Versöhnungstour 73 Jahre nach Ende des Weltkriegs

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Versöhnungstour 73 Jahre nach Ende des Weltkriegs

rnWeltkriegs-Pilot entschuldigt sich für Angriff auf Dortmund

Am 12. März 1945 war der Australier Laurie Larmer als Bomberpilot am verheerenden Bombenangriff auf Dortmund beteiligt. Jetzt kehrte er mit einem ganz persönlichen Anliegen zurück - und erinnerte so an den Bombenkrieg, der vor genau 75 Jahren begann.

Dortmund

, 02.05.2018, 16:16 Uhr / Lesedauer: 4 min

Es ist nur eine lapidare Notiz im Logbuch von Laurie Larmer: „1945, March 12 – Operation Dortmund“, ist dort fein säuberlich eingetragen. Das war der Tag, als die Innenstadt von Dortmund endgültig in Schutt und Asche gelegt wurde. Beim schwersten Bombenangriff des Zweiten Weltkriegs, der auf eine deutsche Stadt geflogen wurde.

Laurie Larmer aus Melbourne in Australien war am 12. März 1945 beim letzten Großangriff der britischen Luftwaffe als Bomberpilot dabei. Gut 73 Jahre später klopfte der inzwischen 94-jährige Australier an die Tür von Bürgermeister Manfred Sauer im Rathaus – auf seiner „Versöhnungstour“ durch Europa.

Emotionale Briefe an den Bürgermeister

Der Krieg, an dem er beteiligt war, hat ihn nicht mehr losgelassen. 2015, 70 Jahre nach seinem Einsatz als Bomberpilot bei der Royal Air Force, schrieb Laurie Larmer Briefe an die Städte, die er 1945 bombardiert hatte. Neben Dortmund gehörten dazu auch Hagen, Bayreuth und die Insel Wangerooge. Für den militärischen Grund der Angriffe könne er sich nicht entschuldigen, schrieb Larmer an die Stadtoberhäupter: „Aber ich kann zutiefst und ehrlich bedauern, dass wir verantwortlich für den Tod und die Verletzung von vielen unschuldigen Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder – waren.“

Laurie Larmer überreichte Bürgermeister Manfred Sauer jetzt im Rathaus eine Broschüre, in der seine Erinnerungen an den Bombenkrieg geschildert werden.

Laurie Larmer überreichte Bürgermeister Manfred Sauer jetzt im Rathaus eine Broschüre, in der seine Erinnerungen an den Bombenkrieg geschildert werden. © Oliver Volmerich

Oberbürgermeister Ullrich Sierau antwortete prompt und bedankte sich für die bemerkenswerte Versöhnungsaktion. In der Rückschau sehe man das Ende des Zweiten Weltkriegs als Befreiung von der Nazi-Diktatur, erklärte Sierau. Larmers Einsatz für die britische Luftwaffe sei insofern einer guten Absicht gefolgt, auch wenn sie „unglücklicherweise mit zivilen Opfern verbunden war“.

Australische Schüler zu Gast in Dortmund

„Sie haben besonderen Charakter gezeigt“, stellte auch Bürgermeister Manfred Sauer beim Besuch von Laurie Larmer fest, der nach seinen Briefen an deutsche Stadtoberhäupter zu einem gefragten Zeitzeugen in Australien wurde. In Schulen berichtet er über seine Erfahrungen im Krieg und seine Aktion 70 Jahre nach Kriegsende.

Und animierte so auch Schüler seiner eigenen ehemaligen Schule, dem St. Patrick’s College, sich mit den Themen Erster und Zweiter Weltkrieg zu beschäftigen – und sich sogar zu einer „Versöhnungs-Tour“ nach Europa aufzumachen. 40 australische Schüler besuchten Anfang April Frankreich, Belgien und mehrere deutsche Städte – darunter auch Dortmund.

Nur noch aus Ruinen bestand die Dortmunder Innenstadt nach dem Bombenkrieg zwischen 1943 und 1945 – wie hier am Alten Markt mit den Turmresten von St. Reinoldi und St. Marien.

