Der feierliche Augenblick: Am 8. Oktober 1964 durchschnitt Bürgermeister Ewald Sprave (vorn 2.v.l.) das Band, um die Einkaufszone Westenhellweg zu eröffnet. Links neben ihm: Otto Büchler, der den Umbau vorangetrieben hatte. © RN-Archiv/Merker
Geheimnisse des Westenhellwegs
Wie der Westenhellweg zur ersten Fußgängerzone der Stadt wurde
Als „goldene Meile“ ist der Westenhellweg bekannt. Denn er ist eine der meist genutzten Einkaufsstraßen Deutschlands. Eine Fußgängerzone ist er aber erst seit 55 Jahren.
Der 8. Oktober ist ein denkwürdiger Tag für die Einkaufsstadt Dortmund. Das ist schon allein an den Menschenmassen zu erkennen, die sich hinter dem Absperrband drängen. Tausende wollen dabei sein bei der Eröffnung der ersten Fußgängerzone der Stadt.
„Dortmunds Innenstadt hat ihre erste, den Fußgängern vorbehaltene Einkaufs-Promenade! Mit dem Durchschneiden des symbolischen roten Bandes gab Bürgermeister Ewald Sprave um 10.30 Uhr den Westenhellweg von der Reinoldikirche bis zum Westentor offiziell als durchgehend plattierte Fußgängerstraße frei“, berichteten die Ruhr Nachrichten am folgenden Tag unter dem Titel „Prachtstraße der City offiziell übergeben“.
Ein historischer Straßenzug
Es war ein historischer Einschnitt für den Straßenzug, der schon seit dem Mittelalter eine besondere Bedeutung hat. Als Teil einer alten Handelsroute war der Hellweg eine der Grundlage für die Stadtgründung. Und die Ost-West-Verbindung war zwischen Osten- und Westentor stets die Hauptverkehrsstraße.
Hier gab es schon im Mittelalter wichtige Einrichtungen wie das Gildenhaus, das Stadtweinhaus, das Hospital zum Heiligen Geist und jede Menge Gaststätten. Fachwerkhäuser prägten das Bild des Straßenzuges, der als einer der ersten in der Stadt auch befestigt, also gepflastert, war.
Das Bild änderte sich spätestens Ende des 19. Jahrhunderts als der Westenhellweg zur Einkaufsstraße der in der Industrialisierung stark gewachsenen Stadt wurde. In vielen Häusern, die klassischerweise als Wohnhäuser genutzt wurden, wurden in den unteren Etagen Ladenlokale eingerichtet. Es gab neue Cafes und Kinos. Und auch die Straßenbahn fuhr zu Beginn des 20. Jahrhunderts über Westen- und Ostenhellweg, teilte sich den Straßenraum anfangs mit Pferdefuhrwerken, später mit neumodischen Automobilen.
Der Westenhellweg wird zur Geschäftsstraße
Dazu kamen immer mehr Fußgängermassen. Denn der Westenhellweg wandelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einmal radikal sein Gesicht. Angefangen mit dem Kaufhaus Althoff, das 1904 eröffnete, entstanden immer mehr und immer größere Geschäftshäuser, für die die alten Gebäude abgerissen wurden. Der Gehweg reichte so längst nicht mehr aus, um das Aufkommen an Fußgängern zu fassen und nicht selten kam es bei der Begegnung mit Autoverkehr und Straßenbahn zu gefährlichen Situationen.
Straßenbahnen und Fußgänger belebten vor allem in den 1920er Jahren den Westenhellweg. © Stadtarchiv
„In der letzten Stunde vor Geschäftsschluss, damals zwischen sechs und sieben Uhr abends, herrschte Hochbetrieb“, erinnert sich der Zeitzeuge und Heimatforscher Karl Neuhoff an die 1920er Jahre. „Es waren nicht nur die Bürger anzutreffen, die ihre Geschäftsbesorgungen in der Innenstadt machten, sondern in dieser Zeit war der Westenhellweg mit seinem geschäftigen Betrieb allgemein ein Anziehungspunkt für die Spaziergänger. Und darüberhinaus schob sich durch dieses Gewimmel die zweigleisige Straßenbahn über den gesamten West- und Ostenhellweg.“
Ein wenig gelindert wurde die Enge durch die Aufteilung des Straßenbahnverkehrs nach der Verbreiterung der Kampstraße. Bis 1930 gab es die 1. und 2. Kampstraße, die eher schmale Gassen waren. Nach dem Abriss einer Häuserzeile wurde die Kampstraße deutlich breiter. Hier und auf dem Hellweg fuhren die Bahnen nun im Einbahn-Verkehr.
