
© Leonie Sauerland
Viele Infektionen, wenige Tote: Die Corona-Lage in Dortmund in 5 Grafiken
Analyse
Die Corona-Fallzahlen schnellen in die Höhe. Lange wurden keine Todesfälle in Dortmund gemeldet, dann drei in zwei Tagen. Eine Analyse der Dortmunder Corona-Lage in Grafiken.
Was im Frühjahr 2020 wie die große „erste Welle“ der Corona-Pandemie in Dortmund aussah, ist vom Oktober aus betrachtet nur noch ein kleines Plätschern: Die damaligen Höchstwerte sind weit übertroffen.
Über den Sommer hatten die Dortmunder das Coronavirus stadtintern fast ausgemerzt, so schien es: Die Zahl der Neuinfektionen war zwischenzeitlich so niedrig, dass Ende Mai nur noch neun Menschen in der Stadt als gleichzeitig infiziert galten. Doch dann stiegen die Fallzahlen zunächst langsam, inzwischen aber sehr schnell wieder an. Auf aktuell rund 1500 geschätzte Infizierte.
Seit Anfang Oktober geht die Kurve der wichtigen 7-Tage-Inzidenz steil in die Höhe. Der Warnwert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den jüngsten sieben Tagen war nur eine Zwischenmeldung. Kurz danach fiel erst die 50er-, dann die 100er-Inzidenz.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Ende September gewarnt, bundesweit könne es bis Weihnachten mehr als 19.000 Neuinfektionen pro Tag geben. Bei der Hochrechnung ging sie vom damaligen Reproduktionswert aus, also der Zahl, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Tatsächlich hat die Realität diese Berechnung bislang in negativer Sicht übertroffen.
Die Reproduktionszahl wird vom Robert-Koch-Institut nur für ganz Deutschland ermittelt. Weil sich nicht nur Dortmunder untereinander anstecken, ist eine lokale Berechnung nicht sinnvoll. Aber die lokalen Daten bieten ähnliche Hinweise.
In Dortmund gab es Mitte September gerade mal 43 bestätigte Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen. Seit dem 21. September - nur eine Woche später - waren es nie weniger als 100 neue Fälle in einer Woche. Ende Oktober liegt dieser Wert über 1000, die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnern bei rund 175.
Zu Beginn der Pandemie wurde immer vor dem sogenannten exponentiellen Wachstum gewarnt. Und genau das droht seit Mitte Oktober in Dortmund einzutreten: Zweimal hat sich der Inzidenzwert bislang etwa alle sieben Tage verdoppelt, die Kurve der Neuinfektionen steigt also immer schneller.
Zu den Gründen dafür können auch Experten nur spekulieren. Dr. Bernhard Schaaf, Direktor der Infektiologie am Klinikum Dortmund, geht davon aus, dass sich das Virus lange unerkannt ausgebreitet hatte. Nun treten vermehrt Symptome auf und die Infektionen werden relativ spät durch Tests nachgewiesen.
Laut Stadtsprecherin Anke Widow gibt es Ansteckungen weiterhin vor allem im privaten Raum, besondere Events seien praktisch nicht bekannt. Etwas mehr als 3 Prozent aller Tests sind positiv. Dieser Wert sei seit Monaten relativ konstant, sagt Widow.
Am Dienstag (28.10.) hat die Stadt Dortmund nach langer Zeit wieder einen Corona-Todesfall vermeldet - erst der zweite seit Ende August. Das dürfte daran liegen, dass die bekannten Infizierten im Schnitt jünger geworden sind. Ende April war rund die Hälfte aller positiv Getesteten zwischen 35 und 59 Jahren alt. Jetzt ist die Gruppe der 15- bis 34-Jährigen die am stärksten vertretene (39 Prozent).
„Das ist schon eine Infektionskrankheit der Jungen“, sagt Dr. Schaaf. Der Anteil der besonders gefährdeten Über-60-Jährigen sinkt, aber es müssen nicht nur alte Patienten ins Krankenhaus. Die Covid-Patienten im Klinikum sind laut Schaaf im Schnitt etwa 50 Jahre alt. Am Montag (26.10.) war der jüngste 28 und der älteste 84.
„Wenn man 40 ist, ist die Chance, dass man an der Krankheit stirbt, extrem klein“, sagt der Infektiologe. Bei Über-80-Jährigen liege die Wahrscheinlichkeit aber im zweistelligen Bereich. Am Mittwoch ist auch ein 49-Jähriger nach fortgeschrittener chronischer Vorerkrankung gestorben.
110 stationäre Patienten waren es am Mittwoch - mehr als doppelt so viele wie zum Höhepunkt der „ersten Welle“ im Frühjahr. Auch die Zahlen der Intensiv- und Beatmungs-Patienten kletterten auf Rekordwerte. Allerdings noch auf relativ überschaubarem Niveau. 19 Erkrankte liegen, Stand Mittwoch, auf Intensivstationen, 12 müssen beatmet werden.
Das liegt auch an Abläufen innerhalb der Krankenhäuser: „Wir haben viel gelernt über die Beatmung“, sagt Dr. Bernhard Schaaf etwa. Man habe erkannt, dass bestimmte Therapien auch auf normalen Stationen möglich sind: „Das war am Anfang der Pandemie anders, da wurden die Patienten noch schneller auf Intensivstationen übernommen.“ Gleichzeitig spricht Schaaf aber auch von einer „Situation, in der es jetzt schon ein bisschen brenzlig wird.“
Gesundheitsamtsleiter Dr. Frank Renken warnt, die Krankenhäuser seien durchaus schon belastet. Die Zahlen spiegeln erfahrungsgemäß immer das Infektionsgeschehen von vor bis zu zwei Wochen wider. Steigen die Fallzahlen weiter so rasant an, müssen sicherlich auch deutlich mehr Menschen stationär behandelt werden. Und das bedeutet, dass das begrenzte Krankenhaus-Personal weniger Zeit für Menschen mit anderen Krankheiten oder Verletzungen hat.
Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
