Versetzte Klassenlehrerin, weinende Kinder Anke Staar: „Menschlich eine Vollkatastrophe“

Anke Staar geht mit Versetzungsfall an Mörike-Schule hart ins Gericht
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Die Schocknachricht erfuhren Eltern und Kinder einer Dortmunder Grundschule erst kurz vor Beginn der Sommerferien: Eine beliebte und geschätzte Klassenlehrerin wurde an eine andere Schule versetzt.

Über die Hintergründe, vor allem welche Kriterien zu dieser Entscheidung geführt haben, schweigen sich die Verantwortlichen aus und verweisen auf den Datenschutz. Die betroffene Elternschaft an der Mörike-Grundschule in Dortmund-Somborn kritisiert, dass hier nicht zum Wohl ihrer Kinder entschieden worden sei.

Wir haben über den Versetzungsfall mit Anke Staar gesprochen. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins GLGL NRW (Gemeinsam Leben/Gemeinsam lernen) und hat sich viele Jahre bei den Dortmunder Stadteltern engagiert.

Hallo Frau Staar, wie bewerten Sie die Versetzung der Klassenlehrerin, die bei den betroffenen Schülerinnen, Schülern und Eltern so großes Entsetzen und so viele Tränen ausgelöst hat?

Aufgrund des massiven Lehrkräftemangels und der ungleichen Verteilung der Lehrkräfte war es absehbar, dass Lehrkräfte anders verteilt werden würden. Insbesondere benachteiligte Standorte hatten lange das Nachsehen. Um Nachteile auszugleichen, war zu erwarten, dass es zu Abordnungen oder Versetzungen kommen würde. Der Fall in Somborn ist bedauerlich. Denn die Verbände haben davor gewarnt, entstandene und gut funktionierende Systeme zu zerreißen. Daher sollte eine Neu- und Umverteilung primär über Neu- und Wiedereinsteiger erfolgen und nicht langjährige Kollegiums- und Beziehungsarbeit zerstört werden.

Wie hätte die Versetzung im Idealfall ablaufen müssen?

Der Idealfall fordert Transparenz auf allen Ebenen. Frühzeitige Kommunikation mit allen Beteiligten, Offenlegung der Kriterien, Einbeziehung der Auswahlkommission und damit aller Schulgremien, sind notwendige Bausteine. Natürlich sind Personalien immer unter Berücksichtigung des Datenschutzes zu treffen, dafür wird zu Beginn jedes Schuljahr die Auswahlkommission über die Schulkonferenz gewählt. Man hätte zu den anstehenden Veränderungen frühzeitig die Gremien einberufen und informieren können, die dann auch die Klassen und somit alle Eltern auf Veränderungen hätten vorbereiten könnten.

Die Eltern der Mörike-Grundschule kritisieren unter anderem, dass ihnen nicht mitgeteilt wurde, warum die Versetzung die Klassenlehrerin ihrer Kinder getroffen hat.
Die Eltern kritisieren unter anderem, dass ihnen nicht mitgeteilt wurde, warum die Versetzung die Klassenlehrerin ihrer Kinder getroffen hat. © privat

Die Kriterien für die Entscheidung wurden aber bislang nicht kommuniziert, die betroffene Klasse und deren Eltern wurden erst kurz vor den Ferien informiert – ist das der Normalfall?

Nein – kommt aber trotzdem nicht selten vor. Jede Schulleitung sollte darum bemüht sein, Bildungspartnerschaft ernst zu nehmen. Hier geht es immerhin um einen Vertrauensverlust, wenn die Gremien in ihrer Funktion nicht ernst genommen werden, beziehungsweise nicht beteiligt werden.

Ein Alleingang hinterlässt nicht nur Fragen, sondern immer Unmut. Auch diese Eltern wissen, dass sie ausgesprochenes Glück hatten, eine so „begehrte und engagierte“ Lehrkraft bekommen zu haben und die Eltern bekommen in der Öffentlichkeit mit, dass ein gravierender und akuter Lehrkräftemangel herrscht. Aber die Eltern wissen, welche Lehrkraft wann an die Schule gekommen ist oder wie lange schon da ist. Und letzten Endes – wie sie arbeitet!

Wie bewerten Sie das Statement der Schulamtsdirektorin?

Auch hier wäre Transparenz wünschenswert. Natürlich entscheidet das Schulamt (oder die Bezirksregierung, abhängig von der Schulform) über die Personalien an allen Schulen. Sie hat recht, dass die Schule selbst die Kriterien festlegen konnte. Beteiligt ist sie aber trotzdem am Verfahren. Denn sie muss sicherstellen, dass es zu keinem Härtefall kommt.

Zwar hat die (verbeamtete) Lehrkraft kein Widerspruchsrecht, wenn das Schulamt aus dienstlichen Bedürfnissen eine Versetzung, Zuweisung oder Abordnung anordnet, da Beamte der allgemeinen Gehorsamspflicht unterliegen. Dennoch muss die Lehrkraft vor der Versetzung dazu angehört werden. In der Regel wird eine Versetzung sechs Monate im Vorfeld bekannt gegeben.

