„Astor Piazzolla“ (Ausschnitt vom höherem Format). © Günter Rückert

Der Dortmunder Künstler Günter Rückert im Interview

„Ich will, dass gelacht und sich bepisst wird in der Kunst“

Man kann als kunstinteressierter Mensch schlecht in Dortmund leben und noch nie was von Günter Rückert gesehen haben. Im Interview spricht Rückert über Witze, über den Flow beim Malen und über das, was typisch für Dortmund und die Dortmunder ist.

Dortmund

, 09.05.2018 / Lesedauer: 13 min

Günter Rückert macht sich ein eigenes Bild von den Menschen. Auf seinen Bildern sind die Menschen nicht schön, nicht heldenhaft, nicht das, was sie vielleicht sein wollen. Stattdessen sind sie gut getroffen.

In seiner Ausstellung in der Galerie Kunstbonbon haben wir mit ihm gesprochen.

Günter Rückert. © Tilman Abegg

Die Ausstellung im Kunstbonbon heißt "Schräg hinten ist gerade vorn". Ist das eine Denksportaufgabe? Ich habe das immer ganz gerne, dass die Ausstellungen auch einen Titel haben. Also musste ich mir auch für diese einen ausdenken. Ich hatte gerade eine Zeitung in der Hand, und las, dass im Cabaret Queue ein Comedian auftritt mit dem Titel "Schräg hinten". Und da kam mir dieses Wortspiel, "schräg hinten ist gerade vorn", und dann dachte ich, das ist ein guter Titel für diese Ausstellung. Da kann man frei assoziieren, und da habe ich auch keine größere Erklärung für. Und schräg sind ja viele Sachen von mir.

„Hustenfrosch“ (Ausschnitt vom Hochformat), extra für die Ausstellung im Kunstbonbon angefertigt. © Günter Rückert

Ich finde, das passt als eine etwas literarische Beschreibung der Perspektive, die Sie beim Malen und Zeichnen einnehmen. Wie Sie die Dinge sehen, ist ja auch nicht gerade vorn. Das sind immer erst Skizzen, wenn ich so rumspiele beim Fernsehen oder unterwegs. Und dann wimmeln die Skizzenbücher voll von diesen skurrilen Gestalten, Figuren, Situationen, und daraus entstehen dann halt diese Bilder und diese Zeichnungen. Mir ist immer wichtig, dass es nicht zu plakativ ist, zu platt, also nicht wie eine aktuelle Karikatur zu irgendeinem politischen Thema in der Zeitung.

Ohne eindeutigen Bezug? Genau. Sondern eine Situation auf so einem Bild, die eine Möglichkeit beinhaltet, eine Geschichte zu erzählen. Also das hier heißt zum Beispiel "Der Alptraum des Korrepetitors". Korrepetitoren, das sind die an der Oper, die mit den Sängern die Gesänge einüben müssen. Das sind dann die Pianisten mit den hochfliegenden Plänen in ihrem Leben, die aber dann da sitzen und mühsam Arien einüben müssen. Es gibt für mich immer Geschichten hinter diesen Bildern. Das mit den Katzen da heißt "Warten auf Pufalla".

„Warten auf Pufalla“ (Ausschnitt vom höheren Format). © Günter Rückert

Man kann sich dazu eine Geschichte ausdenken. Ich habe einen konkreten Hintergrund: Bei uns früher in der Siedlung, da gab's eine Familie Pufalla [den Namen hat Rückert erfunden, um die Familie nicht bloßzustellen, Anm.d.Red.], das waren fünf Brüder, und als die klein waren, wurden die, wenn sie Mist gemacht haben, mit einer siebenschwänzigen Katze verprügelt. So eine Peitsche mit sieben Enden. Da war so eine Lücke hinterm Küchenschrank, und dann haben die Blagen aus Angst versucht sich in diese Lücke zu zwängen und dann hat die Mutter Pufalla mit dieser Peitsche immer in diese Lücke rein. Das war natürlich nicht gewollt von mir, so ein Bild mit genau dieser Geschichte zu malen, sondern es ist die Zeichnung entstanden und dann erst dieser Titel. Und für mich als Hintergrund diese Geschichte dahinter. Die kennt natürlich keiner.