Nur noch aus Ruinen bestand die Dortmunder Innenstadt nach dem Bombenkrieg zwischen 1943 und 1945 – wie hier am Alten Markt mit den Turmresten von St. Reinoldi und St. Marien. © Stadtarchiv

Hier kümmerte sich Andreas Roshol als Leiter der Arbeitsstelle „Zukunft braucht Erinnerung“ beim Dortmunder Jugendring um das Besuchsprogramm. Es gab Treffen mit den „Botschaftern der Erinnerung“ – Dortmunder Schüler und Studenten, die sich mit der NS-Geschichte beschäftigen –, einen Stadtrundgang sowie Besuche im Stadion und im Rathaus.

Überraschender Besuch in Dortmund

Zwei Wochen später folgte zur Überraschung von Roshol Laurie Larmer selbst. Er kündigte nach einer Reise zu einem Treffen ehemaliger Kriegsteilnehmer in England spontan seinen Besuch in Dortmund an – neugierig darauf, wie sich die Stadt nach dem Bombenkrieg entwickelte hatte. Schließlich hatte ihm Oberbürgermeister Sierau 2015 geschrieben: „Heute ist Dortmund eine blühende Stadt mit rund 600.000 Einwohnern und einer sehr multikulturellen Bevölkerung.“

Larmer konnte das nach drei Tagen Besuchsprogramm mit Andreas Roshol und den „Botschaftern der Erinnerung“ nur bestätigen. „Dortmund ist eine sehr schöne und grüne Stadt“, sagte er beim Empfang durch Manfred Sauer im Rathaus. Der 94-Jährige konnte sich nach seiner Versöhnungs-Tour mit einem versöhnlichen Eindruck wieder auf den Weg zurück nach Australien machen.

Laurie Larmers Besuch in Dortmund traf fast genau mit dem 75. Jahrestag des ersten Großangriffs britischer Flieger auf Dortmund zusammen.

Der große Luftangriff vom 5. Mai 1943

In den ersten Stunden des 5. Mai 1943 erlebt Dortmund den bis daher schwersten Luftangriff auf eine deutsche Stadt. Mehr als 500 Flugzeuge hat der britsche Luftwaffen-General Arthur Harris losgeschickt. Das Ziel ist das Dortmunder Stadtzentrum, Fixpunkt die Reinoldikirche. Und hier geht eine Stunde lang ein wahrer Bombenhagel nieder – mit Luftminen, Spreng- und Brandbomben.

Ganze Straßenzüge gehen in Flammen auf. Der Feuersturm lässt Glas bestern, Mauern einstürzen und Asphalt schmelzen. „Weite Stadtgebiete waren ein Flammenmeer. Braunrote Rauchwolken wälzten sich über die Häuser der Stadt“, heißt es in einem Augenzeugenbericht.

Die Folgen sind verheerend: „Von außen gesehen, erschien der Westen und Norden der Stadt in ein einziges Flammenmeer gehüllt. Kilometerweit waren alle Straßen taghell erleuchtet, und überall stiegen riesige Flammensäulen und Rauchwolken zum Himmel“, berichtet ein Augenzeuge über die Stunden nach dem Angriff.

Neben Wohnhäusern werden auch wertvolle Kulturdenkmale wie die Propsteikirche, das Alte Rathaus am Markt und die benachbarte Stadtbibliothek am Hansaplatz schwer getroffen. „Das Bahnhofsgebiet, die Hauptpost, die in der Nähe gelegenen Hotels, alles zerstört“, berichtet die damalige Stadtarchivarin Luise von Winterfeld.

Fast 700 registrierte Tote - und unzählige unregistrierte

Mehr als 3000 Häuser wurden in der Bombennacht insgesamt zerstört oder schwer beschädigt, rund 9000 Gebäude und fast 90 Industrieanlagen leicht bis mittelschwer in Mitleidenschaft gezogen. 693 Tote werden offiziell registiert. Nicht erfasst werden dabei ungezählte ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die meist ungeschützt in Lagern ums Leben kamen.

