Das Domicil steht seit 50 Jahren für ausgezeichnete Jazzkonzerte. © Oliver Schaper

Jazzclub wird 50

Warum das Domicil nach einem halben Jahrhundert immer noch wichtig ist

Ein halbes Jahrhundert, ein Zweidrittel Menschenleben alt, älter als die gesamte digitale Revolution. Der Musikclub Domicil wird 50. Doch auf der Party stellen sich Fragen nach der Zukunft.

Dortmund

, 13.01.2019 / Lesedauer: 6 min

„#domicil50“ lautet die Kurzformel für das Jahr 2019, das die Betreiber des Livemusikclubs Domicil nutzen möchten, „um diesen wichtigen urbanen Ort der zeitgenössischen Kunst zu sichern“. Schon seit Monaten stecken Mitglieder des Trägervereins und Angestellte in der Planung rund um den Geburtstag. Im März wird ein Buch erscheinen, eine Ausstellung und ein Fotokalender sind geplant. Es läuft die Feinabstimmung, wie das musikalische Jubiläumswochenende im Juni genau aussehen soll.

Die Aktiven feiern so groß, weil sie wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass es das Domicil noch gibt. Dass sich seit 50 Jahren große Namen der Jazzszene, von Chet Baker bis Robert Glasper und Kamasi Washington, Dortmund für ihre Deutschlandkonzerte aussuchen. Und das Domicil damit in NRW und deutschlandweit zu den wichtigsten Orten in diesem Musiksegment zählt.

Die Menschen hinter dem Live-Musik-Club haben sich über die Jahrzehnte vielen Veränderungen gestellt. Und sie kämpfen nach wie vor darum, wichtig zu bleiben.

Domicil für Einsteiger

Worüber reden wir hier überhaupt? Darüber: An der Hansastraße 7-11 steht eine weltweit bekannte Bühne für Jazz, Avantgarde und Weltmusik. Bis zu 500 Menschen passen in den Saal, in dem jedes Jahr über Hunderte Konzerte von internationalem Format stattfinden. Und da ist der Club, in dem große Musikmomente auf kleinem Raum möglich sind.

Es gibt regelmäßige Festivals, kleinere Clubkonzerte für alle Altersgruppen, verschiedene Session-Formate und pädagogische Arbeit. Wer sich in dieser Stadt, professionell oder nicht, mit Musik befasst, für den ist die Hansastraße 7-11 eine wichtige Adresse.

Wer hier herkommt, sucht meistens Musik abseits des Mainstreams. Aber er oder sie kommt auch wegen der gemütlichen Bar und verschiedener Partyformate.

Hinter dem Club steht ein Verein

Hinter dem Club steht der gemeinnützige Verein „domicil e.V.“. Den Betrieb vom Konzertgeschehen bis zur Gastronomie übernimmt seit 2004 die ebenfalls gemeinnützige domicil gGmbH. Waldo Riedl ist Geschäftsführer und Künstlerischer Leiter. Vorsitzender des Vereins ist Udo Wagener.

Die Mitglieder des Vereins leisten im Jahr zusammen mehrere tausend Stunden ehrenamtlichen Einsatz rund um die Konzerte, in der Öffentlichkeitsarbeit, der Künstlerbetreuung, Jugend- und Nachwuchsförderung und Instandhaltung der Spielstätte.

Die Vereinsgründung war 1969 eine juristische Notwendigkeit. Bis heute ist dieser urdemokratische Ansatz ein wichtiger Grund dafür, dass das Domicil schon so lange besteht.

Das sind die Ursprünge

Das Domicil ist von der Hansastraße nicht mehr wegzudenken. Dabei befindet es sich erst seit 14 der 50 Jahre im ehemaligen Kino-Saal auf der Meile zwischen U-Turm und Konzerthaus. Die Ursprünge liegen nördlich der Bahnlinie, an der Leopoldstraße.

Der Keller einer Kindertagesstätte ist seit dem 14. März 1969 das neue „Dorado für Jazzer und Jazzfreunde“, wie die Ruhr Nachrichten im Artikel zur Eröffnung schreiben. „In den neuen Clubräumen, die die ersten Mitglieder in wochenlanger Arbeit selbst herrichteten, erwartete die Besucher nicht nur heißer Jazz, sondern auch moderne Kunst“, schreiben die RN. Das deutet nur an, wie viel Mühe und Mut zum Aufbruch hinter der Gründung des Jazzclubs stecken.

