
© AOK Nordwest
Wenn die Vorsicht zur Gefahr wird: Zu viele Klinikbetten bleiben leer
Gesundheitswesen
Sinkende Klinikeinweisungen im Zusammenhang mit Notfällen geben Anlass zur Sorge. Das sagt die in Dortmund ansässige Krankenkasse AOK Nordwest. Die heimischen Krankenhäuser warnen.
Auch in der zweiten Pandemiewelle blieben viele Klinikbetten in Westfalen-Lippe leer. Das zeigt der aktuelle Krankenhaus-Report 2021, den die AOK Nordwest für Westfalen-Lippe erstellt hat. Die Krankenkasse hat ihren Sitz in Dortmund.
Demnach ist in den Monaten Oktober 2020 bis Januar 2021 in der gesamten Region Westfalen-Lippe erneut ein Fallzahlenrückgang zu verzeichnen, der allerdings insgesamt etwas geringer als im Frühjahr des vergangenen Jahres ausfällt. „Anlass zur Sorge geben vor allem die sinkenden Klinikeinweisungen im Zusammenhang mit Notfällen wie bei Schlaganfall oder Herzinfarkt“, sagt AOK-Vorstandsvorsitzender Tom Ackermann.
Lag der Einbruch bei den stationären Schlaganfalleingriffen in der ersten Pandemiewelle (März bis Mai 2020) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bei 18 Prozent, betrug das Minus in der zweiten Pandemiewelle (Oktober 2020 bis Januar 2021) neun Prozent.
Vor allem ältere Patienten meiden das Krankenhaus
Ähnlich entwickelten sich die Werte bei den Herzinfarkten. In der ersten Pandemiewelle (März bis Mai 2020) gingen die Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23 Prozent zurück, in der zweiten Pandemiewelle (Oktober 2020 bis Januar 2021) betrug der Rückgang acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Rudolf Mintrop ist Vorsitzender der Geschäftsführung am Klinikum Dortmund. Er stellt fest, dass sich die ganz große Angst vor einem Krankenhausaufenthalt wieder gelegt hat und verweist auf großen Aufwand, der zum Schutz vor Ansteckungen mit Covid-19 betrieben werde. © (A) Dieter Menne
Für das Klinikum Dortmund kann Rudolf Mintrop, der Vorsitzende der Geschäftsführer, die Zahlen in der Größenordnung nicht bestätigen. In der ersten Welle vor einem Jahr sei es sehr ausgeprägt gewesen, dass die Menschen aus persönlicher Sorge, sich im Krankenhaus mit Covid-19 anzustecken, Diagnose- und Therapietermine scheuten. „Das hat sich aber verändert“, sagt Rudolf Mintrop. Über das ganze Jahr 2020 sei beispielsweise die Zahl der Schlaganfall-Patienten nur um drei Prozent, also nur geringfügig, zurückgegangen.
Für die Knappschaftskrankenhäuser in Brackel und Lütgendortmund kann der Sprecher der Klinikum Westfalen GmbH, Klaus-Peter Wolter, zwar keine Zahlen nennen, mit denen sich zuverlässig Schlüsse über das Verhalten von Patienten in Notfallsituationen in der Pandemie belegen ließen. Die Fachexperten stellten aber durchaus fest, dass vor allem ältere Patienten mit Vorerkrankungen das Krankenhaus meiden.