Gut 40.000 Dortmunder gelten nach dem 5. Mai als obdachlos.

Am Ende blieb nur eine Trümmerwüste

So heftig der erste Großangriff vom 5. Mai 1943 auch war, ganz überraschend kam er für die Dortmunder nicht. Sie waren in den Jahren zuvor vom NS-Regime schon auf den „totalen Krieg“ vorbereitet worden.

Schon 1934 hatte es erste Luftschutzübungen gegeben. Mit dem Reichsluftschutzgesetz wurden ab 1935 Luftschutzreviere und Luftschutzräume geschaffen.

Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 treten die Luftschutzbestimmungen in Kraft. Dazu gehört etwa die völlige Verdunklung in der Nacht, inklusive der Straßenbeleuchtung.

Im Mai 1940 beginnen die Briten mit ersten gezielten Bombenangriffen auf Industrieanlagen. Wenn die Sirenen heulen, geht es für die Dortmunder in die Luftschutzräume, zu Beginn des Bombenkriegs in der Regel noch in die entsprechend präparierten Keller.

Das erste Gebäude, das im Stadtzentrum von Bomben getroffen wird, ist im Sommer 1940 das Geschäftshaus an der Ecke Brückstraße/Westenhellweg (heute P&C)

Ein Bild der Zerstörung: Die Stadt nach den Luftangriffen.

Ein Bild der Zerstörung: Die Stadt nach den Luftangriffen. © Stadtarchiv

Nach einer „Führeranweisung“ vom Oktober 1940 zum Bau von „bombensicheren Schutzbauten“ entstehen in Dortmund 24 Hochbunker – und ein vier Kilometer langer Tiefstollen unter der Innenstadt mit Platz für mehr als 80.000 Menschen.

Ab Sommer 1941 werden neben Industrieanlagen verstärkt auch Wohn- und Geschäftsviertel bombardiert. Ein erster Flächenangriff findet am 15. April 1942 statt.

Im Frühjahr 1943 starten die Briten unter dem Titel „Battle of the Ruhr“ („Schlacht an der Ruhr“) ihre große Luftoffensive. Dortmund erlebt am 5. und am 23./24. Mai die beiden ersten Großangriffe, bei denen Teile des Stadtzentrums schwer getroffen werden.

Fast täglich folgen kleinere Angriffe oder zumindest ein Fliegeralarm, der die Bevölkerung aufschreckt. Ziemlich genau ein Jahr nach dem zweiten Großangriff folgt der dritte Großangriff in der Nacht vom 22. auf den 23. Mai 1944.

Besonders verheerend war der Großangriff vom 6. Oktober 1944, bei dem der Hauptbahnhof und seine Umgebung getroffen werden. Mehr als 1100 Todesopfer sind an diesem Tag zu beklagen.

Weiter Großangriffe folgen am 11. November und 29. November 1944 sowie am 20./21. Februar 1945.

Auch die US-Luftwaffe flog Angriffe auf Dortmund.

Auch die US-Luftwaffe flog Angriffe auf Dortmund. © Stadtarchiv

Den Schlusspunkt setzt der 12. März 1945. Dortmund erlebt den schwersten Bombenangriff, der je auf eine deutsche Stadt geflogen wurde. Mehr als 1000 Flugzeuge werfen in etwas mehr als 40 Minuten mehr als 4851 Tonnen Bomben ab. Die ohnehin schon schwer zerstörte Innenstadt wird an diesem Tag fast dem Erdboden gleichgemacht. Der Zerstörungsgrad im Stadtzentrum liegt bei 93 Prozent.

Die Bilanz der britischen Luftwaffe nennt am Ende 8 Großangriffe und 105 sogenannte Hauptangriffe auf Dortmund. Zu Ende gehen der Bombenkrieg und die NS-Herrschaft am 13. April 1945 , als US-Truppen das Stadtzentrum besetzen.