Der Weg zum ersten Dortmunder Jazzclub

Jazz hat schon Ende der 60er-Jahre in Dortmund eine wechselhafte Geschichte hinter sich. In den 20er-Jahren tanzen und feiern die Dortmunder auf Bühnen wie Café Wien, Café Corso, Uhu, Fredenbaum, Postkutsche oder Wintergarten. Einige hören damit auch nicht auf, als die Nationalsozialisten Jazz zu „entarteter Musik“ erklären und das Feiern und Tanzen unter Strafe stellen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Jazz zum musikalischen Ausdruck der aufbrechenden Jugend und erlebt eine Blütezeit. In Dortmund prägen Musiker wie Rainer „Glen“ Buschmann, Wolf Escher, Rolf Düdder und andere diese Phase. Sie gehören zu den Gründungsmitgliedern des „Hot Club Dortmund“, der Zentrum der Jazz-Bewegung ist. Bis 1962 gibt es den „Hot Club“. Dessen Auflösung schlägt eine Lücke – die das Domicil füllt.

Am 15. Dezember 1968 sitzen zehn Männer an Tischen im Gasthaus „Stade“ am Alten Markt: der Sonderschullehrer Albert Schimanski und der journalistisch ambitionierte Werner Panke, die Musiker Rainer „Glen“ Buschmann und Wolf Escher, der Grafiker Bernd „Jimmy“ Horschler, Plattenhändler Kurt Nopens und Disk-Jockey Günter Link sowie der Schriftsteller Wolfgang Körner und die Beamten Horst Stölzig und Günter Boas.

Der selbstverwaltete Jazzclub ist die Dortmunder Variante der 68er-Revolution

Die Gesellschaft der Bundesrepublik steckt mitten in der 68er-Aufbruchstimmung. Und die Dortmunder Musikenthusiasten möchten auf ihre Art mitgestalten. Sie handeln, so notieren es die Chronisten in einem Kapitel des im März 2019 erscheinenden Buches „Domicil – Ein halbes Jahrhundert Forum Jazz & Creative Music“, „aus dem Bedürfnis nach einer selbstverwalteten Kulturarbeit und „aus der Überzeugung, dass es nur mit größtmöglicher Autonomie möglich ist, dauerhaft ein spannendes Programm machen zu können und zwar unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg der einzelnen Veranstaltung“.

Mit Unterstützung durch das Jugendamt der Stadt Dortmund startet der Betrieb an der Leopoldstraße. Das Jazz-Dorado darf erobert werden. Einmal wöchentlich, meistens an Freitagen oder Samstagen, kommt die Szene zusammen und genießt ihre Musik, von Traditional Jazz bis zu Hardbop und Free Jazz.

Der Konzertraum im alten Domicil. © Mark Wohlrab

Die Anfänge im Kellerclub an der Leopoldstraße

Eine steile Treppe führt in den Keller, im Eingangsbereich fällt eine bunte Plakatwand mit anderen Dortmunder Veranstaltungen ins Auge. Im Konzertraum stößt der Besucher auf eine Wand aus Schall und Rauch. Bei ausverkauften Konzerten mit bis zu 300 Besuchern hat jeder Gast hier weniger als einen Quadratmeter Platz. Eine niedrige Decke und ein hoher Raucheranteil gehen eine Allianz der Atemnot ein.

Es dauert nicht lange, bis sich der Kellerclub bei Künstlern einen guten Ruf erspielt. In den folgenden Jahrzehnten erweitert sich die Liste der Jazz-Legenden jährlich. Chet Baker, Philip Catherine, Albert Mangelsdorff, Django Edwards, Archie Shepp, Gilberto Gil … Stopp! Diese Liste zu beginnen, führt zu einem selbst im Internet kaum zu lösenden Platzproblem.

Eine Übersicht über einige der großen Namen auf der Domicil-Bühne gibt es in dieser Playlist.

Dieser Inhalt kann hier nicht dargestellt werden. Bitte besuchen Sie unsere Website um den vollständigen Artikel zu lesen.

Stattdessen lässt sich die Botschaft dahinter interpretieren. Egal, welche Art von Jazz oder welcher musikkultureller Hintergrund: In Dortmund fühlen sich Musiker willkommen und von den Menschen im Domicil-Umfeld gut behandelt.

„Mit dem Domicil als Spielstätte verbindet mich eine 44-jährige Geschichte. Ich fühlte mich hier stets willkommen, sowohl mit meinen eigenen Projekten als auch als Gast“, sagt Christoph Haberer, Schlagzeuger und Perkussionist (unter anderem Strinx, Drümmela Maa) im Buch zum Jubiläum.

