Jannis Kötting, André Rother, Tino Buchholz und Sandra Wiesner (v.l.) sind Teil des Kollektivs „Speicher 100“ am Dortmunder Hafen. © Felix Guth
Gentrifizierung
Wem gehört die Stadt? Bewohner des Hafens sind sauer - Bloß kein zweiter Phoenix-See
Die Fehler vom Phoenix-See sollen sich nicht wiederholen: Das fordern Anwohner des Hafens und wollen mitreden über die Veränderungen am Wasser. Die Debatte betrifft die gesamte Stadt.
Dieser Artikel ist bereits am 2. Juni 2019 als Teil einer Serie zum Thema „Wohnen in Dortmund“ erschienen und ist an dieser Stelle neu veröffentlicht worden.
Der Hafen ist der Ort in Dortmund, an dem gerade am intensivsten über Veränderung geredet wird. Dabei ist noch gar nichts passiert. Fest steht nur, was passieren soll: Entlang des Ufers an der Speicherstraße entstehen eine Dependance der Fachhochschule, die Digitalakademie des Theaters Dortmund sowie verschiedene moderne Bürogebäude (unter anderem der Lensing Media Port). Bis zu 5000 Menschen sollen hier künftig arbeiten, eine bunte Mischung von Künstlern, Kreativen und sozialen Einrichtungen soll entstehen.
Das hat eine ganze Menge mit denen zu tun, die dort gerade wohnen. Das böse G-Wort macht die Runde: Gentrifizierung, also die Verdrängung von alteingesessenen Bewohnern aus finanziellen Gründen.
Hafeninitiative möchte über die Zukunft mitreden
Seit Januar 2019 treffen sich Bewohner aus dem Umfeld mindestens monatlich, um sich als Hafeninitiative mit der Entwicklung auseinanderzusetzen. Dass sich hier städtebaulich etwas tut, finden die Mitglieder ausdrücklich gut. Aber sie sind trotzdem sauer.
„Wir haben uns gegründet, weil wir finden, dass Anwohner bisher zu wenig beteiligt worden sind“, sagt Mila Ellee von der Hafeninitiative. Bis auf eine Veranstaltung mit reinem Infocharakter sei bisher nicht mit den Hafen-Anrainern gesprochen worden. Viele treibe eine gemeinsame Sorge an. „Wir befürchten, dass es zu einem ähnlichen Effekt kommt wie am Phoenix-See. Dass es eine eigene Welt wird und die Verbindung zur Nordstadt fehlt“, sagt Mila Ellee.
Die neuen spezialisierten Arbeitsplätze am Hafen könnten einen Effekt auf den Wohnungsmarkt haben, wenn Angestellte nah an ihre Arbeitsstelle ziehen wollen. Schon jetzt ließen sich steigende Mieten und große Konkurrenz in speziellen Segmenten wie Wohnungen über 100 Quadratmetern feststellen, sagt Mila Ellee.
Bewohner der Nordstadt sollen sich die Gastronomie an der Promenade leisten können
Teil des Plans ist auch eine Promenade mit Gastronomie. Mila Ellee spricht die Hoffnung aus, „dass nicht die große Systemgastronomie entsteht, sondern Sachen, die sich die Leute aus der Nordstadt auch leisten können.“
Den aktiven Anwohnern fehlt zudem die Perspektive für bestehende Geschäftsmodelle. Dazu zählen die Gastronomien „Umschlagplatz“, „Herr Walter“ und das riesige Gebäude am nördlichen Ende der Speicherstraße. Im „Speicher 100“ haben viele junge Kreative sich seit einem Jahr ihr eigenes kleines Wirtschaftszentrum erschaffen.
Ein überdimensionaler Wal schmückt das Gebäude in direkter Wasserlage. Im „Speicher 100“ arbeiten Agenturen mit Namen wie „Dings“ oder „Maschinerie“, das Atelier Amore, der Frauen-Treff Yin Club. Das Gebäude ist ein Co-Working-Space für Freiberufler. Es gibt urbane Gartenprojekte mit Langzeitarbeitslosen und viele Kontakte in das Wohnviertel.
Kreatives Kollektiv „Speicher 100“ ist nur auf Zeit angelegt - und glaubt dennoch an eine Zukunft
„Wir haben hier die Maschine, die Liebe und alles andere“, sagt Dr. Tino Buchholz aus dem Trägerverein des Kreativprojekts. Und die Aktiven haben den Glauben daran, dass sie hier auch auf lange Sicht einen Akzent setzen können. Einen, der nicht vom Reißbrett kommt, wie bei anderen Hafenprojekten in Hamburg oder Duisburg.
Nach bisheriger Planung ist das alte Lagergebäude für den Abriss vorgesehen, wenn in sieben Jahren der Erbpachtvertrag ausläuft. Tino Buchholz sagt: „Wir wollen, dass es wächst und dass wir bleiben können. Das sind keine Luftschlösser, hier ließe sich mit wenig Geld etwas umsetzen.“ Das Speicher-Projekt soll „groß werden, aber niedrigschwellig bleiben“. Damit es auch denen nutzt, die schon lange am Hafen wohnen.
