
© Thomas Thiel
Illegale Ferienwohnungen am Wall - Miethai drängt Hausbewohner raus
Airbnb-Vermietungen in Dortmund
Ein Geschäftsmann kauft in einem Haus am Wall Wohnungen auf und macht sie zu illegalen Ferien-Appartements – die Mieter drängt er zum Auszug. Auch in weiteren Häusern in Dortmund ist er aktiv.
Es war Ende April, als Mohamed Sheikh Ibrahim ein Schreiben seines neuen Vermieters im Briefkasten fand. Der hatte zu Anfang des Monats gewechselt. Es war die erste Nachricht des Neuen. Es war keine gute für Sheikh Ibrahim.
Leider sehe er sich gezwungen, das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31. Juli zu kündigen, schreibt der Vermieter in dem auf den 21. April datierten Brief, der unserer Redaktion vorliegt: „Meine Mutter [...] soll hier wohnen, da sie sich von ihrem Lebensgefährten getrennt hat und die gemeinsame Wohnung aufgeben muss.“ Der Schluss des Schreibens ist garniert mit der Androhung einer Räumungsklage, deren Kosten der Mieter zu tragen hätte. „Als ich den Brief las, bekam ich richtig Angst“, erzählt er.
Kündigungsschreiben waren identisch
Ein Stockwerk unter ihm erreichte Sheikh Ibrahims Nachbarn Erich Schünemann am selben Tag ebenfalls ein Brief seines Vermieters. Auch ihm wurde gekündigt, auch ihm wegen Eigenbedarfs, auch bei ihm ging es um die Mutter. Schünemann und Sheikh Ibrahim haben denselben Vermieter. Beide Schreiben sind bis auf die Namen der Mieter identisch.

Mohamed Sheikh Ibrahim und Erich Schünemann stehen in Sheikh Ibrahims Wohnung und zeigen ihre identischen Kündigungsschreiben. © Thomas Thiel
Sheikh Ibrahim und Schünemann wohnen am Schwanenwall. Beide haben eine Ein-Zimmer-Wohnung in einem sechsstöckigen Eckhaus. Es sind bescheidene, aber gleichzeitig auch günstige Bleiben: Sheikh Ibrahim und Schünemann zahlen nur 300 Euro warm für ihre 25 Quadratmeter – ein guter Preis für die sehr zentrale Lage, auch bezahlbar für Menschen mit wenig Geld. Warum sollte die Mutter ihres Vermieters hier gleich zwei Wohnungen auf zwei unterschiedlichen Stockwerken brauchen?
Eigenbedarf wird gerne als Kündigungsgrund genutzt
- Eigenbedarf ist nach Angaben des Deutschen Mieterbunds mit geschätzten 80.000 Fällen der häufigste Kündigungsgrund in Deutschland. Auf Dortmund heruntergerechnet wären das knapp 600 Eigenbedarfs-Kündigungen pro Jahr.
- „Ungefähr bei jeder fünften Eigenbedarfs-Kündigung wird danach der Eigenbedarf nicht umgesetzt, aus welchen Gründen auch immer“, sagt der Dortmunder Mietervereins-Geschäftsführer Rainer Stücker.
Seit geraumer Zeit verändert sich das Klima im Haus am Schwanenwall. Immer häufiger tauchen Menschen mit Rollkoffern in den verwinkelten Fluren des Hauses auf. Es fühle sich manchmal an, als wohnte man in einem Hotel, meint Sheikh Ibrahim: „Manchmal habe ich alle zwei, drei Nächte neue Nachbarn.“
In vielen Airbnb-Wohnungen leben keine „normalen“ Menschen mehr
Anfang Juli fanden sich fünf Wohnungen im Haus am Schwanenwall auf Airbnb. Der Grundgedanke der Internet-Plattform ist, dass Menschen Reisende in ihren Wohnungen übernachten lassen und nebenbei noch etwas Geld verdienen. Zu Gast bei Einheimischen, nah dran am authentischen Leben. Die Realität sieht häufig anders aus: Oft leben in den Wohnungen, die man auf Airbnb findet, gar keine „normalen“ Bewohner mehr. So entstehen reine Ferienappartements, die dem echten Mietmarkt wertvollen Wohnraum entziehen.
Die Airbnb-Wohnungen am Schwanenwall werden allesamt angeboten von einem Tom (Name geändert). Tom ist laut seinem Airbnb-Profil 31 Jahre alt, kommt aus Dortmund und arbeitet als Marketing- und Vertriebsfachmann. Als Hobbys nennt er „Sport, Filme und Begegnungen mit Menschen aus der ganzen Welt“. Er sei eine „zuverlässige und unkomplizierte Person“, als seine Prinzipien gibt er „Gastfreundschaft, Sauberkeit und eine klare Kommunikation“. Insgesamt gibt es auf Toms Airbnb-Seite 29 Inserate für Zimmer und Wohnungen in Dortmund und Hagen. „In einigen von denen habe ich selber mit meiner Familie gewohnt“, schreibt er.