Krankenhäuser betreiben hohen Aufwand für den Infektionsschutz
„Sie sind dann oft wirklich ernsthaft erkrankt, wenn sie in die Notaufnahme kommen“, sagt Sandra Döpker, die die Notaufnahmen im Klinikum Westfalen leitet. Gleiches stellt Gudula Stroetzel, Sprecherin des Johannes-Hospitals, fest. Während Patienten, die mit schwerwiegenden Erkrankungen bereits diagnostiziert waren, weiter gut und unbeeinträchtigt versorgt wurden, sind die Patienten problematisch, „deren Erkrankungen zu spät diagnostiziert wurden. Vorsorgen, Untersuchungen oder Arztbesuche wurden aus Sorge verschoben, Symptome ausgesessen und damit eine rechtzeitige Behandlung verhindert.“
Ein solches Warten ist natürlich überhaupt nicht ratsam. Zumal eben - und darauf verweisen alle Krankenhäuser auf Anfrage unserer Redaktion - ein sehr hoher Aufwand betrieben werde, um die Patienten in Zeiten der Pandemie sicher und gut zu versorgen.
Dennoch sind aber beispielsweise auch Krebsoperationen laut AOK Nordwest in Westfalen-Lippe von Oktober 2020 bis Januar 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fünf Prozent zurückgegangen. Für Dortmund gilt allerdings auch diese Zahl so nicht unbedingt. „Hier ist kein Rückgang zu bemerken“, sagt Gudula Stroetzel für das Johanneshospitals.
Kardiologische, neurologische und onkologische Fachärzte des Klinikums Westfalen rufen übereinstimmend mit Fachgesellschaften dazu auf, in der Pandemie andere Gesundheitsgefahren nicht zu vernachlässigen. „Corona darf nicht dazu führen, Krebserkrankungen und Krebsvorsorge zu vernachlässigen“, warnt etwa Dr. Peter Ritter, Direktor der Onkologischen Kliniken im Klinikum Westfalen. Unterbrechungen oder Verschiebungen von Therapien zum Beispiel aus Sorge vor der Corona-Pandemie könnten Betroffene nach aktuellen Veröffentlichungen Lebensjahre kosten.
„Nutzen einer Krebstherapie steht über Covid-19-Risiko“
„Bei den meisten akut an Krebs erkrankten Patienten steht der Nutzen einer sinnvollen und geplanten Krebstherapie über dem Risiko einer möglichen Infektion mit dem Coronavirus“, so die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Dieser Bewertung schließt sich Dr. Ritter uneingeschränkt an.
Auch der Chefarzt der Neurologie und Leiter der Schlaganfalleinheit am Knappschaftskrankenhaus Dortmund, Dr. Ulrich Hofstadt-van Oy, warnt: „Da insbesondere auch Herzerkrankungen und Schlaganfälle durch die heute möglichen Akutbehandlungen in ihrer Prognose deutlich gebessert werden können, gilt dieses ebenso für diese Erkrankungen.“
Da sich ein Schlaganfall zunächst mit nur kurzfristigen oder geringen Ausfällen ankündigen könne, sollten die Dortmunder Bürger beim Auftreten dieser Symptome unbedingt den Rettungswagen rufen, um diese in einer der beiden Schlaganfalleinheiten der Stadt (im Klinikum Dortmund und im Knappschaftskrankenhaus Dortmund) rasch abklären und behandeln zu lassen.
Johanneshospital-Sprecherin Gudula Stroetzel unterstreicht das: „Unsere Ärzte rufen dringend auf, auf keinen Fall vor Sorge um eine mögliche Ansteckung auf Behandlungen oder Vorsorgen zu verzichten und bei Beschwerden unverzüglich ihren Arzt oder eine Klinik aufzusuchen.“
Nach mehreren Stationen in Redaktionen rund um Dortmund bin ich seit dem 1. Juni 2015 in der Stadtredaktion Dortmund tätig. Als gebürtigem Dortmunder liegt mir die Stadt am Herzen. Hier interessieren mich nicht nur der Fußball, sondern auch die Kultur und die Wirtschaft. Seit dem 1. April 2020 arbeite ich in der Stadtredaktion als Wirtschaftsredakteur. In meiner Freizeit treibe ich gern Sport: Laufen, Mountainbike-Fahren, Tischtennis, Badminton. Außerdem bin ich Jazz-Fan, höre aber gerne auch Rockmusik (Springsteen, Clapton, Santana etc.).
