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Warnstreik bei Ikea in Dortmund - auch andere große Ketten betroffen
Tarifkonflikt im Einzelhandel
Warnstreik im Einzelhandel: Dortmunder Beschäftigte von Ikea und anderen Handelsketten haben am Donnerstag ihre Arbeit niedergelegt. Bei einer Protest-Aktion gab es überraschenden Gegenwind.
Die Gewerkschaft Verdi hat ihre Warnstreiks im NRW-Einzelhandel fortgesetzt. Sie rief die Beschäftigten von 17 Betrieben in Westfalen am Donnerstag (20.5.) auf, ihre Arbeit ganztägig niederzulegen.
Zu den betroffenen Betrieben gehörten die Oespeler Ikea-Filiale, der Real-Markt in Oespel sowie fünf Kaufland-Häuser. Wie viele Beschäftigte sich insgesamt beteiligt haben, blieb zunächst unklar. „Geschlossen werden muss wohl kein Haus“, schätzte Verdi-Sekretär Reiner Kajewski am Mittag die Lage ein.
Frischetheken und Backshop blieben zu
Nach ersten Meldungen am Vormittag sollen bei Ikea rund 40 Beschäftigte in den Warnstreik getreten sein, im Kaufland in Hombruch rund 30. Im Kaufland in Körne blieben die Frischetheken und der Backshop morgens unbesetzt.
Hintergrund der Aktion: Verdi und der Handelsverband stehen in Tarifverhandlungen. Die Gewerkschaft fordert bei einer zwölfmonatigen Laufzeit 4,5 Prozent mehr Lohn plus 45 Euro. Zudem drängt Verdi auf eine Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel. „Die Arbeitgeber haben in der ersten Runde gar kein Angebot vorgelegt“, sagt Kajewski.
"Viele müssen sich mit Nebenjobs über Wasser halten"
„Ich denke, wir haben mehr verdient“, findet Claudia Dieckhoff (57), Betriebsratsvorsitzende von Kaufland in Hombruch. Gemeinsam mit Verdi-Vertretern und weiteren Betriebsräten hat sie sich morgens vor dem H&M-Geschäft am Westenhellweg postiert, um mit Transparenten auf die Forderungen aufmerksam zu machen.
Einen Streik bei H&M gab es aber nicht: Mit Rücksicht auf die Pandemie und Kurzarbeit hatte Verdi auf einen großflächigen Aufruf verzichtet.
Der könnte, abhängig vom Verlauf der Verhandlungen, durchaus noch folgen. „Im Lockdown 2020 waren wir die Helden und systemrelevant, da wurden wir beklatscht“, erinnert sich Betriebsrätin Dieckhoff. Aber „Applaus zahlt keine Miete, und Klatschen macht nicht satt“, wie auf den Schildern der kleinen Versammlung stand. Warengutscheine hätten die Mitarbeiter bekommen, erzählt Dieckhoff.

Was ist vom Applaus 2020 an Anerkennung und Wertschätzung noch übriggeblieben?, fragt Verdi-Sekretär Reiner Kajewski. © Schaper
„Viele müssen sich mit Nebenjobs über Wasser halten“, schildert die Betriebsrätin. Die Arbeit habe immer mehr zugenommen, „aber Wertschätzung für die Beschäftigten ist ein Fremdwort“. Sie selbst arbeite 30 Stunden pro Woche und gehe mit rund 1200 Euro netto nach Hause.
Was sie alle besonders ärgert: Wenn von der coronabedingt schlechten Lage im Einzelhandel gesprochen werde, werde immer auf die Umsatzausfälle im Textilbereich abgehoben. „Dabei gibt es Branchen, die in der Krise gut verdient haben“, sagt Verdi-Sekretär Kajewski. Etwa die Möbelbranche, die Unterhaltungselektronik, Drogerien und eben der Lebensmittelbereich.
Tarifbindung im Einzelhandel nur noch bei 30 Prozent
„Beim nächsten Streikaufruf sind wir auch dabei“, kündigt Saskia Schmakies (45) an, Betriebsrätin der H&M-Filiale in der Thier-Galerie. Auch sie hatte sich vor dem Hauptgeschäft am Westenhellweg postiert.
Und musste verdutzt mitansehen, wie ihre Kolleginnen aus dem Geschäft die kleine Gruppe sichtlich verärgert aufforderten, sich weiter vom Eingang zu entfernen. „Der Westenhellweg gehört aber nicht Ihnen“, gab ihr jemand aus der Gruppe Bescheid.

Auf dem Westenhellweg gab es eine Protest-Aktion - über die sich Mitarbeitende aus der nahen H&M-Filiale beschwerten. © Oliver Schaper
Rund 1800 Euro habe sie monatlich auf dem Konto, erzählt Betriebsrätin Schmakies, nach 30 Jahren Arbeit im Handel. „Damit kommt man nicht weit.“ Sie sei alleinstehend, müsse sich das Geld genau einteilen. „Wenn die Waschmaschine kaputt geht, wird’s schon schwierig“, sagt sie. Obendrein müsse sie von ihrem Lohn etwas für die Rente beiseite legen.
Das Problem für Verdi: Wie in anderen Bereichen ist die Tarifbindung im Einzelhandel seit Jahren rückläufig. Nach Schätzung von Kajewski sind noch rund 30 Prozent der Einzelhandels-Beschäftigten in einem Unternehmen tätig, das Tariflohn zahlt. Nach Angaben des Handelsverbandes Westfalen beschäftigt der Einzelhandel in Dortmund insgesamt rund 18.000 Menschen.
„Als Kunde hat man so viel gar nicht mitbekommen“
Rund 180 arbeiten im Real-Markt in Oespel, in dem ebenfalls gestreikt wurde. Nach erster Schätzung von Holger Honings, dem Betriebsratsvorsitzenden, hatten sich bis mittags rund 30 Beschäftigte dem Streik angeschlossen. „Die Mitarbeiter sind zuhause geblieben“, schildert Honings.

Warengutscheine statt höheren Lohn: Kaufland-Betriebsrätin Claudia Dieckhoff. © Schaper
Auch er hatte sich morgens vor H&M am Westenhellweg postiert. Notiz von der Gruppe nahmen allerdings nur wenige Passanten, die meisten eilten wortlos vorbei.
Friedhelm Kaiser (81) beobachtet die Szenerie von der gegenüberliegenden Seite. Er könne gut verstehen, dass die Menschen mehr Geld im Portemonnaie haben wollen, sagt der Herdecker. Er habe aber Bedenken, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Streik sei. Kaiser überlegt kurz: „Auf der anderen Seite: Als Kunde hat man von dem Streik ja so viel gar nicht mitbekommen."
Jahrgang 1961, Dortmunder. Nach dem Jura-Studium an der Bochumer Ruhr-Uni fliegender Wechsel in den Journalismus. Berichtet seit mehr als 20 Jahren über das Geschehen in Dortmunds Politik, Verwaltung und Kommunalwirtschaft.