Vielleicht ist das ja auch ganz gut so, sonst wäre das Bild auf eine Betrachtungsweise festgelegt. Genau. Das ist ja das Schöne, es kann jeder frei assoziieren zu diesen Zeichnungen. Anders, als wenn man Geschichten schreibt. Dann erzeugt man Bilder im Kopf. Und das hier sind Bilder, die Geschichten im Kopf erzeugen, wenn's gut läuft. Oder man hat einfach Spaß, sich das anzugucken. Es gibt Leute, die mir sagen: 'Ich sehe deine Zeichnungen, und ich muss lachen, aber ich weiß gar nicht, warum.'

Die Katzen sehen ja auch ziemlich lustig aus. Wie die da stehen und gucken. Ich will ja, dass gelacht wird. Ich will, dass gelacht, geschmunzelt, gelächelt, sich bekringelt und bepisst wird in der Kunst. Das fehlt oft in der Kunst. Wobei natürlich in der Kunst alle anderen großen Gefühle, Tragik, Drama, Schrecken dieser Welt, auch Ästhetik und Schönheit, alles seine Berechtigung hat und auch immer gemacht wird, aber wenn es um Lachen geht, dann empfindet man das, naja, vielleicht nicht als störend, aber eher als Kleinkunst, als nicht wirklich große Kunst. Und da hänge ich ein bisschen zwischen den Stühlen.

„Törtchengabi“ (Ausschnitt vom Hochformat), extra für die Ausstellung im Kunstbonbon angefertigt. © Günter Rückert

Ihre Bilder sind ja auch nicht nur lustig. Es ist nur ein Aspekt Ihrer Bilder, dass sie, was ist dafür das richtige Wort, vielleicht kurios sind. Kurios, skurril, absurd, es ist ein Spiel mit Nonsens. Aber es gibt außer diesen satirischen Bildern auch ganz andere von mir. Landschaften, Stadtlandschaften, aus der Nordstadt habe ich ganz viele Bilder gemalt. Aber auch da ist eben so was Karikaturistisches, Etwas-auf-den-Punkt-Bringen, drin.

„Bornstraße / Ecke Missundestraße“. © Günter Rückert

Was Sie mit den Menschen machen, machen Sie auch mit den Häusern. Genau. So sehe ich das auch. Die Menschen sind ja Typen. Ab und zu sitze ich an der U-Bahnhaltestelle und zeichne die Typen, die rumlaufen oder ein- und aussteigen. Da habe ich das Skizzenbuch dann voll. In Eving an der Haltestelle, da war direkt mein Spanier, der ist da leider nicht mehr. Da konnte ich dann beim Spanier sitzen, Rotwein trinken, auf die U-Bahnhaltestelle schauen und zeichnen.

Worauf kommt es Ihnen an bei diesen Zeichnungen? Auf das Typische.

Also ähnlich wie bei einer Karikatur: Sie heben das, was in Ihren Augen typisch ist, hervor und lassen alles andere weg? Genau. Also, wenn jemand einen Riesenschal trägt, dann wird der in meiner Zeichnung vielleicht doppelt so groß, weil der irgendwie gerade was Besonderes hat.

„Saxofon“ (Ausschnitt vom Quadratformat). © Günter Rückert

Ich sehe hier gerade die Zeichnungen von den Instrumenten. Die sind schon von 2008. Aber das Saxofon passt gut dazu, das hat auch doppelt so viele Klappen wie normal. Da ist es dann einfach der Spaß am Zeichnen. Ich empfinde mich auch nicht unbedingt als Maler, eigentlich eher als Zeichner.

Was ist für Sie der Unterschied? Also, Maler arbeiten mehr mit Flächen und Farbkombinationen, das ist ein anderer Kompositionsansatz. Bei mir ist die Grundlage eine Zeichnung. Ich kenne einen Supermaler, mit dem hatte ich mal zusammen eine Ausstellung, der geht auf die weiße Leinwand direkt mit einem großen Pinsel und Farben, und guckt, was dann passiert und was für ein Bild daraus entsteht. Und bei mir ist es von der Skizze zur Zeichnung auf der Leinwand und dann geht's mit Farben weiter und verändert sich natürlich dabei. Ich habe auch andere Dinge ausprobiert, am Anfang. Aber diese Informelmalerei, ganz abstrakt, das ist nicht meine Baustelle, das ist mir zu dekorativ.

Da wär dann auch nichts mehr mit Typen. Nee.

„Keith Richard“. © Günter Rückert

Wie viel Dortmund ist drin in Ihren Bildern? Ganz viel.

