Warum hörbehinderte Menschen besonders unter der Maskenpflicht leiden

© Robin Albers

Warum hörbehinderte Menschen besonders unter der Maskenpflicht leiden

rnSchwerhörige und Gehörlose

Die Hälfte unserer Gesichter ist mit Masken verdeckt. Wichtig zur Eindämmung des Coronavirus. Aber ein Problem für Menschen, die zur Verständigung auf Mimik und Lippenbewegungen angewiesen sind.

Dortmund

, 30.08.2020, 16:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Vor 13 Jahren war für Petra Uhlich alles still. Die heute 61-Jährige verlor im Jahr 2007 ihr Gehör. Ein furchtbarer Moment, wie sich Uhlich im Gespräch mit unserer Redaktion zurückerinnert.

Mittlerweile hat sie gelernt mit ihrer Hörbehinderung zu leben. Ein Cochlea-Implantat (eine Hörprothese) unterstützt sie dabei. Seit 2009 arbeitet die Sozialarbeiterin im Verein „Zentrum für Gehörlosenkultur“ und hilft selbst Menschen mit Hörbehinderungen.

Halbes Gesicht, gedämpfte Kommunikation

Aber selbst mit Implantat ist Uhlich darauf angewiesen, die Mundpartie ihres Gegenübers zu sehen, um richtig zu verstehen, was gesagt wird. Das wird natürlich erschwert, wenn ihr Gegenüber einen Mundschutz trägt. Denn das Implantat ist kein neues Ohr, sondern unterstützt nur.

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Das zeigt sich auch im Gespräch mit unserem Reporter. Die Maske nimmt Lautstärke aus der Stimme und dämpft die Töne von Konsonanten, erklärt Petra Uhlich. Selbst Menschen mit gesundem Gehör haben ja mit Maske schon Schwierigkeiten, sich gegenseitig zu verstehen. Laut Uhlich reichen hörbehinderte Menschen „schon ein paar Dezibel aus, um die Kommunikation zu erschweren“. Kommen dann noch Umgebungsgeräusche dazu, wird das nochmal schwieriger.

Hörbehinderte Menschen sehen bis zu 30 Prozent des Gesprochenen von den Lippen ab. Trotz Hörhilfe werden laut Uhlich in einem Satz mit beispielsweise sieben Wörtern nur drei von ihnen wirklich gehört. Das Gesprochene ihres Gegenüber wird dann im Kopf zusammengesetzt. Problematisch, wenn die Masken die Hälfte des Gesichtes verdecken.

Maskenpflicht erschwert Alltag

Uhlich sieht deshalb bei den Masken ein Problem. Nicht generell, ihr ist bewusst, dass sie für die Eindämmung des Coronavirus wichtig sind, sondern bei den hörbehinderten Menschen. „Wenn die Sinne beeinträchtigt sind, ist das schon schwer genug“, so Uhlich.

Petra Uhlich (61) ist selbst hörbehindert und hilft als Sozialarbeiterin Betroffenen.

Petra Uhlich (61) ist selbst hörbehindert und hilft als Sozialarbeiterin Betroffenen. © Robin Albers

Wegen der Masken wird die Orientierung im Alltag erschwert, ein Einkauf im Supermarkt zur Herausforderung, wenn die Kassiererin etwas fragt. Das führe zu verstärkten Unsicherheiten bei Menschen mit Hörbehinderungen.

Ein weiterer Aspekt, der vielen Menschen mit gesundem Gehör vielleicht nicht bewusst ist: Hörbehindert sein ist auch körperlich anstrengend. Sozialarbeiterin Uhlich erklärt, dass ein ganzer Tag Hören mit normal funktionierendem Gehör ungefähr fünf Prozent der Energie verbrauche, ein geschädigtes Gehör verbrauche schon die Hälfte.

Gehörlos, schwerhörig und nicht taubstumm

Übrigens ist nicht jeder hörbehinderte Mensch gleich eingeschränkt. So gibt es Fälle, in denen „plötzlich“ nicht mehr gehört werden kann – wie im Fall von Petra Uhlich. Das kann unterschiedlichse Ursachen haben, Unfälle oder Erkrankungen zum Beispiel. Hier gibt es verschiedene Schweregrade der Schwerhörigkeit bis zur Taubheit. Spätertaubt wird das genannt.

