Warum ich nichts vom Begriff „toxische Männlichkeit“ halte Paartherapeut Benedikt Bock erklärt

Von Benedikt Bock
Paartherapeut Benedikt Bock erklärt: Was steckt wirklich hinter „toxischer Männlichkeit“?
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Der Begriff „toxisch“ in Bezug auf Beziehungen und in Bezug auf Männlichkeit ist derzeit ein sehr beliebtes Schlagwort. Bei einer Google-Suche nach „toxische Beziehung“ bekam ich ungefähr 1.290.000 Ergebnisse, bei „toxische Männlichkeit“ die ebenfalls stolze Anzahl von 146.000.

Ich habe mich mit diesen Begriffen nicht gut anfreunden können. Denn Giftigkeit ist eine unabänderliche Eigenschaft: Pflanzen und Pilze sind giftig, Schwermetalle sind es. Benutzt man diesen Begriff zur Charakterisierung zwischenmenschlicher Beziehungen oder auch von Männlichkeit, suggeriert dies etwas fatalistisch unabänderbares, sodass ein konstruktiver Umgang mit einer Situation deutlich erschwert wird.

Hinzu kommt, dass der „toxische“ Teil einer Beziehung – oder bei „toxischer Männlichkeit“ ein ganzer Gesellschaftsteil – die Verantwortung für einen Missstand bekommt. In Beziehungen liegt die Verantwortung für die Kommunikation bei allen Beteiligten.

Was steckt hinter dem „toxischen“ Verhalten?

Mir erscheint es daher sinnvoller, zu differenzieren, wenn man in die jeweilige Partnerschaft guckt: Geht es zunächst einmal „schlicht“ um destruktives Kommunikationsverhalten, oder auch schon um Abwertung des Selbst der Partnerin? Kommunizieren beide destruktiv und abwertend, oder tut nur er es?

Zeigt er allgemein gegenüber Frauen eine abwertende Grundeinstellung? Wenn ich mich hier auf das Schlagwort „toxisch“ einlasse, so unter den oben genannten Vorbehalten. Als „toxisch“ würde ich demnach ein dauerhaft aggressiv abwertendes Kommunikationsverhalten bezeichnen, das den Selbstwert der Partnerin bedeutend und dauerhaft beschädigt, gepaart mit einer dahinter stehenden Haltung, als Mann Frauen grundsätzlich überlegen zu sein und diese Überlegenheit immer wieder demonstrieren zu dürfen, ja, zu müssen.

Nun kann man sich nach diesen Vorüberlegungen eines gut vorstellen: Männer, die dieses „toxische“ Verhalten an den Tag legen, bekommt man äußerst selten im Therapiezimmer zu sehen. Denn in ihren Augen sind nicht sie in der Partnerschaft das Problem, sondern natürlich ihre Partnerinnen, wenn diese sich der Unterordnung entziehen. Betroffene Frauen kommen erst dann zu mir, wenn sie sich mit ernsthaften Trennungsgedanken tragen.

Die Geschichte von Robert

„Selten“ heißt aber nicht „nie“. Und so kam doch einmal Robert (Name geändert) zu mir.

Robert schrieb mich an, weil seine Hochzeit zu platzen drohte. Seine Verlobte hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie nicht mehr bereit sei, sich weiter von ihm erniedrigen zu lassen und wollte sich von ihm trennen. In einer langen Mail schrieb er, dass er einsehen würde, blind und taub gewesen sei, und dass er hoffe, ihr in einer Paartherapie beweisen zu können, dass es für beide das Richtige sei, den Bund des Lebens einzugehen.

Zur ersten Sitzung kam er allein, denn sie sträubte sich im letzten Moment. Nun hatte er schon einen genauen Plan, wie er und ich sie in einer nächsten Sitzung davon überzeugen könnten. Er schrieb mir also die Rolle eines ausführenden Gehilfen zu.

Was steckt nun hinter dieser Haltung und seinem Verhalten, das als „toxisch“ bezeichnet wird? Ist er einfach ein „giftiger“ Mann, vergiftet von patriarchalen Männlichkeitsvorstellungen? Ein Erklärungsansatz liegt wie so oft in meiner eigenen Reaktion auf ihn, in der sogenannten Gegenübertragung: Ich fühlte mich selbst von ihm degradiert und fühlte den Impuls, ihm zu zeigen, wer denn jetzt der – und zwar der männliche – Therapeut wäre.

Eine schwierige Kunst

Es ging um seinen unsicheren Selbstwert als Mann, der aus seiner Familienkonstellation, in der er aufgewachsen ist, hervorging, wie ich in späteren Sitzungen erfahren habe. Meinem ersten Impuls zu folgen, hätte ihn in diesem Muster belassen. Die Not anzuerkennen, die hinter dieser Fassade steckt, ohne damit der „überlegene“ Mann zu werden, ist in diesen Fällen eine schwierige Kunst, um Zugang zu bekommen.

Seine Verlobte hat ihn verlassen und er beendete nach wenigen Sitzungen die Arbeit mit mir. In Ansätzen konnten wir sein inneres Drama beleuchten, aber da der Hauptanlass für ihn obsolet geworden war, gab er sich mit einigen wenigen Erkenntnissen zufrieden. Zu unwohl fühlte er sich als Hilfesuchender.

Man ist vielleicht geneigt, in einem Fall wie diesem eine gewisse Genugtuung zu fühlen, dass die Frau sich lösen kann und der Mann nicht „durchkommt“. Die Frau ist wirklich zu beglückwünschen, zu bleiben wäre in diesem Fall keine gute Option. Übersehen in dieser Genugtuung wird dabei aber das Leid, das der Mann sich selbst zufügt und die psychische Not, die ihn dazu bringt und die er sich nicht eingestehen kann. Unsichere, vielfältige und sich widersprechende Anforderungen an Männer in heutiger Zeit tun ihr Übriges. Mitgefühl damit zu haben, bedeutet dabei nicht, abwertendes Verhalten in der Partnerschaft zu rechtfertigen.

Benedikt Bock (55) ist Diplom-Psychologe und Systemischer Therapeut mit Anerkennung durch die Systemische Gesellschaft (SG). Er arbeitet in seiner eigenen Praxis in Dortmund. Seit über 20 Jahren unterstützt er Paare und Einzelpersonen bei Problemen, die sich rund um die Themen Liebe und Beziehungen drehen. Dabei hat er entdeckt, dass Männer manchmal dankbar für einen eigenen geschützten Raum zum Reden sind. Näheres unter www.benedikt-bock.de.

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