Wie die Zeche Zollern im Zentrum eines rechten Shitstorms landete „Es ist beängstigend“

Wie die Zeche Zollern im Zentrum eines rechten Shitstorms landete
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Es herrscht eine tiefe Ruhe in der Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial“ auf Zeche Zollern an diesem Donnerstagnachmittag. Vereinzelt verirren sich Besucher in die dunklen Räume in einem der Seitentrakte des LWL-Museums, in dem eine große Kolonialismus-Ausstellung im kommenden Jahr vorbereitet wird.

Doch die Ruhe täuscht. Die kleine Ausstellungswerkstatt ist unfreiwillig in einen erbittert geführten Kulturkampf geschlittert, der im ganzen Land tobt. Er dreht sich um die große Frage: Was für eine Gesellschaft wollen wir sein?

Im Fall der Zeche Zollern ist der Auslöser des Ärgers ein kleines Schild und einen nur unwesentlich größerer Aufsteller, die jeden Samstag am Eingang der Ausstellungswerkstatt platziert werden.

„Liebe Besucher:innen“, ist auf Ihnen zu lesen, „die Ausstellungswerkstatt wird heute von 10 bis 14 Uhr als Safer Space genutzt. Sie ist in diesem Zeitraum für Schwarze und Indigene Menschen und People of Color (BIPoC) reserviert.“ Heißt im Umkehrschluss: Weiße Besucher sollen bitte draußen bleiben.

Das Schild des Anstoßes im Eigangsbereich der Ausstellungswerkstatt
Das Schild des Anstoßes im Eingangsbereich der Ausstellungswerkstatt © Thomas Thiel

Seit der Eröffnung des Projekts Mitte März gilt diese Regelung. Seitdem habe es insgesamt zehn Rückfragen von Besuchern deswegen gegeben, berichtet Katarzyna Nogueira, eine der Kuratorinnen der Ausstellungswerkstatt. „Das war alles sehr überschaubar.“

Bis zum vergangenen Samstag (26.8.). Da besuchte eine kleine Gruppe das Museum - und sorgte für mächtig Ärger. Sie stellte mehrere Museumsmitarbeiter auf dem Gelände zur Rede und kritisierte die Safer-Space-Regelung mit drastischen Worten. Rassismus gegen Weiße sei das, und das finanziert durch Steuergelder: „Das kann jetzt nicht euer Ernst sein!“

Ein Foto des Video-Beitrags, der den Shitstorm ausgelöst hat
Ein Foto des Video-Beitrags, der den Shitstorm ausgelöst hat © Sophia Wibbeke

Man kann von diesem Vorfall so detailliert berichten, weil der Kurzbesuch von jemandem aus der Gruppe gefilmt (verdeckt, wie es aus dem Museum heißt) und Anfang der Woche im Internet verbreitet wurde.

Seitdem befindet sich die Zeche Zollern im Zentrum eines stetig stärker werdenden Shitstorms. „Wir werden bombardiert mit Anrufen“, berichtet Jana Golombek, eine der Projektleiterinnen. „Wir mussten die Kommentarfunktion auf unserem Instagram-Auftritt ausschalten und haben 1000 negative Google-Bewertungen bekommen, die Google glücklicherweise gelöscht hat, weil bemerkt worden war, dass da was nicht stimmt.“

In der Ausstellungswerkstatt sammelt das Museum Besucher-Feedback für eine große Kolonialismus-Ausstellung 2024 auf Zeche Zollern.
In der Ausstellungswerkstatt sammelt das Museum Besucher-Feedback für eine große Kolonialismus-Ausstellung 2024 auf Zeche Zollern. © Thomas Thiel

Das zuvor sehr überschaubare öffentliche Interesse an der kleinen Ausstellungswerkstatt in Bövinghausen ist mittlerweile gewaltig: Zahlreiche Medien berichten über den Fall, bis in die Schweiz zur „Neuen Zürcher Zeitung“ hat es die Aufregung rund um „Das ist kolonial“ geschafft, mit der wenig schmeichelhaften Überschrift: „Kein Zutritt für Weiße“.

Doch stimmt das eigentlich? Was sind „Safer Spaces“ überhaupt und sind sie sinnvoll oder diskriminierend? Darf man bestimmte Gruppen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft von öffentlichen Ausstellungen ausschließen? Wir haben in den vergangenen zwei Tagen mit zahlreichen Experten über diese Fragen gesprochen - und beantworten hier die wichtigsten Fragen.

Dürfen Weiße samstags von 10 bis 14 Uhr die Ausstellungswerkstatt wirklich nicht betreten?