Bei den Orten ist es klar, ich nehme zumindest an, wenn Sie ein Bild "Winter in Marten" nennen, dann haben Sie das dort auch gesehen? Ja, ich bin in Marten groß geworden, in der Germaniasiedlung.

Und darüber hinaus, gibt es noch mehr, was Dortmund ist in Ihren Bildern? Naja, ein Skizzenbuch habe ich immer dabei.

Zeigen Sie mal! (Lacht) Jetzt habe ich's nicht dabei ... Mist! Aber meistens habe ich's immer dabei. Auch wenn ich unterwegs bin, im Urlaub, Städte besuche. Und zeichne, was ich da sehe. Typen, Häuser.

„Ararat Grill“. © Günter Rückert

Wie lange brauchen Sie für einen Typen? Paar Minuten, das geht schnell. ... Das ärgert mich jetzt, dass ich gerade jetzt in der Schnelle keins eingepackt habe.

Spielt es für Sie eine Rolle, dass Sie in Dortmund leben? Dass Ihre Bilder was mit Dortmund zu tun haben? Ich sach ma so: Ich hatte nie den Drang aus Dortmund wegzugehen. Es gibt ja viele, die Künstler werden wollen, die gehen nach Köln oder München, wo mehr los ist, wo sie die Hoffnung haben groß rauszukommen, was eigentlich nie klappt. Aber wir haben uns damals, so im Studium, haben wir uns gedacht: Wir bleiben hier und machen Kunst hier. Ich habe damals ja auch politisches Kabarett gemacht.

Wen meinen Sie mit 'wir'? Das war damals Fritz Eckenga zum Beispiel. Wir haben 1976 ein Kabarett gegründet mit ein paar Leuten. Das hieß erst "Reißzwecke" und dann "Rocktheater N8chtschicht". Wir haben damals gesagt, wir wollen das hier machen.

Warum? Der Grund war eben so eine Art Grundversorgung mit Kunst und Kultur in einer Stadt, wo es nicht allzu viel davon gibt. Zu der wir aber beitragen können.

„Miles Davis“. © Günter Rückert

Für Ihre Art zu zeichnen und zu malen ist Dortmund doch auch ganz ergiebig, oder? Ja, natürlich. Aber das, was es hier in Dortmund gibt, das gibt es in allen anderen Großstädten auch. Ecken, wo es nicht so schön ist. Typen, die irgendwie ein bisschen neben der Spur sind, und was weiß ich.

Das gibt es sicher. Aber in Dortmund gehört es doch zur Folklore, dass man hier auf die Stadt so ein bisschen liebevoll herabblickt als eine Stadt, in der es solche Typen etwas häufiger gibt als woanders. Ja, da ist was dran. Folklore in dem Sinne, dass hier eben Bergbau, Industrie und so war, und dass das ein ganz bestimmtes Lebensgefühl war. Ich bin ja in einer Zechensiedlung groß geworden, mein Vater war ja Bergmann [er sagt: mein Vatter war ja Berchmann, Anm.d.Red.], und das ist ein bestimmtes Lebensgefühl von Angst und Drama, weil man kann auch verschütt gehen unter Tage, und das ist in der Siedlung auch mehrmals passiert damals. Gegenüber die Familie hat ihren Mann und zwei Söhne verloren unter Tage.

„Haus in Eving“ (Ausschnitt vom Quadratformat). © Günter Rückert

Hat Ihre Familie auch jemanden verloren? Nee, mein Vater hat nur mehrere Zehen verloren unter Tage, aber das hat er überlebt. Aber das gab es immer wieder, und es gab diese Knappenvereine, die dann in vollem Ornat und so zur Witwe gegangen sind um ihr Bescheid zu sagen. Man wusste das natürlich vorher, aber es gehörte zu diesem Ritual, wenn jemand unter Tage geblieben war. Und da sind wir als Blagen immer hinterher gelaufen. Und diese Nähe zum Tod und zum Drama, die erzeugt ein bestimmtes Lebensgefühl, dieses Sich-gegenseitig-Helfen, diese Kumpelige, und diese Haltung, die gibt's auch heute noch, auch wenn die Bergwerke zu sind. Und ich finde auch, zum Glück zu sind, das ist einfach kein guter Job. Es gab eine Untersuchung, in wie weit Dortmunder immer noch mit dem Bergbau zu tun haben, und es waren fast alle. Dass der Oppa noch aufm Pütt war oder der Vater oder irgendwelche Verwandten oder dass irgendwo noch ne Zeche steht odern Förderturm, was weiß ich. Diese ganze Vergangenheit, die spiegelt sich immer noch weiter. Und ich glaube auch, dass dieser lakonische Humor, dass der auch damit zusammenhängt. So dieses: 'Gehsse kaputt? Kommimit.'