Der Pianist Pablo Held sagt: „Ich empfinde das Domicil als wichtigen Teil meiner musikalischen Herkunft, einen Ort, an den ich immer gerne zurückkehre, egal ob als konzertierender Musiker oder als begeisterter Konzertbesucher.“

Saxofonist Archie Shepp trat 1977 zum ersten Mal im Jazz-Keller an der Leopoldstraße auf.

Mit dem Umzug an die Hansastraße beginnt 2005 ein neues Kapitel

In den 80er-Jahren verändern sich das Freizeitverhalten in der Gesellschaft und die Bedeutung des Genres Jazz. Zugleich befindet sich die Dortmunder Kulturlandschaft im Umbruch. Soziokulturelle Arbeit wird wichtiger und über das städtische Kulturbüro auch gefördert.

1998 wird das Domicil in den Kreis der freien Dortmunder Kulturzentren mit institutioneller Förderung aufgenommen. Den Titel „Jazzclub“ legen die Betreiber 2000 ab, denn er beschreibt nicht mehr die Breite, die das „Forum für zeitgenössischen Jazz, World Music und Avantgarde“ mittlerweile bietet.

Betreibern und Publikum wird klar: Die 250 Quadratmeter schlecht belüfteter Keller an der Leopoldstraße reichen nicht mehr aus.

Die Vereinsmitglieder stimmen mit großer Mehrheit für den Umzug. 2005 sind die neuen Räume fertig, wieder haben etliche Mitglieder tatkräftig mitgeholfen. Moderne und zeitgemäße Räume bieten die Chance auf neue Formate und erfüllen die gestiegenen Ansprüche von professionellen Musikern. Die Bar bietet neue Nightlife-Möglichkeiten.

Das Domicil bricht in die Zukunft auf. Weiterhin kommen die Größen der Szene gerne hierher. Gleichzeitig ist noch mehr Platz für viele unterschiedliche Abende, die häufig Musiker aus der Region gestalten.

Wie bleibt das Domicil wichtig?

So ein Jubiläum darf gefeiert werden, gerne auch ganz groß. Aber es ist auch Anlass für Fragen. Welche Bedeutung hat das Domicil für Dortmund? Welche Bedeutung wird es in Zukunft haben? Und: Wissen die Menschen in der Stadt eigentlich, was sie an diesem Kulturort haben?

Das Publikum ist mit dem Domicil älter geworden. In den Anfangsjahren es ein Ort der Jugendkultur, heute gibt es eine Spanne vom Teenager bis zu Besuchern, die auf die 90 zugehen. Das Durchschnittsalter ist je nach Veranstaltung unterschiedlich, aber generell höher als in den ersten 25 Jahren.

„Das Stammpublikum von früher, das mit einem Vertrauensvorschuss blind zu den Konzerten kam, gibt es heute nicht mehr“, sagt der Künstlerische Leiter Waldo Riedl. Sucht man in sozialen Netzwerken wie Facebook nach originären Jazz-Fans in der Umgebung Dortmunds, kommt man mit Mühe auf eine vierstellige Zahl an Personen.

Deshalb braucht es Dinge wie Kinderkonzerte und Schülerkonzerte, braucht es die wechselnden Session-Formate, die Domicil-Karte für Studenten und Jugendliche oder den interkulturellen Ansatz, um überhaupt eine Chance auf dem Aufmerksamkeitsmarkt zu haben.

Das Domicil muss neue Publikumsschichten erschließen

Waldo Riedl nennt den Begriff „Audience Development“, also den Aufbau neuer Publikumsschichten, der mittlerweile für jeden Veranstalter wichtig ist.

Vieles hat auch mit Dortmund zu tun. Das hiesige Publikum, das berichten auch andere Veranstalter, scheut oft das, was es nicht kennt. Damit leben die Planer im Domicil seit Jahrzehnten. Ohne Einnahmen durch Fremdveranstaltungen und ohne städtische Subventionen wäre das Konzertprogramm in dieser Form nicht möglich.

Die Künstlerischen Leiter der vergangenen Jahrzehnte haben darauf immer wieder mit kleinen Veränderungen an inhaltlichen Konzepten geantwortet. Und nie aufgegeben, nach neuer Musik zu suchen, die gerade aufregend ist.

Das macht das Domicil auch nach einem halben Jahrhundert immer noch zu einem wichtigen Ort in Dortmund.

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