Es ist der zentrale Vorwurf in dem Video, das die ganze Debatte ausgelöst hat: Gilt samstags halbtags „Zutritt verboten“ für die Ausstellungswerkstatt? Nein, sagt Projektleiterin Golombek: „Wir verbieten niemandem den Eintritt, auch nicht während des ‚Safer Spaces‘.“ Das Schild sei eine Bitte, kein Verbot. Wer die Räume zu der Zeit trotzdem unbedingt besuchen wolle, könne rein. Es gebe keine Kontrolle.

Die Durchsetzung eines Verbots wäre auch schwierig: Am Eingang der Ausstellungswerkstatt gibt es keinen gesonderten Einlass. Wer also einmal auf dem weitläufigen Gelände der Zeche Zollern (für das die Safer-Space-Regelung nicht gilt) ist, kann einfach in die Ausstellungswerkstatt hineinspazieren.

Darf man grundsätzlich Menschen einer bestimmten Hautfarbe und Herkunft den Zutritt zu öffentlichen Gebäuden verwehren?

Das sei juristisch sehr heikel, sagt Rechtsanwalt Maximilian Stahm: Grundsätzlich gelte Artikel 3 des Grundgesetzes, der besagt, dass niemand unter anderem durch seine Hautfarbe diskriminiert werden darf.

„Das sind allerdings Schutzrechte gegen den Staat. Wäre das Museum also privat, sähe das etwas anders aus. Da es aber mit öffentlichen Geldern finanziert wird, kann man nicht einfach von seinem Hausrecht Gebrauch machen. Auch nicht befristet“, sagt Stahm.

Dr. Maximilian Stahm ist ein Dortmunder Anwalt.
Maximilian Stahm ist ein Dortmunder Anwalt. © Rechtsanwälte Stahm

Warum gibt es einen „Safer Space“ in der Ausstellungswerkstatt?

Der „Safer Space“ sei vor allem ein Symbol, sagt Kuratorin Nogueira: „Wir wollen mit ihm Besuchergruppen gewinnen, die sonst nicht ins Museum kommen würden.“

Diese Vorgehensweise findet der Erziehungswissenschaftler Lukas Otterspeer gut, der an der TU Dortmund forscht. Konkret könne ein „Safer Space“ in der Ausstellung zu Kolonialismus Menschen Schutz geben, „deren Familiengeschichte, Biografie und soziale Position in der Gesellschaft bis heute durch den ausbeuterischen und menschenverachtenden europäischen Kolonialismus geprägt ist.“

Was sagen schwarze Dortmunder zum „Safer Space“ in der Ausstellungswerkstatt?

„So ein Space dient dazu, mal runterzukommen von all den Aggressionen, die man im Alltag erlebt“, berichtet der gebürtige Kameruner und Dortmunder Ratsherr Armel Djine. „Nur so können Betroffene ihre Lage reflektieren. Und das ist nötig.“

Ein „Safer Space“ sorgt für Djine nicht für Ausgrenzung, sondern er ermögliche gleichberechtigtes Leben in einer Gesellschaft, die ihre koloniale Vergangenheit noch nicht zu Ende aufbereitet habe.

Armel Djine sitzt für die Grünen im Dortmunder Rat.
Armel Djine sitzt für die Grünen im Dortmunder Rat. © Sophia Wibbeke

Dass offenbar manche Weiße bei der Diskussion um den „Safer Space“ denken, sie müssten ein Stück ihrer Freiheit abgeben, irritiere ihn. „Was sie überhaupt nicht sehen, ist aber, dass sie diese Freiheit für Nicht-Weiße gar nicht zulassen. Jeder Raum in unserem Alltag, vom Friseur oder der Straße bis zu Ärzten ist ein Safer Space für Weiße.“

Für Kevin Matuke sind Safer Spaces „eine Befreiung für Betroffene“. „Den Besuchern, die das Angebot annehmen, das Museum sicher zu besuchen, wird ein Dialog ermöglicht, den es sonst vielleicht nicht gegeben hätte“, sagt der Vorsitzende des Cohedo, eines integrationspolitischen Vereins in Dortmund.

Kevin Matuke ist Vorsitzender des integrationspolitischen Vereins Cohedo.
Kevin Matuke ist Vorsitzender des integrationspolitischen Vereins Cohedo. © Sophia Wibbeke

Solche Räume in einer weißen Mehrheitsgesellschaft zuzulassen, ist für Matuke ein Zeichen des Respekts und der Anerkennung. Sie seien wichtig für eine pluralistische Gesellschaft.

Was sagen Kritiker über das Konzept der „Safer Spaces“?

