ die Gebärmutter einer 40-Jährigen entfernt, eine so genannte Hysterektomie. Dies ist ein häufiger Eingriff bei Frauen, dessen Folgen durch die neue Technik gemindert werden können.
Mir öffnet sich eine Tür, die ich bisher nur im benebelten Zustand vor oder nach meinen OPs aus Jugendtagen (zweimal Hüfte, einmal Schienbein, einmal Oberarm) kenne. Heute bin ich ein „Befugter“, schlurfe im OP-Bereich über den Flur zum Umkleideraum, als wäre das ein ganz normaler Arbeitstag.
So sieht der „da Vinci X“ aus. © Felix Guth
Die Verwandlung zum Nachwuchschirurgen
Dr. Hemcke reicht mir ein grünes Hemd, eine gleichfarbige Hose und eine Haube. Die OP-Latschen, die ich anhabe, gehören eigentlich Dr. Gabriel Bessong. Das steht auf dem Schrank, aus dem ich sie bekomme. Bessong hat an diesem Tag frei. Seine Latschen jedenfalls sind selben Typs wie die, die ich sonst zur Gartenarbeit trage.
Meine Verwandlung zum hoffnungsvollen Nachwuchschirurgen Dr. Guth dauert nur etwa zwei Minuten. Steril werden, durch die Schleuse – und dann warten. Der OP ist noch besetzt. Ein Mensch will gerade auf die Welt kommen, vielleicht ist ein Kaiserschnitt notwendig.
Aufregung bei den Eltern und behandelnden Ärzten. Völlige Gelassenheit im Pausenraum der Chirurgie. Hier gibt es Kaffee aus unglaublich großen Tassen, es herrscht kollegiale Lockerheit, das OP-Personal plaudert übers Mittagessen und die Urlaubsplanung. Hier und da klingt auch Frust über das Gesundheitssystem durch, aber die Grundstimmung ist gut.
Es dauert ein paar Minuten, und ich fühle mich in meinem grünen Outfit fast wie einer von ihnen. Nur die Fotokamera vor meiner Brust und meine vollständige medizinische Ahnungslosigkeit erinnern mich daran, dass ich ein Scharlatan bin.
Dr. Guth, bitte in den OP! Jetzt aber. Der Kaiserschnitt war doch nicht notwendig, das Baby ist von allein gekommen. Glückwunsch an die Eltern. Weitermachen im OP.
Der Roboter im Einsatz
In Saal 2 ist vieles so, wie man es aus Filmen kennt, aber es ist mehr Platz und es ist ruhiger, als ich erwartet hatte. Es piept und klappert und brummt. Die Patientin liegt auf dem OP-Tisch. Zu sehen ist nur ein Teil ihres Bauches, Tücher und Schläuche verdecken Gesicht und den Rest ihres Körpers. Ich kenne die Frau nicht und lerne sie auch nicht kennen, weiß aber gleich, wie es in ihrem Innern aussieht.
Der Roboter steht noch im Hintergrund. Er sieht aus wie eine Wäschespinne mit LED-Leuchten an den Armen. Rechts vom Tisch steht eine Maschine, die mich an das Sehtest-Gerät beim Augenarzt und an eine Videospiel-Konsole aus den 80er-Jahren erinnert. Das ist also „da Vinci X“.
Sein System erschließt sich mir einige Minuten später. Das dreiköpfige OP-Team des St.-Josefs-Hospitals schafft Zugänge im Bauch der Patientin, dann rollt es die Wäschespinne heran. An den Armen ist das Operationsbesteck befestigt. Nun übernimmt Christoph Hemcke.
Chirurg steuert mit Joysticks die Roboter-Arme
Er setzt sich an die Sehtest-Konsole, legt seinen Kopf auf und sieht nun eine mehrfach vergrößerte 3D-Aufnahme des Bauchraums. Seine Hände legt er an zwei Hebel, die Joysticks ähneln. Jetzt ist er „da Vinci“. Und beginnt zu operieren. Die Reise durch den Bauchraum ist hochauflösend auf zwei Bildschirmen zu sehen.
Bewegt er seine Hand, bewegen sich auch die Arme des Roboters. Fein schneidet Hemcke entlang des Organs. Zwischendurch brummt die Maschine auf, wenn er die Hitze aktiviert, die Gewebe im Körper in Sekundenschnelle in feinen Dampf auflöst. Präzision ist an dieser Stelle des Körpers besonders wichtig. Neben dem Uterus verlaufen Organe wie Blase und Darm, deren sensibles Gewebe nicht verletzt werden dürfen.
Dabei zuzusehen ist faszinierend und aufwühlend zugleich. Das ist ganz schön viel für so ein Weichei wie mich. Dass der menschliche Körper das überhaupt aushält, wenn jemand in ihm herumschneidet, als sei er ein Stück Hähnchenbrust. Dass es Menschen wie Dr. Hemcke und seine Kollegen gibt, für die das alles Alltag ist. Dass ich hier stehe und nicht da liege.