Es macht den Anschein, dass selbst der Lehrkraft ein Informationsverbot auferlegt wurde. Nicht nur, dass das elterliche Recht auf Information damit infrage gestellt wird, dass Gremienarbeit nicht ernst genommen wird, es ist rein menschlich für die Kinder eine Vollkatastrophe, die man pädagogisch mit entsprechendem Vorlauf und transparenter Kommunikation hätte verhindern können. Pädagogisch wie partizipativ sehr zu bemängeln auf allen Ebenen!

Die Eisbärenkinder verlieren ihre Bärenmama: Diese und ähnliche Botschaften standen am letzten Schultag auf den T-Shirts der tieftraurigen Kinder.
Die Eisbärenkinder verlieren ihre Bärenmama: Diese und ähnliche Botschaften standen am letzten Schultag auf den T-Shirts der tieftraurigen Kinder. © privat

Was können die betroffenen Eltern im Nachhinein noch tun?

Nichts! Wurde die Abordnung oder Versetzung ausgesprochen, die Betroffene angehört, ist das rechtsgültig. Was sie aber tun müssen, ist ihr Beteiligungsrecht in den Gremien zu nutzen, ihren Unmut dort zu platzieren. Hier empfiehlt es sich, mit der Schulleitung über die hausinterne Schulcharta zu sprechen: Wie gehen wir miteinander um, welche Erwartungen werden an Schulleitung, Lehrkräfte, Eltern und Schüler gestellt, um ein besseres Miteinander und mehr Transparenz und damit mehr Vertrauen herzustellen?

Daher müsste die Frage nicht lauten, was können die Eltern im Nachhinein tun, sondern: Was tut die Schulleitung, um wieder Vertrauen bei den Eltern zurückzugewinnen?

Kennen Sie ähnliche Fälle an anderen Schulen?

Versetzungen und Abordnungen sind keine Einzelfälle. Da kämpfen Sonderpädagogen seit Jahren und werden regelmäßig „versetzt oder abgeordnet“. Oder werden gleich an zwei Schulen gleichzeitig beschäftigt. Auch die Vorgehensweise ist leider kein Einzelfall.

Jedoch sind viele Schulen sehr wohl bemüht, frühzeitig Transparenz herzustellen, nein, man kann sogar sagen, dass viele Schulen frühzeitig die „Macht“ der Eltern nutzen, gerade wenn sie zu wenig Lehrkräfte haben. Schule ist eben Beziehungsarbeit, ein Schlüssel zum Lernerfolg, an dem Eltern, Kinder und auch die Kollegen untereinander gerne festhalten. Versetzung kann negative Folgen haben, aber es kann auch bereichernd sein. Eine Münze mit zwei Seiten!

Die Eltern sind der Meinung, dass an der Mörike-Schule nicht zum Wohle ihrer Kinder entschieden wurde.
Die Eltern sind der Meinung, dass nicht zum Wohle ihrer Kinder entschieden wurde. © privat

In den sozialen Netzwerken wird das Verhalten der betroffenen Kinder und Eltern hart kritisiert, Lehrerwechseln seien nichts Besonderes und an den weiterführenden Schulen die Regel. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Aus Sicht der Kinder ist ihr Verhalten mehr als verständlich. Denn gerade in der Grundschule ist Beziehungsarbeit pädagogisch unersetzlich. Die Kinder lernen in den ersten Jahren nicht für sich selbst, sie lernen für ihre Eltern, für ihre Lehrkräfte und erst viel später für sich selbst. Eine gute Bindung ist quasi der halbe Lernerfolg in einer Klasse.

Werden solche Systeme zerrissen, kann es gerade bei Schülern und Schülerinnen mit einem höheren Förderbedarf zu Erfolgsabbrüchen kommen. Das hängt natürlich davon ab, wie gut die nächste Lehrkraft die Kinder abholen kann. Jedoch ist den Kindern hier wenig Zeit einer gemeinsamen Verarbeitung der anstehenden Veränderung gegeben worden. Sie sind also mit ihren Sorgen und Ängsten in die Ferien entlassen worden.

Dass diese Lehrkraft auch eine gute Beziehung zu den Eltern aufgebaut hatte, zeichnet sie aus. Daher ist es in der Natur der Sache, dass man eine solche Lehrkraft für das eigene Kind nicht gerne verlieren möchte. Doch der Unmut ist nicht nur wegen der Versetzung hochgekocht, sondern gerade wegen der fehlenden frühzeitigen Mitnahme bei der Entscheidung.

Natürlich passieren solche Wechsel häufig und niemand hat den Anspruch auf eine bestimmte Lehrkraft. Durchaus braucht es ein Verständnis, dass benachteiligte Standorte nicht immer weiter das Nachsehen haben.

Dass es an weiterführenden Schulen stetig zu Lehrkräftewechsel kommt, bedeutet aber nicht, dass das gutzuheißen ist, nur weil es inzwischen fast die Regel ist. Auch dort kommt Beziehungsarbeit viel zu kurz und ist auch dort ein Faktor für den Lernerfolg.

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