Vitalii (43) hat sich mit Youtube das Schießen beigebracht Als Freiwilliger schützt er sein Land

Vitalii (43) hat sich mit Youtube das Schießen beigebracht
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Vitalii (43) schießt auf Putin. Vier Schüsse, drei Treffer. Einen in die rechte Stirnhälfte, einen in die rechte Wange, einen oben links am Kopf. Das heißt, er würde gern auf ihn schießen. Doch er muss mit der Zielscheibe vorliebnehmen. Er zeigt stolz das Foto mit den Treffern.

Vitalii ist ein kräftiger untersetzter Mann mit raspelkurzem, etwas schon schütterem Haar. Seit Russland am 24. Februar den Angriff auf die Ukraine gestartet hat, hat sich Vitaliis Leben verändert – privat und beruflich. Der zuständige Mann für Organisation bei der Stadtverwaltung Schytomyr war zwar schon immer ein Trouble-Shooter, der Ansprechpartner für Schytomyrs Bürger mit Problemen, doch jetzt muss er sich auch um die Binnenflüchtlinge – 140 Familien – kümmern.

Freiwillig gemeldet

Außerdem hat er sich freiwillig zum Dienst bei der Territorialverteidigung gemeldet, die vor allem in den ersten drei Kriegsmonaten Tag und Nacht im Einsatz war – und es bei Bedarf innerhalb von einer Stunde wieder ist. Vitalii ist fest davon überzeugt, dass ein Angriff aus dem 150 Kilometer entfernten Belarus kommen wird.

Die Zielscheibe mit Putins Konterfei, auf das Vitalii geschossen hat.
Die Zielscheibe mit Putins Konterfei, auf das Vitalii geschossen hat. © Vitalii

Die Territorialverteidigung der Ukraine ist eine Organisation der Ukrainischen Streitkräfte. In ihr kämpfen Reservisten sowie ukrainische und internationale Freiwillige Seite an Seite. Sie ist unabhängig vom ukrainischen Heer und untersteht als eigenständige Organisation direkt dem ukrainischen Generalstab.

Die Familie weggeschickt

Jeder Mann in der Stadtverwaltung und auch Frauen hätten sich zur Territorialverteidigung gemeldet, erzählt er. Sie haben nachts im Rathaus geschlafen, um es notfalls zu verteidigen, als die Russen nur 30 Kilometer von Schytomyr entfernt waren. „Sogar der Bürgermeister hat mit dem Gewehr im Arm im Gebäude geschlafen“, sagt Vitalii.

Vitalii (l.) mit seinen Mitkämpfern in der Territorialverteidigung. Das Bild ist uns so von Vitalii zur Verfügung gestellt worden. Unsere Autorin beschreibt es als authentisch.
Vitalii (l.) mit seinen Mitkämpfern in der Territorialverteidigung. Das Bild ist uns so von Vitalii zur Verfügung gestellt worden. Unsere Autorin beschreibt es als authentisch. © Privat

Doch für ihn sind die „wahren Helden, diejenigen, die an der Front kämpfen, ihrem Feind ins Auge sehen, ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren.“

Seine Frau und die zwei Kinder – 8 und 18 Jahre – hat Vitalii nach Polen geschickt. „Das war einfacher für mich.“ Er selbst hat im Rathaus und auch andernorts in der Stadt mit dem Gewehr nachts Wache geschoben. Sie haben eine Einheit aus mehreren Soldaten, ein Squad, gebildet.

Das Gewehr habe er von der Armee bekommen. Davon konnte er aber noch nicht schießen. Wie hat er das gelernt? „Mithilfe eines Youtube-Videos“, sagt er. „Ich wollte schießen.“ Vor allem, als Schytomyr im März und im Oktober 2022 Ziel von Raketenbeschuss und Drohnenangriffen war.

Wenn es meine Rakete ist . . .

Angst habe und hatte er nicht, sagt der studierte Sozialarbeiter: „Ich war stolz. Ich habe etwas Gutes getan.“ Auch der Blick auf den Militärfriedhof in der Stadt, wo alle ein bis zwei Tage ein Soldat zu Grabe getragen wird, kann ihn nicht schrecken. „Wenn es meine Rakete ist, dann ist es meine Rakete. Ich bleibe.“ Er habe das Gewehr unter den Arm genommen, um seine Familie und sein Land zu schützen.

Eigentlich ist Vitalii auch Mediator. „Ich bin dazu da, Probleme zu lösen. Doch um Frieden zu bekommen, braucht es manchmal Gewalt“, sagt er. Er glaubt nicht, dass er gegen Putin kämpft, sondern gegen das ganze russische Volk. Seine Frau hat entfernte Verwandte in Russland, doch sie haben den Kontakt völlig abgebrochen. Auch Russisch will Vitalii kein Wort mehr sprechen.

Auf einen Russen in Fleisch und Blut schießen musste er noch nicht. Würde er aber gern nach den Gräueltaten in Butcha und anderswo. So bleibt ihm nur die Zielscheibe mit dem Putin-Konterfei. Und man möchte ihm bei all seinem Kampfgeist wünschen, dass das so bleibt.

Weitere Erlebnisse unserer Reporterinnen in der Ukraine sowie viele Infos finden Sie im Liveblog.

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