Großwohnsiedlungen hatten noch bis vor gut zehn Jahren einen ziemlich schlechten Ruf. Das hat sich geändert. Die Wohnform ist in Dortmund beliebt wie nie. Doch einige Probleme bleiben.
Dortmund hat viele Gesichter, dieses ist eines der markantesten: An vielen Orten im Stadtgebiet gibt es Großwohnsiedlungen mit mehreren Hundert Wohnungen in gleichförmiger Bauweise. Insgesamt gibt es rund 10.000 Wohnungen in solchen Siedlungen. Bis zu 40.000 Dortmunder leben hier.
Die größte Siedlung dieser Art ist Scharnhorst-Ost mit 5050 Wohneinheiten. Es folgen das Meylantviertel in Wickede (1410), Lanstrop (1160), Clarenberg in Hörde (930), Westerfilde (780) und Echeloh in Kley (750). Weitere große Komplexe gibt es außerdem in Wambel, Wickede, Löttringhausen, Bodelschwingh und Benninghofen.
Es geht nur um einen Bruchteil der 320.000 Wohnungen in Dortmund insgesamt. Aber Thomas Böhm, Leiter des Wohnungsamts, sagt: „Die Siedlungen prägen das Leben im gesamten Ortsteil.“
So denken die Bewohner von Großwohnsiedlungen über ihr Umfeld
Wer mit der U-Bahn zur Haltestelle „Scharnhorst Zentrum“ fährt, der sieht, was dieser Satz bedeutet. Links und rechts der Bahnbrücke liegt Scharnhorst-Ost. Die Großwohnsiedlung ist nur ein Ausschnitt dieses großen Stadtteils. Aber eben der Teil, der das Bild vieler Dortmunder von Scharnhorst prägt.
Hochhäuser ragen zwischen kastenförmigen, etwas niedrigeren Mehrgeschosswohnungen hervor. Das hier ist Wohnen nach Muster, erdacht Mitte der 1960er-Jahre, als die Wohnungsnot riesig war. In dieser Zeit ist Heinz Pasterny mit seiner Familie hier in eine 4,5 Zimmer-Wohnung gezogen.
„Aus der ganzen Stadt kamen damals Familien mit mehreren Kindern hierher, denn die Wohnungen wurden hier extra für sie gebaut“, sagt Pasterny. Heute ist er für die SPD Bezirksbürgermeister. Und lebt immer noch in Scharnhorst-Ost.

© Felix Guth
„Ich hatte nie das Bedürfnis, hier wegzuziehen. Die Wege sind kurz, man hat eine zentrale Lage mit Hallenbad, Bibliothek, Schulen, Kirchengemeinden, Sparkasse und der Bezirksverwaltung. Und mit der U-Bahn ist man in einer Viertelstunde an der Reinoldikirche“, sagt Heinz Pasterny. Zudem gebe es mit dem Naturschutzgebiet Alte Körne eine üppige Grünfläche in kurzer Entfernung.
Wohnungsamtsleiter Thomas Böhm nennt weitere Argumente von Mietern für das Wohnen in solchen Siedlungen: „Die Wohnungen haben zeitgemäße Grundrisse, sind vielfach gerade erst modernisiert worden. Es gibt eine große Auswahl an Wohnungen, zwischen 45 und 120 Quadratmetern. Die meisten Standorte sind gut angebunden, selbst in Außenlagen“, sagt Thomas Böhm. „Fast überall gibt es eine Vollvermietung und Wartelisten.“
LEG hat die meisten Wohnungen in den großen Siedlungen
Mit rund 5000 Wohnungen, davon allein 3200 in Scharnhorst, ist die LEG größte Vermieterin. Weitere Akteure in Großwohnsiedlungen sind Vonovia, Dogewo 21, Spar- und Bauverein und Forte Capital.
LEG-Sprecher Mischa Lenz sagt: „Natürlich haben speziell Großquartiere gerade in der Öffentlichkeit eine besondere Strahlkraft und können im besten Fall zu Aushängeschildern für die LEG werden.“ Viele Mieter schätzten die überwiegend barrierefreien Wohnungen und Familienfreundlichkeit. Außerdem würden regelmäßige Nachbarschaftsaktivitäten als positiv bewertet.