Kritiker befürchten, durch eine Einrichtung von Safer Spaces für gewisse Gruppen werde der Dialog erschwert. Es werde durch Safer Spaces ermöglicht, heißt es, dass man andere Meinungen im Zweifel gar nicht zu einem Thema zulassen würde, was gerade in Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen dem Diskurs schaden könnte. Oder, wie es der Spiegel-Journalist Alexander Neubacher formulierte: „Für die offene Gesellschaft sind Safe Spaces keine Refugien, sondern Sterbezimmer.“

Zudem befürchten Kritiker dieser Spaces, sowieso schon marginalisierte Menschen würden sich in diesen Spaces nur weiter isolieren.

Woher kommt die Aufregung rund um den „Safer Space“ auf Zeche Zollern?

Nach einer Analyse des Museumsbetreibers LWL wurde das Video, das am Anfang des Shitstorms steht, zuerst beim Tiktok-Kanal des Querdenker-nahen Dortmunder Mini-Radiosenders „Antenne frei“ veröffentlicht.

Dort sei erst einmal etwas Reichweite generiert worden, bevor die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar (ehemals AfD, heute parteilos) das Video über Facebook und Twitter an ihre insgesamt rund 100.000 Follower verbreitete. Von da fand das Video seinen Weg unter anderem zum rechten Publizisten Boris Reitschuster, der es aufgriff und seinerseits verbreitete. Auch auf der Plattform Telegram machte es die Runde.

Ebenfalls Teil der rechten Empörungswelle war die Dortmunder Neonazi-Splitterpartei „Heimat Dortmund“, die ihre Anhänger über die sozialen Medien dazu aufrief, sich beim Museum zu beschweren und die zentrale Telefonnummer des Museums dazuschrieb.

Selbst die persönlichen Nummern der Ausstellungsmacherinnen kursieren mittlerweile in der Szene. Projektleiterin Jana Golombek berichtet von zahlreichen Anrufen, in denen ihr teilweise gedroht wurde. „Das ist beängstigend, wenn man merkt, wie koordiniert das abläuft und wie massiv das ist“, sagt sie. „Das Hasserfüllte ist schon schwer zu ertragen.“

Was steckt hinter dem Vorwurf „Rassismus gegen Weiße“?

Dass dem „Safer Space“ der Zeche Zollern vorgeworfen wird, einen „Rassismus gegen Weiße“ zu fördern, überrascht Dierk Borstel nicht. „Die Strategie dahinter ist die klassische Täter-Opfer-Umkehr“, erklärt der Politikwissenschaftler und Extremismusforscher an der FH Dortmund.

„Das funktioniert ganz einfach: Man nimmt Begriffe, die einem selbst entgegengeworfen werden, und benutzt sie für die Gegenseite“, sagt Borstel. „So bezeichnen sich zum Beispiel AfD-Politiker manchmal als die wahren Demokraten und alle anderen als undemokratisch. Oder Rassisten bezeichnen den Kampf gegen Rassismus eben als rassistisch.“

Trotzdem sind nicht alle, die diese Methodik anwenden, direkt Rassisten: „Diese Methode des Framings kann viele Agenden haben. Rechtsextreme nutzen sie, aber auch rechtspopulistische Medien bis hin zu Neoliberalen.“

Dierk Borstel ist Politologe an der FH Dortmund.
Dierk Borstel ist Politologe an der FH Dortmund. © dpa (Archivbild)

Wie geht es nun weiter mit dem „Safer Space“ auf Zeche Zollern?

Die Macherinnen der Ausstellungswerkstatt haben nicht vor, etwas an der Samstags-Regelung zu ändern. „Wir können keine Ausstellung machen ohne die Perspektive von Nicht-weißen Menschen“, sagt Kuratorin Nogueiro.

Nun sei es aber so, dass das ganze Ausstellungsteam weiß ist - daher sei der „Safer Space“ ein Mittel, diese Perspektiven in die eigentliche Ausstellung 2024 hineinzubringen. In den Werkstatträumen kann man seine Wünsche und Geschichten niederschreiben oder auch in einem eigenen Tonstudio einsprechen. Etwas unter 100 Menschen haben bisher dazu den Termin des „Safer Space“ genutzt, haben die Ausstellungsmacherinnen überschlagen - exakte Zahlen gibt es nicht, weil die Werkstatt keinen gesonderten Einlass habe.

Auf einem Hinweisschild in der Ausstellungswerkstatt steht, dass auch in der Hauptausstellung „Safe Spaces“ angedacht seien - wie diese aussehen sollen, ist aber noch unklar. Die Ausstellungsmacherinnen wollten sich in Anbetracht der aktuellen Aufregung dazu nicht äußern.

Dieser Artikel ist erstmals am 1.9.2023 erschienen.

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