Das Operationssaal-Orchester
Im OP-Saal ist alles exakt orchestriert. Der wichtigste Mann im Saal heißt Alex und ist dafür zuständig, dass alles, was die Chirurgen brauchen werden, zur richtigen Zeit am richtigen Ort liegt.
Die Sprache ist so technisch wie sie nun einmal ist, wenn man mit menschlichem Fleisch zu tun hat. Chirurgen schälen und kokeln, legen eine Schlinge um das Organ und schneiden es in kleine Würste.
Rund eine Stunde stehe ich im OP, dann verlassen mich langsam meine Kräfte. Das Stehen, die Aufregung, das viele Schälen und Kokeln. Der „da Vinci X“ hat seine Arbeit gemacht, schnell und zuverlässig. Am Ende ersetzt er die menschliche Hand aber nicht ganz. Weil durch Verwachsungen der Uterus größer ist als zunächst angenommen, müssen Dr. Hemcke und seine Kollegen noch einen kleinen konventionellen Schnitt setzen.
Chirurgen waren ein halbes Jahr im Trainingszentrum
Ein halbes Jahr lang haben Dr. Christoph Hemcke und sein Team die Arbeit mit dem Operationssystem gelernt und in Trainingszentren geschult. Die Technik ist seit Anfang 2018 in Hörde im Einsatz und wird immer mehr zur Routine.
Zwischen 1 und 2,5 Millionen Euro kostet der Roboterassistent der US-amerikanischen Firma Intuitive Surgical in der Anschaffung. Er ist damit das mit Abstand teuerste medizinische Gerät in dem katholischen Krankenhaus an der Wilhelm-Schmidt-Straße.
Die Robotertechnik ist teuer
Die hohen Kosten der da-Vinci-Operationen sind das häufigste Gegenargument von Kritikern. Weil das Operationsbesteck regelmäßig ausgetauscht werden muss, sind auch die laufenden Kosten höher als bei konventionellen Operationen.
Das ist auch im Hörder Krankenhaus ein Thema. „Es ist zunächst teuer, weil wir so früh wie möglich damit anfangen wollten“, sagt Christoph Hemcke. Doch die Lukas-Gesellschaft als Träger des St. Josefs hat sich für die Investition entschieden, weil sie davon ausgeht, dass es sich irgendwann rechnet.
Mehrere Dortmunder Krankenhäuser investieren in Technik
Immer mehr Krankenhäuser in Dortmund investieren mittlerweile in vergleichbare Assistenztechnik, etwa das Knappschaftskrankenhaus, das Klinikum Nord oder die Ortho-Klinik.
„Die Zahlen steigen stetig und ich gehe nicht davon aus, dass sich das zurückentwickelt. Das wäre in der Medizin-Geschichte sehr untypisch“, sagt Dr. Christoph Hemcke. Mehrere große Unternehmen arbeiten gerade an Konkurrenz-Produkten zum „da Vinci X“.
Die medizinischen Vorteile von roboterunterstützten Eingriffen sind noch nicht durch klinische Studien belegt. Dafür geriet das System von Intuitive Surgical 2013 in den USA in die Kritik, als es Todesfälle nach Operationen und Fehler im System gab. Der Hersteller hat das System nachgebessert, in den vergangenen fünf Jahren sind keine größeren Zwischenfälle mehr öffentlich geworden.
Hörder Krankenhaus macht positive Erfahrungen
Im St.-Josefs-Hospital bauen die Operateure auf positive Erfahrungswerte der ersten Monate. Und sie bemerken, dass sich die Einstellung der Patienten verändert.
„Immer mehr Menschen fragen gezielt, ob wir mit dieser Technik operieren“, sagt Dr. Christoph Hemcke. Sein Lieblingsvergleich: „Niemand kauft heute mehr ein Auto ohne Assistenzsystem. In der Medizin entwickelt sich die Technik auch weiter.“
Wie würde ich entscheiden?
Ich selbst würde sagen: Wenn ich die Wahl zwischen „ganzer Bauch auf“ und „schonender Eingriff“ hätte, nähme ich wohl Letzteres. Unterschreiben würde ich das allerdings auch nur in der Gewissheit, dass da am Ende ein Mensch am Joystick sitzt. So weit reicht mein Vertrauen in Algorithmen dann auch nicht, dass ich mich ihnen total ausliefern würde.
Roboterunterstützte Operationen sind Stoff für eine strahlende medizinische Zukunftsvision. Dass der Operateur nicht am selben Ort sein muss wie der Patient, eröffnet viele Möglichkeiten – sowohl in industrialisierten Ländern als auch in entlegenen Regionen. Dass in Dortmund Mediziner diesen Fortschritt umsetzen, kann nicht falsch sein. Auch, insgesamt die Zahl der konventionellen OPs immer noch ungleich höher ist.
Ich sitze nach knapp eineinhalb Stunden Bauchraum-TV wieder im Auto. Während ich über die Zukunft der Medizin nachdenke, höre ich im Auto „In Utero“ (lateinisch „In der Gebärmutter“), das dritte Album von Nirvana aus dem Jahr 1993.
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