Die gegenwärtige Situation von Großwohnsiedlungen wirkt so strahlend, weil dieses Wohnkonzept schon einmal ganz unten angekommen war. In den 60er-Jahren hatten die Siedlungen die Wohnungsnot gelindert. Doch sie gerieten in eine Abwärtsspirale.
Der Zustand der Wohnungen war nicht mehr zeitgemäß, die Klientel veränderte sich. Das zeigte sich in Gegenden wie Clarenberg oder Scharnhorst-Ost in Form von Konflikten und Kriminalität. Die Folge waren hohe Leerstände. Beispiel Lanstrop: Hier stand noch 2013 jede vierte der 1100 Wohnungen leer. Heute hat sich das umgekehrt, seit der Eigentümer Forte Capital wieder investiert.
Siedlungen waren in der Abwärtsspirale – mittlerweile geht es aufwärts
„Es gab Investoren, die sich nicht gekümmert haben. Dagegen sind wir vorgegangen. Wir haben alle an einen Tisch geholt und uns gefragt, warum die Menschen wegziehen“, sagt Thomas Böhm. 2007 wagte die Stadt Dortmund eine Zäsur und veränderte die städtische Wohnungspolitik. So wurde etwa eine Meldepflicht für Leerstände eingeführt.
In Scharnhorst gab es eine Initiative aller Vermieter und der Stadt, aus der die Idee eines Quartiersmanagements entstand. Das hat die Situation verbessert und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Bereits einige Jahre vorher gab es vergleichbare Aktivitäten für die Siedlung Clarenberg. Thomas Böhm sagt: „Wohnungseigentümer und -vermieter wissen wieder, dass man vor Ort präsent sein muss und nicht nur die Immobilie, sondern auch das Wohnumfeld sehen muss.“

Blick auf Hochhäuser am Hörder Clarenberg © Peter Bandermann
Bei aller Euphorie blieben handfeste Probleme. LEG-Sprecher Mischa Lenz schildert typische Themen wie „Sperrmülltourismus, Vandalismus und Anonymität der Bewohner untereinander“. Das Wohnungsunternehmen versuche dagegenzusteuern, etwa durch Mieterfeste, gemeinsame Kochkurse oder Sensibilisierung für den richtigen Umgang mit Müll. „Wir stabilisieren Quartiere unter anderem durch die Belegung mit Familien mit Kindern, da diese sich generell am stärksten mit ihren Wohnquartieren identifizieren und ihr Wohnumfeld pflegen“, sagt Mischa Lenz.
Die unausgewogene Sozialstruktur bleibt ein Problem
In vielen Quartieren ist die Sozialstruktur unausgewogen. Ein großer Anteil der Bewohner ist von staatlichen Leistungen abhängig, am Clarenberg etwa rund die Hälfte. „Deshalb ist der Aufschrei bei Modernisierungen auch häufig so groß“, sagt Thomas Böhm.
Es gibt auch Kritik am Konzept der Großwohnsiedlung. Eine ehemalige Bewohnerin eines Wohnkomplexes im Norden der Stadt berichtet von überzogenen Mietpreisen und massiven Mängeln, die nicht beseitigt worden seien. Wohnungsgesellschaften würden sich auf Kosten von Menschen bereichern, die sich aufgrund ihrer finanziellen Lage nicht wehren könnten, kritisiert die Frau. Es gibt mehrere solcher Einzelfälle. Dennoch bleibt die Gesamtentwicklung positiv.
Neue Trabantenstädte gegen die Wohnungsnot?
Können Großwohnsiedlungen ein Modell sein, um die gegenwärtige Wohnungsnot zu bekämpfen? Müssten einfach wieder mehr Trabantenstädte entstehen? Thomas Böhm sagt: „Platte auf der grünen Wiese ist nicht mehr angesagt.“ Es gebe in Dortmund ausreichend Flächen, um auf andere Weise Wohnungen neu zu bauen. Böhm nennt als Beispiele das Kronprinzenviertel oder ehemalige Industrieflächen.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
