Videoproduktionen neu gedacht Gegen das Lampenfieber vor der Kamera hilft ein Avatar

Von Dirk Berger
Alles digital: Gegen das Lampenfieber vor der Kamera hilft ein Avatar
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Julia Leduc hatte ihre Geschäftsidee, als sie selbst für ein Video vor der Kamera stehen musste. Sich dabei natürlich zu bewegen und sauber zu sprechen, das ist nicht die Sache aller. „Wie muss es Leuten gehen, die damit Probleme haben?“, fragte sich die Wirtschaftsinformatikerin.

Ihr gemeinsam mit dem Informatiker Kay Law 2021 gegründetes Kölner Startup Anymate Me gibt die Antwort darauf. Avatare, also die grafische Darstellungen, die eine echte Person repräsentieren, übernehmen dort die Bühnenarbeit: Sie kennen schließlich kein Lampenfieber.

Anymate Me als KI-basierte Webplattform automatisiert die Videoproduktion. Der entscheidende Vorteil dabei sei, dass der Kunde nicht mehr in ein Studio reisen müsse, um das Video produzieren zu lassen. „Denn das Einzige, was wir von ihm brauchen, ist ein Text“, so Julia Leduc, „und den kann er uns mailen.“ Ein nach Geschlecht, Alter und Herkunft vom Auftraggeber ausgesuchter fotorealistischer Avatar übernimmt den Vortrag - und das kann er in über 60 Sprachen, was Anymate Me für global tätige Unternehmen interessant machen dürfte.

Keine Aufregung mehr

Per Drag & Drop können Elemente wie Texte, Grafiken oder Soundtracks hinzugefügt werden. Persönliche Ansprache ist möglich, man kann entsprechende Listen mit Kundennamen hochladen. Leduc: „Mit unserem Angebot sind wir im Vergleich zu normalen Videoproduktionen 15mal schneller und bis zu 95 Prozent günstiger im Preis.“ Kein gebuchtes Studio, kein Film-Equipment, kein mehrmaliges Einsprechen, keine Aufregung.

Beim Dortmunder Gründerwettbewerb Start2Grow 2022 erreichten Julia Leduc und Kay Law mit ihrem Startup Anymate Me bereits den ersten Platz.
Beim Dortmunder Gründerwettbewerb Start2Grow 2022 erreichten Julia Leduc und Kay Law mit ihrem Startup Anymate Me bereits den ersten Platz. © Markus Mielek

Die zeitsparendste Möglichkeit sei die Videoerstellung durch Texteingabe. Der Text vom Kunden werde dabei vom Avatar mit einer synthetischen Stimme vorgetragen. Möchte man lieber seine eigene Stimme verwenden, dann könne man das Skript statt einzutippen selber einsprechen. Die Lippenbewegungen des Avatars würden automatisch an das Audio angepasst.

Julia Leduc ist Wirtschaftsinformatikerin und hat sich vor der Gründung des Startups Anymate Me gefragt, ob man nicht mittels Künstlicher Intelligenz (KI) Menschen helfen kann, die vor einer Kamera sprechen müssen, dies aber gar nicht gerne tun.
Julia Leduc ist Wirtschaftsinformatikerin und hat sich vor der Gründung des Startups Anymate Me gefragt, ob man nicht mittels Künstlicher Intelligenz (KI) Menschen helfen kann, die vor einer Kamera sprechen müssen, dies aber gar nicht gerne tun. © Dirk Berger

Wer allerdings maximale Wirkung erzielen möchte, der kann von sich selbst einen Avatar schaffen lassen. „Wir bräuchten dafür ein Video, auf dem der Interessent sich bewegt, damit das System lernen kann, welche Gestik und Mimik er hat. Sprechen muss er nicht.“ Leduc sieht die Einsatzbereiche der Videos vorwiegend im Marketing, im Vertrieb, beim E-Learning, in der Weiterbildung oder der Einarbeitung.

Auch in Gebärdensprache

Das Bewegtbild sei die Zukunft der Kommunikation. „82 Prozent des Internetverkehrs sind aktuell Videos“, stellt die 25-Jährige fest. Mit Anymate Me könnten Hunderte Videos pro Tag gleichzeitig erstellt werden. Kunden, die die Plattform nutzen wollen, zahlen eine Lizenzgebühr von ab 350 Euro im Monat und erhalten dafür 100 Minuten Videozeit – einschließlich des Avatars. „Und denen, die uns mal testen möchten, bieten wir ein zweiminütiges Video für 50 Euro an – plus zehn Euro für jede weitere Minute“, so Julia Leduc.

Das Startup unterhält bereits Geschäftskontakte ins In- und Ausland und kümmert sich gerade um eine Verfeinerung des Angebotes. „Wir arbeiten daran, dass die Avatare in Gebärdensprache übersetzen“, erklärt die junge Unternehmerin. Interessant vor dem Hintergrund, dass die Privatwirtschaft in Deutschland ab 2025 verpflichtet ist, die zentralen Inhalte ihrer Webseiten in Gebärdensprache anzubieten – bei öffentlichen Verwaltungen ist dies bereits seit 2019 der Fall. „Wir spüren bereits ein großes Interesse daran.“

Der nächste Schritt sei, die Avatare bald in 3D- statt in 2D-Videos agieren zu lassen, was z.B. die Begutachtung von zu bestellender Kleidung im Internet durchaus vereinfachen dürfte. Man kann sich dann den Mantel zur Anprobe selbst überwerfen. Also fast.

Kay Law schreibt hier auf, wie Anymate Me funktioniert. Erst wird ein Text erfasst, der gesprochen werden soll, dann wird am Computer eine grafische Darstellung der Person erstellt, die den Text sprechen soll, und am Ende gibt es das fertige Video.
Kay Law schreibt hier auf, wie Anymate Me funktioniert. Erst wird ein Text erfasst, der gesprochen werden soll, dann wird am Computer eine grafische Darstellung der Person erstellt, die den Text sprechen soll, und am Ende gibt es das fertige Video. © Dirk Berger

Das Angebot von Anymate Me war der Jury des Dortmunder Start2grow-Gründerwettbewerbes 2022 die Verleihung des 1. Platzes sowie eine Prämie von 40.000 Euro wert. Ganz in echt übrigens.

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