Als Sandras* Gesundheit aus den Fugen gerät, steht sie vor einem Rätsel: Körperlich ist die eigentlich sportliche Dortmunderin plötzlich nicht mehr belastbar: „Ich kam die Treppen nicht mehr rauf, zehn Stufen waren schon zu viel.“ Kommt sie morgens auf der Arbeit an, ist sie schweißnass. „Eigentlich hätte ich duschen müssen.“ Hinzu kommen massive Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und „Aussetzer beim Denken“ - die sie besonders im beruflichen Kontext stark belasten. Sie kann das alles überhaupt nicht einordnen. „Irgendwann stellt man sich selbst komplett infrage.“
Regelmäßig wird die Mittvierzigerin von anderen angesprochen, was mit ihr los ist: „Warum bist du so komisch drauf?“ Mehrere Arztbesuche laufen zunächst ins Leere: Beim Hausarzt lässt sie zunächst abklären, ob die neuen Symptome etwas mit einer bereits diagnostizierten rheumatischen Erkrankung zu tun haben könnten. Dann hat sie einen Bandscheibenvorfall im Verdacht, lässt sich vom Orthopäden untersuchen. Auch die Nachwirkungen einer Corona-Infektion zieht Sandra in Betracht.
Doch alle Untersuchungen bleiben ergebnislos - eine Erklärung, warum sie plötzlich irgendwie neben sich steht, sucht sie vergebens. Bis ihre Mutter in einem Gespräch von einer Freundin erzählt, die bereits mit 42 in die Wechseljahre gekommen sei. „Das hat mich ins Nachdenken gebracht.“

Wechseljahre festgestellt
Eigentlich hat sie die Thematik noch gar nicht im Blick: „Ich hätte damit so mit Ende 40, Anfang 50 gerechnet, wie bei meiner Mama.“ Aufgrund der starken Beschwerden, die ihren Alltag deutlich belasten, zögert sie jedoch nicht lange und macht einen Termin bei ihrer Gynäkologin. Die überprüft den Hormonstatus, also die Konzentration verschiedener Hormone im Blut. Danach steht eindeutig fest: Sandras Wechseljahre haben begonnen.
Diese Phase, in der sich die natürliche Hormonproduktion umstellt, erleben viele Frauen zwischen Mitte 40 und Mitte 50, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die Regelblutung wird unregelmäßiger, bleibt irgendwann ganz aus - damit endet die Lebensphase, in der Frauen schwanger werden können. Beginn und Dauer der Wechseljahre sind sehr verschieden, laut dem Infoportal „Frauenärzte im Netz“ hat aber etwa die Hälfte aller Frauen im Alter von 52 Jahren ihre letzte Regelblutung.
Mit dem Empfinden, „zu jung“ für die Wechseljahre zu sein und die vielfältigen Symptome nicht richtig einordnen zu können, ist Sandra nicht allein: „Bei jungen Frauen dauert es oft länger bis zur Feststellung, selbst bei Frauen um die 50 wird oft erst an andere Dinge gedacht und entsprechend behandelt. Die Wechseljahre werden bei Beschwerden häufig nicht mitgedacht. Die meisten Frauen stoßen durch einen Zufall darauf, oft durch Unterhaltungen mit anderen“, schildert Carmen Rietz. Die Hagenerin ist Mitglied in der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft „Frau im Wechsel“ und zertifizierte Wechseljahre-Beraterin.
Ihre Erfahrung aus der täglichen Praxis deckt sich mit statistischen Erhebungen: Etwa ein Drittel aller Frauen erleben die Wechseljahre ohne Beschwerden, ein Drittel nimmt einige, aber nicht sehr starke Beschwerden wahr, ein Drittel berichtet von sehr belastenden Begleiterscheinungen.