Typisch Dortmund und typisch Bergbau ist auch, dass es hier immer noch etwas weniger darauf ankommt, wie man aussieht oder was man darstellt, und mehr, ob man sich Mühe gibt und schwitzt bei der Arbeit, ob man seinen Leuten hilft und verlässlich ist, oder? Ja klar, beim BVB werden die Spieler geliebt, die reinhauen, die die Knochen hinhalten, die malochen auf dem Platz. Im Moment gibt es solche Spieler gerade nicht.

[Ein Freund Rückerts, der zu Besuch in die Galerie gekommen ist und zuhört, sagt: „Ein Dortmunder Jung. Das ist einer.“, und zeigt dabei auf Rückert.]

Geboren bin ich auch nicht in Dortmund. Ich bin in Löningen in Niedersachsen geboren. Meine Eltern waren beide Flüchtlinge, meine Mutter aus Ostpreußen, mein Vater aus Pommern, und die sind auf der Flucht in die Nationalsozialistischen Stammlanden verfrachtet worden, das war das Emsland. Und da haben meine Eltern sich kennengelernt, da bin ich geboren, aber ich war anderthalb Jahre alt, als wir nach Dortmund gegangen sind und mein Vater hier aufm Pütt angefangen hat. Von daher, die sprachliche Sozialisation, die hat komplett hier stattgefunden. Alle Erinnerungen an Kindheit sind alle in Dortmund entstanden.

„Der Bischof in Marten“. © Günter Rückert

Und da ist Ihnen auch der Bischof begegnet? So hab ich den in Erinnerung. Ich bin ja in Marten gefirmt worden, und da kam der Bischof aus Paderborn, um uns zu firmen. Und in meiner Erinnerung hatte der so eine Hakennase. Er hat was Verschlagenes. Dieses ganze Bigotte, dieses Verlogene.

Was meinen Sie damit? Dass man sich anders darstellt, als man ist. Dass man Hintergedanken hat, aber vordergründig eine andere Maske trägt.

Gibt es weitere Bilder in dieser Ausstellung, die Dinge oder Personen zeigen, die Ihnen gegen den Strich gehen? Hm. Dieses hier zum Beispiel heißt "Wir schaffen das".

„Wir schaffen das“ (Ausschnitt vom Quadratformat). © Günter Rückert

Mit Bezug auf die CDU und auf Angela Merkel? Genau. Das hier sind absurde Figuren, sehen irgendwie komisch aus... also, ich kann das nicht richtig in Worte fassen. Deswegen habe ich es ja gemalt. Der vordere gibt dir den Stern, der links hinten interessiert es gar nicht, so war das ja in der CDU mit dem Seehofer. Aber ich sag's noch mal: Ich habe es halt als Bild gemacht. Mir ist der Titel wichtig, bei Bildern ist mir immer wichtig, einen Titel zu haben. Die Titel sollten aber möglichst nicht beschreiben, was auf dem Bild zu sehen ist, also nicht: "Da steht ein Mann mit einem Stern", oder so. Titel finden und formulieren gehört für mich auch zur Kunst. Das Bild ist immer zuerst da.

„Blöd gucken für Anfänger“. © Günter Rückert

Haben Sie Vorbilder, was die Titelgebung angeht? Nein. Nein, ich glaube nicht. In der Zeichnerei, Malerei aber schon.

Zum Beispiel? Horst Janssen war für mich immer ein Vorbild, Paul Wunderlich, Saul Steinberg, ein amerikanischer Cartoonist und Zeichner, der war in den 50er und 60er-Jahre sehr bekannt. Der hat sehr satirische und böse Zeichnungen über diesen american way of life gemacht. Das waren keine konkrete politische Anlässe, sondern eher so wie bei mir.

Ich habe nicht Kunst studiert, ich habe Deutsch und Geschichte studiert, aber ich habe für Studentenmagazine und Zeitungen satirische Comics gezeichnet und richtig politische Karikaturen. Damals. Aber das war mir als Beruf, nur politischer Karikaturist zu sein, zu wenig. es war mir zu ... ja, es ist auch anstrengend, man muss sich immer was einfallen lassen zu dem Thema und die Redaktion verlangt das, und dann zeigst du der Redaktion das und dann sagt die Redaktion: "Das ist aber nicht lustig." Und wenn die anfangen über Witze zu diskutieren in so einer Redaktion, dann ist es vorbei. Dann ist nichts mehr witzig.