Dann gibt es noch die Gehörlosigkeit. Auch hier gibt es verschiedene Ursachen wie Komplikationen bei der Geburt, Vererbung oder Erkrankungen. Hier wird unterschieden zwischen Menschen, die vor der Ertaubung sprechen gelernt haben bzw. „lautsprachlich“ aufgewachsen sind und Menschen, die vorher ihr Gehör verloren haben.

Der verallgemeinernde Begriff „taubstumm“ ist übrigens unter Menschen mit Hörbehinderungen nicht gern gesehen. Denn nicht jeder Gehörlose ist auch stumm – Petra Uhlich kann zum Beispiel ganz normal sprechen.

Nicht jede Idee ist hilfreich

Es gibt ein paar Lösungsansätze, die den Menschen helfen sollen. Masken mit einem Sichtfenster zum Beispiel. Aber auch bei ihnen bleibt die Sprache undeutlich. Außerdem beschlagen sie schnell, genauso wie die Plastik-Visiere, die man immer häufiger sehen kann. Die Lippenbewegungen sind dann auch nicht mehr zu sehen.

Visiere und Masken mit Sichtfenstern helfen hörbehinderten Menschen nicht.

Visiere und Masken mit Sichtfenstern helfen hörbehinderten Menschen nicht. © Robin Albers

Ähnlich ist bei den großen Plastik-Spuckschutz-Schilden, wie sie in vielen Geschäften, aber auch in dem Büro von Sozialarbeiterin Uhlich stehen. Die Sonne steht an dem Tag als sie mit unserem Reporter spricht so ungünstig, dass sie nur ihre eigene Reflexion erkennen kann und nicht den Mund ihres Gegenübers. In dem Fall war ein Gespräch nur möglich, als beide mit ausreichend Abstand von dem Spuckschutz wegrücken.

Was man mit gesundem Gehör tun kann

Was am meisten hilft, so Uhlich, ist es sich bewusst zu machen, dass ein Mundschutz die Kommunikation für viele Mitmenschen erschwert. Darüber hinaus solle man geduldig sein, wenn Nachfragen von einem Schwerhörigen kommen. Bei der Aussprache sollte man darauf achten, laut und deutlich zu sprechen und kurze Sätze zu verwenden. Schreien sollte man aber auch nicht, dann wird es undeutlich. Der Mundschutz kann dann auch schnell überflüssig werden: Umso lauter man spricht, desto mehr Tröpfchen werden ausgestoßen.

In der Corona-Schutzverordnung von Nordrhein-Westfalen wird auf die Bedürfnisse ebenfalls eingegangen. Ein Mundschutz kann „zur Kommunikation mit einem gehörlosen oder schwerhörigen Menschen“ abgenommen werden, heißt es dort.

Übrigens ist der Weg, alles mit Gebärdensprache zu versehen, kein Allheilmittel. Nicht jeder Gehörlose kann auch gleich die Gebärdensprache. Die wird oft von den Gehörlosen benutzt, die nicht lautsprachlich aufgewachsen sind. Die meisten Schwerhörigen können sie nicht – Geduld und Verständnis sind eine bessere Hilfe.

  • Das Zentrum für Gehörlosenkultur e. V. sitzt im Uniongewerbehof an der Huckarder Straße 2-8 in Dortmund. Dort gibt es Angebote für Menschen mit Hörbeeinträchtigung, unter anderem betreutes Wohnen, Suchtberatung oder Hilfen zur Erziehung. Mehr Infos gibt es auf der Webseite der Einrichtung.
  • Sozialarbeiterin Petra Uhlich berät dort schwerhörige und spätertaubte Menschen im Umgang mit der Hörbehinderung.
  • Offene Sprechzeiten gibt es aufgrund der Corona-Pandemie nicht, Termine sind nur nach vorheriger Absprache möglich. Uhlich ist erreichbar unter Tel. 0231 91 30 02 40.