Viele Wohnungen im Hafenviertel werden saniert, das Wohngebiet verändert sich
Jannis Kötting und André Rother arbeiten im „Speicher 100“ und wohnen in der Nähe an der Feldherrnstraße. Sie beobachten, dass sich um sie herum etwas tut. André Rother schätzt, dass „30-40 Prozent der Häuser renoviert oder aufgekauft worden sind.“ Man sehe immer wieder Plakate oder Flugzettel von interessierten Immobilienfirmen.
„Aber der Mix stimmt noch. Es ist schon ein bisschen Kiez“, sagt Jannis Kötting. Das Viertel werde kontrastreicher zum Rest der Nordstadt. Die beiden jungen Unternehmer gehen davon aus, dass die Mietpreise steigen werden. „Das ist wohl das Schicksal jedes Kiezes“, sagt Jannis Kötting.
Hafeninitiative und „Speicher 100“ hoffen, dass sie Teil eines Dialogs über die Zukunft des Hafens werden können. Sie wähnen sich in einer Position, in der man ihnen zumindest zuhört.
Diskussion über Gentrifizierung ist in anderen Vierteln schon geführt worden - oder auch nicht
Im Kreuzviertel, im Kaiserviertel, in Hörde: An anderen Orten in Dortmund sind solche Diskussionen über Gentrifizierung und Beteiligung der Anwohner schon geführt worden. Oder auch nicht geführt worden. Die offizielle Interpretation der vergangenen zwei Jahrzehnte Stadtentwicklung lautet: Gentrifizierung im Maße wie in Metropolen wie Düsseldorf oder München gibt es in Dortmund nicht.
Am Phoenix-See, so argumentiert die Stadt, sei schließlich etwas an einem Ort entstanden, wo vorher nichts war. Dennoch gibt es Wissenschaftlerinnen wie die TU-Professorinnen Susanne Frank und Ulla Greiwe, die von einer „symbolischen Gentrifizierung“ in Hörde sprechen. Die alten Hörder fühlen sich von der Entwicklung am Phoenix-See abgekoppelt. Die Bewohner müssen erst nach einer gemeinsamen Basis suchen – und haben diese bisher noch nicht gefunden.
Parallel zeigt sich in Hörde eine schleichende Aufwärtsentwicklung der Mietpreise und eine Veränderung der Wohnklientel. In einem Radius, der weit über das Umfeld des Sees hinausgeht. Ein Beispiel ist die Einfamilienhaus-Siedlung Am Sommerberg/Am Winterberg, drei Kilometer vom Phoenix-See entfernt. Hier sieht sich eine Familie gerade als einsame Mietpartei zwischen vielen Häusern, die in der jüngeren Vergangenheit aufgekauft und umgebaut worden sind.
Stadtumbau und Gentrifizierung sind wichtig - aber sie bergen auch Risiken
Es geht am Ende um eine gesamtgesellschaftliche Frage, die von der Hafeninitiative auch klar formuliert wird: Wem gehört die Stadt? Der Nordstadt könne ein bisschen Gentrifizierung guttun, ist ein Argument, dass von Seiten der Stadtplaner häufiger genannt wird. Das hat einen wahren Kern, weil sich Dortmunds einwohnerstärkster Stadtteil sonst nicht weiterentwickeln kann.
Der Hamburger Musiker und Theaterkünstler Schorsch Kamerun hat diesen Gedanken 2018 bei der Ruhrtriennale in einer Kunstaktion mit dem Titel „Nordstadt-Phantasien“ auf die Spitze getrieben. Mitten im „Problemviertel“ hat er die Utopie einer durchgentrifizierten Nordstadt in Spekulanten-Hand auf die Straße gebracht und spielte dabei selbst den Gentrifizierer. Er hat damit viele Widersprüche sichtbar gemacht, die das Nebeneinander von notwendigem Stadtumbau, Gentrifizierung und „Kiezwerdung“ von Stadtvierteln erzeugt.
Bis 2022 soll der „Heimathafen“ entstehen
Der Zeitplan am Hafen: Bis 2022 soll an der Speicherstraße 15 unter dem Titel „Heimathafen“ ein Beratungs- und Bildungszentrum vor allem für Zuwanderer in der Nordstadt entstehen. Es sind kulturelle Angebote wie Kurse der Musikschule und Gastronomie geplant. Träger des Projekts ist die Stiftung Soziale Stadt.
Die nördliche Speicherstraße wird verlegt. Hier sollen Neubauten für die Hafenverwaltung und Unternehmen entstehen. Oberbürgermeister Ullrich Sierau erwartet, dass die Speicherstraße in den nächsten Jahren „ein Hotspot für Investitionen“ wird.
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