Erich Schünemann und Mohamed Sheikh Ibrahim kennen keinen Tom. Dafür kennen Sie Ivan W. (Name geändert): Er ist ihr neuer Vermieter. Gleichzeitig ist der Dortmunder mit russischen Wurzeln Geschäftsführer einer GmbH, die auf ihrer Internetseite „möblierten Wohnraum auf Zeit“ anbietet – auch am Schwanenwall. Auf der Internetseite findet sich auch ein Link mit dem Titel „Wir in Airbnb“. Er führt auf das Profil von „Tom“.
Ivan W. besitzt inzwischen zehn Wohnungen am Schwanenwall
Seit rund drei Jahren kauft Ivan W. nach Informationen unserer Redaktion immer mehr Wohnungen in dem Haus am Schwanenwall. Inzwischen gehören ihm laut Grundbuch 10 der 65 Wohnungen im Haus.
Nach einem Kauf passiert immer das Gleiche: Die alten Mieter werden zum Auszug gedrängt, wenn das gelingt, werden ihre Wohnungen in möblierte Appartements umgewandelt. Sie vermietet W. zu einem Vielfachen der ortsüblichen Miete, tageweise an Touristen, aber auch über mehrere Wochen und Monate, beispielsweise an Handwerker auf Montage.

Das sechsstöckige Haus am Schwanenwall. © Thomas Thiel
Dabei hat W. auch bereits Bekanntschaft mit dem Mieterverein Dortmund gemacht. Dieser vertritt gerade einen polnischen Studenten, der für ein Auslandsemester eine von W.s Wohnungen im Haus am Schwanenwall mietete – für stolze 800 Euro warm pro Monat. Zufrieden war W. mit dieser für Dortmunder Verhältnisse astronomischen Miete offenbar noch nicht. Denn nach dem Ende des Mietverhältnisses stellte W. dem Studenten noch Kaltwasserkosten von fast 1500 Euro in Rechnung. „Da werden unwissende ausländische Studierende abgezockt“, sagt Tobias Scholz vom Mieterverein.
Ebenso lukrativ ist für W. das Tourismus-Geschäft: Eine Nacht in einer seiner Airbnb-Wohnungen am Schwanenwall kostete bei unserer Stichprobe Anfang Juli beispielsweise 55 Euro – das ist mehr als ein Sechstel der Monats-Warmmiete von „normalen“ Mietern wie Schünemann und Sheikh Ibrahim. Um diese loszuwerden, bedient sich W. weiterer fragwürdiger Methoden.
Dortmund braucht jede normale Wohnung, die es kriegen kann
Ein ehemaliger Mieter von W. am Schwanenwall berichtete unserer Redaktion, dass W. ihn solange mit Beschwerden wegen Nichtigkeiten zermürbt habe, bis er aus eigenem Antrieb kündigte. Er wohnt jetzt in einer WG in Bochum, seine alte Wohnung ist nun ein Ferienappartement. Ein illegales, wohlgemerkt.
In Dortmund herrscht Wohnungsnot. Die Leerstandsquote liegt bei verschwindend geringen 0,4 Prozent, die Mieten ziehen seit Jahren an, insbesondere günstige Wohnungen für einkommensschwache Haushalte sind Mangelware. Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung berechnete den Mangel von bezahlbaren Wohnungen in Dortmund jüngst auf über 30.000. Einem Bericht der NRW-Bank zufolge gibt es ein jährliches Neubaudefizit von mehr als 2000 Wohnungen in der Stadt. Dortmund braucht jede normale Wohnung.
Wohnraum ist in Dortmund geschützt – eigentlich
Seit 2012 hat Dortmund deshalb als eine von nur wenigen Städten in NRW eine Wohnraumschutzsatzung. In ihr ist festgelegt, dass reguläre Wohnungen nicht einfach für gewerbliche Zwecke genutzt werden dürfen. Wer normale Wohnungen dennoch als Ferienwohnungen vermieten möchte, muss sich das vom städtischen Wohnungsamt genehmigen lassen.
Das Problem ist nur: Niemand hält sich daran. Bis heute gibt es keine einzige Genehmigungsanfrage für Ferienwohnungen – auch nicht von W. Von dessen Geschäften wusste man im Wohnungsamt bisher nichts. Das rechtfertigt das Amt damit, dass man bei Verstößen gegen die Wohnraumschutzsatzung zwingend auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen sei, die es bisher nicht gegeben habe.
Aktiv auf den einschlägigen Portalen nach Verstößen zu suchen, wie es zum Beispiel die Stadt Köln tut, sieht es als wenig sinnvoll an: Ein „planloses und blindes Durchkämmen des Internets [...] wäre zeitraubend und unverhältnismäßig“, lässt das Wohnungsamt schriftlich wissen.