Über Witze diskutieren Sie aber im Geierabend-Team, oder? Wie machen Sie das da? Da wird natürlich über Witze dauernd diskutiert, wie kann man den Witz noch witziger machen oder noch schärfen. Wenn wir über Texte sprechen, dann geht's immer darum: Wo ist der zu lang, wo fehlt noch ne Pointe, die Pointe ist zu schwach, was kann man da noch machen und so. Da wird ganz viel daran gearbeitet. Das war ja eine meiner Haupttätigkeiten als Regisseur, dass die mit ihren Texten erst mal zu mir kamen. Hier, da ist noch ne Länge, da ist noch kein gutes Ende, wie auch immer. Bis dann so ein Text als Probenvorlage fertig ist, das entscheide ich dann, so, jetzt können wir damit auf die Bühne gehen und proben. Und im Probenprozess verändert sich natürlich auch immer noch viel. Da kommt ja noch eine andere Dimension dazu, die Gänge, das Spielen, die Gesten, die Dynamik. Da verändert sich auch Text noch mal.

„Zappa“ (Ausschnitt vom höheren Format). © Günter Rückert

So ähnlich, wie wenn Sie aus einer Skizze ein größeres Bild machen, wobei wahrscheinlich auch Unvorhergesehenes passiert. Ja, ganz genau. Also diese Typen da, die habe ich einzeln im Skizzenbuch gehabt. Ohne Zusammenhang. Aber dann fange ich mit einem an, was könnt ich daraus machen, das ist mir zu wenig, dann schau ich durchs Skizzenbuch und finde das nächste. Aber wenn ich ein großes Bild machen will, dann mache ich vorher Kompositionsskizzen, also wo was hingehört, wie die Raumaufteilung ist.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie zeichnen? Was da in mir vorgeht ... Also, es funktioniert über das, was ich sehe, dann finde ich es irgendwie interessant und zeichne. Und das Zeichnen, das ist ne Sache von Kopf und Hand.

Klingt wie ein Automatismus. Ja. Klavierspieler reden ja von Fingergedächtnis, oder Sportler von Muskelgedächtnis. Und so ist das auch bei mir. Dass die Hand das tut, was der Kopf will oder der Kopf sieht, das ist ja jahrelanges Training. Das kann man nicht einfach so. Man kann sich ja auch kein Buch durchlesen, wie man zeichnet, und sich dann hinsetzen und zeichnen. Aber wenn man das kann, dann macht die Hand das schon irgendwie.

Klingt so, als hätten Sie währenddessen Zeit an etwas anderes zu denken. Ja. Ich kann mich auch unterhalten und dabei zeichnen.

Können Sie Ihren Blick beschreiben, Ihre Perspektive auf das, was Sie zeichnen? Hm. Also, ich guck jetzt schon die ganze Zeit in Ihr Gesicht und könnte Sie zeichnen. Ich seh das Typische und was kann man rausholen, wie könnte man's zeichnen, dass man draufguckt und sagt: Aha, das ist der Abegg.

Wollen Sie's machen? Ja, kann ich mal eben machen. Der Tochter eines Freundes habe ich zur Hochzeit geschenkt, dass ich da sitze mit einem Skizzenbuch und alle Leute zeichne. Da hat sie sich sehr drüber gefreut.

Paar-Minuten-Zeichnung von Günter Rückert während des Interviews. © Tilman Abegg (Repro)

Ihr Strich ist scharf und bissig, aber Ihre Farbgebung ist sehr ausgewogen, harmonisch, wie die Zutaten in einem sehr guten Essen. Sehen Sie das auch so? Dieser Gedanke ist mir noch nie gekommen, einen Gegensatz zwischen Zeichnung und der Farbigkeit zu sehen.