Der Westenhellweg in der 1930er Jahren, hier in Höhe Petrikirchplatz: Die Straßenbahn fuhr nur noch einspurig, dafür nahm aber der Autoverkehr zu. © Stadtarchiv
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kampstraße dann gemeinsam mit dem Brüderweg zur zentralen Ost-West-Verkehrsachse in der City ausgebaut. Der Westenhellweg blieb aber die zentrale Einkaufsstraße, an der mit dem fortschreitenden Wiederaufbau viele alte und neue Geschäfte eröffneten. Jetzt war es der zunehmende Autoverkehr, mit dem sich die Einkaufsbummler den Platz teilen mussten.
In den 1950er Jahren mussten sich Fußgänger und Autoverkehr weiterhin den Westenhellweg teilen. © RN-Archiv
Doch ein neuer Trend breitete sich aus. Schon 1927 wurde ein Teil der Limbecker Straße in Essen autofrei. Die erste richtige Fußgängerzone wurde dann 1953 in der Treppenstraße in Kassel angelegt. Andere Städte folgten bald.
Otto Büchler brachte die Anlieger zusammen
In Dortmund ist die Umwandlung des Westenhellwegs mit dem Namen Otto Büchler verknüpft. Er war Inhaber eines Textilkaufhauses am Westenhellweg, das Ende der 1950er Jahre gut 200 Angestellte hatte. Vor allem war Büchler aber auch für den Handel allgemein engagiert. Der langjährige Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer gehörte zu den Begründern des Einzelhandelsverbandes nach dem Krieg – und ergriff Anfang der 1960er Jahre die Initiative für eine Fußgängerzone in der City.
1964 wurde der Westenhellweg mit neuem Pflaster zur Fußgängerzone. © RN-Archiv/ Merker
Büchler selbst berichtete von „zweieinhalb Jahren Kampf“ mit der Stadtverwaltung und den Anliegern des Westenhellwegs. Es ging vor allem um die Kosten, die die damals klamme Stadt nicht allein aufbringen konnte. So wurde vereinbart, dass Stadt und Anlieger jeweils 50 Prozent der Kosten übernahmen. Dazu mussten 94 Anliegerfirmen des Westenhellwegs unter einen Hut gebracht werden, berichtete Büchler beim Festakt zur Eröffnung der Fußgängerzone am 8. Oktober 1964. Nur zwei Anlieger hätten sich desinteressiert gezeigt.
Vorbild für andere Geschäftsstraßen
Und das gute Beispiel machte Schule. Auch die Anlieger anderer Geschäftsstraßen wie Ostenhellweg und Brückstraße bemühten sich „um eine ähnlich glückliche Lösung, wie sie am Westenhellweg jetzt verwirklich werden konnte“, berichteten die Ruhr Nachrichten.
Tatsächlich wuchs die Fußgängerzone im Laufe der Jahrzehnte immer weiter. Spätestens das City-Konzept der 1980er Jahre stellte dann die Weichen für eine weitgehend autofreie City.
Im Jahr 2000 bekam der Westenhellweg sein neues, noch heute bestehendes Pflaster. © Stephan Schütze
Gesprächsstoff lieferte das Westenhellweg-Pflaster aber auch später noch. Handel und Medien wurden nicht müde, in den 1990er Jahren den inzwischen schlechten Zustand des Pflasters zu beklagen. Im Jahr 2000 bekam der Westenhellweg schließlich ein neues Pflaster aus Granit und Marmorelementen. Auch hier folgten Ostenhellweg und Brückstraße einige Jahre später.
Pflasterschäden sorgen immer wieder für Diskussionen. © Peter Bandermann
Auf jeden Fall dürfte der Charakter der Fußgängerzone dazu beigetragen haben, dass der Westenhellweg nach regelmäßigen Untersuchungen zu den am meisten frequentierten und mit Blick auf die Mietpreise zu den teuersten Einkaufsstraßen Deutschlands gehört – eine „goldene Meile“ halt.
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