Doch genau das passierte noch vor ein paar Jahren: Die Stadtkasse und das kommunale Steueramt durchleuchteten 2016 die einschlägigen Internetportale, auf der Suche nach Anbietern, die die Bettensteuer nicht bezahlten – bis die Stadt 2017 einen Deal mit Airbnb abschloss. Seitdem treibt Airbnb die Bettensteuer von seinen Nutzern selbst ein und überweist sie als Pauschale – von welchen Betrieben die Steuern stammten, erfährt die Stadt jedoch nicht. „Eine solche Vereinbarung erleichtert die Kontrolle der Einhaltung einer existierenden Zweckentfremdungssatzung nicht“, stellte die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in NRW, der alle Städte und Kreise des Landes angehören, im Januar fest.
W. besitzt in Dortmund insgesamt fast 60 Wohnungen
W. konnte seitdem unbehelligt im Internet für seine illegalen Ferienwohnungen werben. Sein Portfolio umfasst dabei bei weitem nicht nur die Appartements am Schwanenwall. Auf der Internetseite seines Unternehmens bietet W. knapp 30 Wohnungen für Kurzzeitmieten für „Reisende“ an, die „viel angenehmer als ein anonymes Hotelzimmer“ seien, wie es dort heißt – allein 14 dieser Wohnungen liegen in einem einzigen Haus an der Ludwigstraße im Brückstraßenviertel. Insgesamt besitzt W. nach Informationen unserer Redaktion fast 60 Wohnungen, vor allem in der östlichen City und der weiteren östlichen Innenstadt, aber auch in Eichlinghofen, Lütgendortmund und Körne.
Ob W. auch an anderen Standorten so aggressiv vorgeht wie am Schwanenwall, ist nicht bekannt. Zwei Fälle aus der Ernst-Mehlich-Straße, wo er auch in einem Haus mehrere Wohnungen besitzt, lassen das vermuten. Dort wurde erst im Juni einer Mieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt. Bis auf die Tatsache, dass in diesem Fall W.s Frau als Vermieterin auftrat und deren Schwester als Kündigungsgrund genannt wurde, war das Kündigungs-Schreiben wortgleich mit denen, welche die Schwanenwall-Mieter Schünemann und Sheikh Ibrahim bekamen – Rechtschreibfehler inklusive.
Bereits vor einem Jahr zog dort eine Familie mit einem alten, billigen Mietvertrag nach einer Kündigung wegen Eigenbedarfs aus. Ihre große Wohnung wird heute als WG vermietet. „Der hat uns reingelegt“, schimpft Ex-Mieterin Katharina Kwiek heute noch.
Die Schwanenwall-Mieter Erich Schünemann und Mohamed Sheikh Ibrahim werden hingegen erst einmal in ihren Wohnungen bleiben. Zufällig trafen sich die beiden Ende April im Haus, kamen ins Gespräch und erfuhren von der Kündigung des jeweils anderen. Sie legten schließlich bei W. schriftlich Widerspruch gegen die Kündigung ein und warfen ihm versuchten Betrug vor.

Mohamed Sheikh Ibrahim im Hausflur vor seiner Wohnung. Der Schwanenwall-Mieter hat Widerspruch gegen seine Kündigung eingelegt – erfolgreich. © Thomas Thiel
Kurz darauf zog W. Ende Mai die Kündigungen zurück. Er wolle weiterem Streit aus dem Wege gehen und wünsche sich ein friedliches Miteinander, hieß es in dem knappen Antwortschreiben. Seitdem haben sie nichts mehr von ihrem Vermieter gehört.
W. antwortet nicht auf Fragen unserer Redaktion
Auch gegenüber unserer Redaktion blieb W. stumm. Einen Fragenkatalog zu seinem Verhalten gegenüber Mietern und seinen Verstößen gegen die Wohnraumschutzsatzung ließ er auch nach einer Woche unbeantwortet.
Bald wird er sich äußern müssen – zumindest gegenüber der Stadt. Das Wohnungsamt hat als Reaktion auf unsere Recherche eine Überprüfung des Falls angekündigt. „Der Prozess ist eingeleitet“, heißt es aus dem Amt.
In einer Sache ist W. bereits selbst aktiv geworden: Seine Frau hat die Eigenbedarfs-Kündigung gegen die Mieterin in der Ernst-Mehlich-Straße zurückgezogen. Ihre Schwester habe eine neue Stelle gefunden und müsse nicht umziehen. Zwei Tage zuvor war die Anfrage unserer Redaktion angekommen, wie vielen Mietern W. sonst noch wegen Eigenbedarfs gekündigt habe.
1984 geboren, schreibe ich mich seit 2009 durch die verschiedenen Redaktionen von Lensing Media. Seit 2013 bin ich in der Lokalredaktion Dortmund, was meiner Vorliebe zu Schwarzgelb entgegenkommt. Daneben pflege ich meine Schwächen für Stadtgeschichte (einmal Historiker, immer Historiker), schöne Texte und Tresengespräche.