Hitzewallungen und Schweißausbrüche sind wohl die allgemein bekanntesten Symptome, die auf die Hormonschwankungen zurückzuführen sind - auch Sandra hat damit stark zu kämpfen: „Beim normalem Treppensteigen bin ich völlig in Schweiß ausgebrochen. Oder ich bin nachts aufgewacht und lag in einem Wassersee. Also nicht nur ein Schweißfilm auf der Stirn, die Bettwäsche war richtig nass.“ Die Nachtruhe wird generell immer mehr zum Problem: Nachts liegt Sandra oft lange wach: „Manchmal war Leerlauf im Kopf, manchmal rödelte das Gehirn auch ziemlich.“
Der ständige Schlafmangel setzt der Dortmunderin zu, ebenso wie die abnehmende körperliche Belastbarkeit, die auch anderen negativ auffällt und für Stirnrunzeln sorgt: „Beim Treppensteigen habe ich mich wie eine 90-Jährige gefühlt. Mein Lebensgefährte sagt auch mal völlig verwundert, dass ich ja total aus der Puste sei.“ In Kombination mit dem starken Schwitzen belastet das Sandra sehr.
Ein Phänomen, das viele Frauen in den Wechseljahren erleben - auch in Kombination mit Muskel- und Gelenkschmerzen, von denen viele Frauen in den Wechseljahren berichten. Der sinkende Östrogenspiegel führt zu einer verminderten Durchblutung der Muskeln und Gelenke, Gelenkknorpel und Gelenksflüssigkeit nehmen ab, so entstehen die Schmerzen bei Bewegung, heißt es auf dem Infoportal „Frauenärzte im Netz“.
Was Sandra wohl am meisten zusetzt, sind kognitive Einschränkungen. Auf der Arbeit möchte sie etwas erklären, kann es aber nicht mehr richtig. „Ich habe falsche Worte benutzt oder unterschiedliche Begriffe miteinander verwechselt, ohne dass es mir bewusst war. Das fiel mir dann erst später ein oder ich wurde von anderen darauf hingewiesen. Das war sehr irritierend.“ Sie muss sich viel mehr Notizen machen, weil sie sonst vieles vergisst.
Kognitive Einschränkungen sind häufig
„Man fühlt sich blöd, wenn das Gedächtnis nicht mitspielt. Teils habe ich gesprochen und es kam Blödsinn heraus.“ Mit den Wechseljahren bringt Sandra diese Auffälligkeiten zunächst überhaupt nicht in Verbindung, sie hält es auch für möglich, dass es die Nachwirkungen einer Corona-Infektion sind. Dabei schildern 60 Prozent der Frauen in den Wechseljahren kognitive Einschränkungen wie Gedächtnisstörungen. Der Östrogenmangel scheint auf bestimmte Hirnregionen Einfluss zu haben, so die Erklärung von Ärzten.
Sandra geht im Job in die Offensive: In dieser Phase, in der sie noch nicht ahnt, dass ihre Wechseljahre begonnen haben, schreibt sie eine Mail an Kollegen und Kunden: „Irgendetwas stimmt aktuell nicht, ich weiß noch nicht was.“ Sie möchte zumindest erklären, dass ihr diese „Aussetzer“ bewusst sind und wirbt um Nachsicht.
„Es geht vielen so“
Ein Schritt, den Carmen Rietz als mutig und richtig ansieht: „Man hat das Gefühl, man steht damit ganz allein. Redet man darüber, stellt man aber fest: Es geht vielen so.“ Und sie wirbt dafür, keine Angst vor den Wechseljahren zu haben: „Jede Frau hat da ihre eigene Geschichte, nicht jede hat Probleme, viele nur leichte Beschwerden.“ Sie rät, „offen zu sein, die Veränderungen anzunehmen und sich zu informieren.“
Ernährung, Bewegung und Achtsamkeit seien wichtige Bausteine. „Auf sich achten“ sei oft die wichtigste Basis. Pflanzliche Präparate können helfen, auch Hormontherapien können Sinn machen. „Jede Frau muss ihren individuellen Weg finden“, so Rietz.
Dabei ist Sandra auf einem guten Weg. Von ihrer Frauenärztin hat sie ein pflanzliches Präparat verschrieben bekommen, das ihr gut hilft. „Das nehme ich seit etwa einem halben Jahr, damit geht es mir deutlich besser“, sagt die Dortmunderin. Im Freundeskreis pflegt sie einen offenen Umgang mit dem Thema, enge Bezugspersonen wissen mittlerweile, woher ihre Beschwerden kommen: „Die meisten waren irritiert, dass ich schon in den Wechseljahren bin.“ Ein Satz, den sie regelmäßig hört: „Du bist doch noch so jung.“
*Name von der Redaktion geändert
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 7. Dezember 2024.