Es waren kräftezehrende Wintermonate für die Ärztinnen und Pfleger der Dortmunder Kinder- und Jugendklinik. Teils hatte sich vor der Notaufnahme eine Schlange von Eltern mit ihren kranken Kindern gebildet. Die Beschäftigten der Klinik hatten deshalb fast sehnsüchtig in Richtung der wärmeren Monate geblickt, in denen die Zahl der Atemwegserkrankungen in der Regel nachlässt.
Weit gefehlt: Einen „ungewöhnlich unruhigen Sommer“ erlebe man aktuell, sagt Klinikdirektor Prof. Dr. Dominik Schneider. „Wir sind auf den Stationen relativ voll.“ Auch spätabends und nachts seien die Ambulanzen noch voll. Selbst um 1 Uhr hätten zuletzt noch fünf oder sechs besorgte Eltern mit ihren Kindern im Wartezimmer gesessen.
Es seien viele Infektionen dabei, die eigentlich verstärkt im Winter auftreten, die aber auch in diesem Sommer stärker bei Kindern und Jugendlichen zu Erkrankungen führen würden. „Das ist ungewöhnlich“, wiederholt Schneider noch einmal.
Viele Betten belegt
Dabei könne man jedoch keinen bestimmten Erreger hervorheben. Es sei eine „bunte Mischung“, sagt der Klinikdirektor. Es gebe keine Welle einer bestimmten Viruserkrankung, wie sie noch im Herbst mit dem RS-Virus auftrat.
Vor einigen Monaten habe es außerdem viele Fälle von schweren Lungen- und Nasennebenhöhlenentzündungen gegeben. „Die Hütte ist voll“, hatte Schneider damals mit Blick auf die Kinderklinik gesagt.
Auch jetzt sei die Suche nach freien Betten innerhalb der Kinder- und Jugendklinik nicht leicht. Aber in umliegenden Krankenhäusern finde man derzeit immer einen Platz, sagt Dominik Schneider. Auch das war im Herbst und Winter noch anders.
Deutschlandweit hatten die Kinderkliniken wegen vieler Atemwegserkrankungen an der Kapazitätsgrenze gearbeitet.

Auch wenn die aktuelle Lage nicht flächendeckend in Deutschland bestehe, so sei es keine nur Dortmund betreffende Situation, sagt Schneider. Von Kollegen aus anderen Teilen Deutschlands höre er ähnliche Berichte.
Corona als Ursache zu kurz gedacht
„Eine gute Erklärung dafür, dass es in diesem Sommer so ist, habe ich nicht“, sagt der Dortmunder Klinikdirektor. Vor fünf Jahren habe es zuletzt einen ähnlichen Sommer gegeben. Mit Nachholinfektionen wegen Corona habe es in diesem Jahr seiner Auffassung eher nichts zu tun, sagt Schneider.
Zwar habe es die Rhythmik der Krankheitswellen etwas durcheinander gebracht und es sei möglich, dass man noch Auswirkungen spüren werde. „Es mit Corona zu erklären, wäre aber zu kurz gedacht und zudem hochspekulativ“, meint Dominik Schneider.
Marco Guse, einer der Sprecher der Dortmunder Kinderärzte, vermutet, dass die volle Kinderklinik kein rein-medizinisches Problem ist. Er kann aus den Erfahrungen in seiner Praxis einen „ungewöhnlich unruhigen Sommer“ nicht bestätigen.
Auch seine Kolleginnen und Kollegen hätten bei einem Treffen kürzlich nichts dergleichen berichtet. „Es ist die typische Sommerflaute“, sagt Guse. „Wir haben vor allem mit Sommergrippen zu tun, die mit Fieber einhergehen. Atemwegserkrankungen sind gerade kein großes Thema“, sagt der Kinderarzt.

„Kinderarztpraxis 2.0“
„Es ist so, wie wir es üblicherweise auch in den Sommermonaten haben.“ Der Kinderarzt sieht das Problem, „dass die Notaufnahme in der Kinderklinik keine Notaufnahme mehr ist, sondern eine Kinderarztpraxis 2.0“. In den Köpfen habe sich leider eingebürgert, dass die Notaufnahme Anlaufstelle für alle medizinischen Fragen außerhalb der Arbeitszeit der niedergelassenen Kinderärzte sei.
Hinzu käme eine gewisse Übervorsicht: „Man muss die Sorgen der Eltern sicherlich ernst nehmen, aber in den meisten Fällen lässt sich Fieber problemlos zu Hause behandeln. Das würde die Kinderklinik entlasten“, ist sich Guse sicher. „80 Prozent müssten nicht in der Notaufnahme vorstellig werden, aber in der Klinik schicken sie natürlich auch niemanden einfach nach Hause.“
Klinikdirektor Dominik Schneider ist zuversichtlich, dass sich die Situation in den Sommerferien entspannen wird. Seine Mitarbeiter hätten es sich verdient: „Das Team aus Pflegerinnen, Pflegern, Ärztinnen und Ärzten hat zuletzt unglaublich viel geleistet.“
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