„Dexter Gordon“. © Günter Rückert

Ich meine das nicht als Gegensatz, sondern eher als Kontrast, in dem beides sich ergänzt. Zum Beispiel bei Ihrem Dexter Gordon. Zeichnung und Farbe sind bei Ihnen wie zwei verschiedene Instrumente, die zusammen spielen, aber ihren eigenen Klang und ihren eigenen Charakter haben. Zu Dexter Gordon gibt's ne kleine Geschichte. Ich hatte mal eine Zeit lang Porträts von Jazzern gemacht, hatte auch Ausstellungen im Domicil und in der Galerie Kley in Hamm. Da gab's jemanden, der hat mehrere Leinwände gekauft. Der kam dann noch mal auf mich zu, er hätte gerne noch ein Porträt von Dexter Gordon. Als Auftrag. Aufträge mach ich nicht gerne.

Warum nicht? Kein Maler macht gern Aufträge. Das blockiert einen derartig, wenn man denkt, der will ein Bild von mir haben und was mache ich, wenn's ihm hinterher nicht gefällt? Ich werd' wahnsinnig, wenn ich einen Auftrag machen muss. Ich hab auch schon erlebt, ganz am Anfang, als ich noch ganz grün war. Da hatte ich einen Auftrag, Hühner zu malen (er lacht). So, und dann hab ich das Bild gemalt und dann habe ich das Bild zurückgekriegt: "Nee, das gefiel meinem Mann nicht." Und dann habe ich keinen Pfennig Geld gesehen. Und seitdem mach ich's bei Aufträgen so: Erstens, ich muss da Lust zu haben. Zweitens, ich sag denen, ich mal so, wie ich mal. Ich sag euch den Preis vorher, und wenn das Bild nicht gefällt, müsst ihr zu dem gleichen Preis ein anderes Bild von mir kaufen. Das sind die Bedingungen. Das ist aber seitdem nie wieder passiert, dass einer ein Bild zurückgegeben hat. So, also dann habe ich mich rumgequält mit dem Dexter Gordon, und als er fertig war, habe ich mir gesagt: So, jetzt male ich noch mal einen Dexter Gordon, aber so, wie ich den für mich malen würde, und das ist dieser. Naja, und zu der Frage mit der Farbe: Ich habe da keine großen Theorien. Essen ist vielleicht ein gutes Beispiel: Ich nehme mir wie beim Essen, worauf ich gerade Lust habe, die Farben. Malen ist ja auch ganz viel Sitzen und nur Gucken. Ich mal unheimlich schnell, deshalb mal ich am liebsten mit Acryl, weil das schnell geht. Aber ich sitz dann auch möglicherweise ne Stunde davor und denke: Da fehlt irgendwas.

Geht das mit der Farbe so wie beim Zeichnen, ist das auch nur Kopf und Hand? Mit Farbe ist das irgendwie anders. also wenn ich dann wirklich an so einem Bild arbeite, dann ist es auch richtig Arbeit. Beim Malen selber geht's schnell, aber dann muss ich zwischendurch aufhören, mich zurücklehnen und gucken, wie geht's weiter? Was hat das jetzt gemacht, dass das hier rot ist, wonach schreit dann das hier, das Hemd? Aber man kommt dann auch in so einen Flow. Das ist wichtig, dass man da reinkommt

Was passiert in diesem Flow?Dann malt es sich alleine. Irgendwie alleine. Es ist nicht bei jedem Bild so, aber es ist oft so, dass ich dann hinterher denke: Das hast du gemalt? Ich erinnere mich daran, aber ... ich kann's mit Worten nicht erklären. Der Pinsel läuft, ich mach da rum mit Farben, hier und da und so, und dann schau ich und denk: Boah. Oder: Ach du Scheiße. Ich kann's nicht erklären. Dieser Flow ist ein Zustand, den habe ich nicht beim Gucken und Nachdenken, sondern wenn ich an der Leinwand stehe und male. Dann nehme ich nichts anderes mehr wahr. Dann kann mich jemand ansprechen, das merk ich gar nicht, und ich merke auch nicht, wie die Zeit vergeht. Das ist einerseits eine extrem hohe Konzentration, andererseits ist der Kopf leer dabei. Dieses Tun hat einen übernommen. Wie beim Motorradfahren, auf der Landstraße, schöne Kurven, das Wetter ist schön, plötzlich ist der Kopf leer und man genießt einfach das Motorradfahren. Das ist vielleicht so ähnlich. Und das ist etwas, wonach man süchtig werden kann. Das ist ein Glücksgefühl, das habe ich nur beim Malen. Und in solchen Momenten empfinde ich mein Leben als sehr privilegiert, dass ich so was machen kann und davon leben kann. Das kann man auch mit Geld nicht bezahlen.

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